Wien wurde wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Städterankings gibt es viele, dabei sagen die meisten aber wenig darüber aus, ob Lebensqualität auf Basis von sozialem Ausgleich und gerechten Lebensverhältnissen entsteht.
Wien in Rankings
Vor Kurzem erschien die Rangliste der Economistʼs Intelligence Unit (EIU). Insgesamt wurden dafür 140 Großstädte miteinander verglichen. Wien wurde hier erstmals vor Melbourne gereiht und rangiert damit auf Platz Eins. Für Wien sind gute Plätze bei Städterankings nicht unbedingt neu, beim Mercer-Ranking Quality of Living beispielsweise belegte Wien 2018 zum neunten Mal Platz Eins. Auch im europäischen Smart-City-Ranking oder dem European-City-Ranking zu Clean Air rangiert Wien auf den vorderen Plätzen.
Konkurrenz unter Städten
Besonders häufig werden jene City-Rankings massenmedial aufgegriffen, die Städte möglichst einfach anhand einer Maßzahl präsentieren. So werden klare Gewinnerinnen und Verliererinnen produziert und der nächste Zeitungsartikel ist schnell geschrieben. Hier besteht die Gefahr, Konkurrenz unter Städten zu verstärken. Im Prozess der medialen Verbreitung sind Städte vermehrt gezwungen, Marketingstrategien und Imagebilder zu ihren urbanen Räumen zu erzeugen, die es international zu transportieren gilt. Barcelona, New York oder Paris zeichnen sich durch unverwechselbare Eigenschaften und Zuschreibungen aus – sie sind damit starke Marken. Rankings können dazu verwendet werden, Stadt-Marken abzusichern, internationale Sichtbarkeit zu erzeugen und Wettbewerbsvorteile zu generieren. Kleine Städte bleiben von Rankings häufig ausgeschlossen und kommen im Diskurs gar nicht vor.
Kurzsichtige Tendenzen
Rankings suchen zwar nach Städten mit hoher Lebensqualität, jedoch wird deren historischer Entstehungskontext häufig nicht reflektiert. Immer wieder rangieren jene Städte auf den vorderen Plätzen, die auf eine tragfähige soziale Infrastruktur, Bildungs- und Kulturangebote und gut ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel verweisen können. Diese Gegebenheiten fallen aber nicht vom Himmel, sondern fußen auf einer Politik, die auf gerechte Stadtentwicklung ausgerichtet ist. Meist ist das soziale Fundament historisch gewachsen. Wien beispielweise kann auf eine lange Tradition des kommunalen Wohnbaus verweisen, deren Grundgedanke darin lag, die Formel „Wer arm ist, muss auch schlecht wohnen“ außer Kraft zu setzen. Qualitativ hochwertiges und leistbares Wohnen sollte für die breite Bevölkerung ermöglicht werden. Flankiert wurden die Investitionen in den sozialen Wohnbau durch den Aufbau eines guten Bildungssystems, eine bessere Versorgung im Gesundheitsbereich sowie eine gute öffentliche Altersversorgung.
Gerechte Stadt durch Umverteilung
Die hohe Lebensqualität in Wien fußt auf dem historischen Fundament einer Stadtentwicklungspolitik, die auf sozialen Ausgleich und gerechte Lebensverhältnisse ausgerichtet war. Auch viele der anderen gut platzierten Städte haben Stadtregierungen, die auf eine ausgewogene Stadtentwicklung setzen und damit hohe Lebensqualität für viele produzieren. Die Teilhabe am öffentlichen Leben ist in gleicheren Gesellschaften einfacher möglich, eine plurale Öffentlichkeit und bunte Durchmischung von Stadträumen sind urbane Kernqualitäten.
Gesellschaftliche Ungleichheit mindert Lebensqualität
Stark ungleiche Gesellschaften verschärfen soziale, kulturelle und ökonomische Problemlagen. Nicht nur benachteiligte Bevölkerungsschichten leiden darunter, steigende Armut schwächt den sozialen Kitt insgesamt, die Qualität der sozialen Infrastruktur nimmt allgemein ab, Menschen sind häufiger krank und steigende Kriminalität beeinträchtigt die Lebensqualität aller. Globale Entwicklungen zeigen, dass gesellschaftliche Ungleichheit wieder zunimmt und der Konkurrenzdruck wächst. Viele Städte sind deshalb mit ähnlichen Problemen konfrontiert: galoppierende Teuerungen bei den Mieten, prekäre Jobs am Arbeitsmarkt, verstärkte Verschmutzung der Umwelt, aber auch enger werdende öffentliche Räume beeinträchtigen die Lebensqualität.
Kooperation vor Konkurrenz
Rankings können Gräben und Konkurrenzen zwischen Städten vertiefen, wenn sie die politische Verankerung, Erfolgsbedingungen und Grundlagen von lebenswerten Städten verschleiern. Dann stehen sie problemorientierten, solidarischen Kooperationen im Weg. Wien würde es gut tun, sich nicht dem Label einer wettbewerbsorientierten Smart City zu unterwerfen, sondern dem ein soziales Stadt-Branding entgegenzuhalten. Während viele das immer gleiche Märchen von Konkurrenz und freiem Spiel der radikalen Marktkräfte erzählen, wäre es wünschenswert, Diskurse zu gerechter Stadtentwicklung neu aufzurollen. Hier gilt es herauszustreichen, dass Stadtentwicklungsstrategien die auf Umverteilung setzen, hohe Lebensqualität für viele produzieren – erst so werden lebenswerte Städte möglich.
Der Artikel ist in Langfassung in der Ausgabe der AK-Stadt „Keine Angst vor der großen Stadt“ erschienen.