Während in anderen Großstädten das Phänomen Gentrifizierung schon weitreichend bekannt ist, taucht der Begriff in Wien meist nur am Rand auf. Starker sozialer Wohnbau und ein im internationalen Vergleich entspannter Wohnungsmarkt federten viele Entwicklungen ab, doch heute zeigen sich Grätzl mit steigenden Mieten und hohen Eigentumspreisen.
Ein vielschichtiger Begriff
Der Begriff Gentrifizierung wird nicht einheitlich verwendet. Besonders im deutschsprachigen Raum werden Prozesse beschrieben entlang derer Kunst- und Kulturschaffende, aber auch Studierende in preisgünstige Nachbarschaften ziehen. Die Grätzl verändern sich, neue Bars, Lokale, Geschäfte eröffnen. Durch die neue Atmosphäre angezogen, folgen ökonomisch bessergestellte, steigende Mieten sind zu beobachten, Haushalte mit geringerem Einkommen können sich die Gegend nicht mehr leisten.
Andere Ansätze fokussieren auf den Immobilienmarkt. Gentrifizierung meint hier (Re)Investitionen in bauliche Strukturen und damit verbundene Miet- bzw. Kaufpreissteigerungen, die eine Verdrängung von einkommensschwächeren Gruppen zur Folge haben. Auffallend ist, dass InvestorInnen ihr Geld gern in Gebieten mit alter Bausubstanz, guter Verkehrsanbindung und (verhältnismäßig) niedrigen Boden- und Mietpreisen anlegen.
Vor- und Nachteile
Die Folgen von Gentrifizierungsprozessen sind vielschichtig. Aufwertungsmaßnahmen bringen mitunter Vorteile für BewohnerInnen und das gesamte Grätzl: Neuer, moderner Wohnraum entsteht und durch den Zuzug einkommensstärkerer Haushalte gibt es zumindest zeitweilig eine wachsende soziale Durchmischung. Auch die lokale Wirtschaft wird belebt. Begleitet wird dieser Vorgang aber häufig durch steigende Mieten und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Leider zeigen sich auch Verdrängungsstrategien bei denen versucht wird, AltmieterInnen aus dem Haus zu drängen. In Extremfällen werden sie psychisch unter Druck gesetzt oder mit Täuschungen zur Aufgabe ihres Mietvertrags gebracht.
Schutzschild Sozialer Wohnbau?
In Wien wird häufig das prominente Argument Sozialer Wohnbau als Schutzschild gegen Gentrifizierung angeführt. Kaum eine andere Stadt besitzt ähnlich große kommunale Wohnbaubestände. Derzeit leben 24,5 Prozent der Bevölkerung im Gemeindebau, 19,4 Prozent in Genossenschaftswohnungen. 19,1Prozent entfallen auf Haus- und Wohnungseigentum. Damit bleibt immer noch ein Drittel privater Mietwohnungen als gentrifizierungsrelevantes Segment. Der soziale Wohnbau wirkt zwar regulativ auf die Mietpreisentwicklungen der Stadt. Gentrifizierung ist aber ein lokales Phänomen, das eher in Innenstadtlagen und Altbaubeständen auftritt. Sozialer Wohnbau findet sich nicht gleichverteilt in der Stadt, damit geht sein Regulationspotenzial kleinräumig verloren.
Anteil sozial gebundener Wohnungen am Wohnungsbestand