Die Bundesländer bzw. deren Verkehrsverbünde gehen immer mehr dazu über, Buslinien auszuschreiben und dann faktisch an den Billigstbieter zu vergeben. Da die Personalkosten bei Busverkehren einen Anteil von mehr als 60 Prozent haben, ist klar, wer die erhofften Einsparungen bezahlen muss: Das sind in erster Linie die BuslenkerInnen, aber auch seriöse Unternehmen und letztendlich die Fahrgäste.
Kommt es nämlich zu einer Ausschreibung, so findet der Wettbewerb hauptsächlich über die Personalkosten statt. Für Fahrzeuge, Treibstoff und Versicherung müssen alle Unternehmen in etwa gleich viel zahlen. Die wichtigste Stellschraube, die bleibt, sind also die Gehälter und Sozialleistungen der Beschäftigten. Dieser Druck hat Folgen. Dadurch droht die ganze Busbranche zu einem Niedriglohnsektor zu werden.
Das hat dramatische Folgen für die LenkerInnen, aber auch die Unternehmen. Denn es gewinnen nur jene Firmen die Ausschreibungen, welche bei den Personalkosten mit dem „nackten“ Einstiegs-Kollektivvertragslöhnen kalkulieren. Damit werden automatisch alle alt eingesessenen und seriösen Unternehmen, die aufgrund längerer Zugehörigkeit ihrer Fahrerinnen oder wegen Betriebsvereinbarungen höhere Personalkosten haben, aus dem Markt gedrängt. Jahrelange Erfahrung von Beschäftigten und soziale Errungenschaften werden so zu Wettbewerbsnachteilen pervertiert! Das geht auf Kosten von Sicherheit und Qualität was schlussendlich die Passagiere zu spüren bekommen.
In dieser Wettbewerbssituation haben alt eingesessene Busunternehmen nur drei Möglichkeiten:
- Sie kalkulieren mit ihren realen Kosten, werden damit kaum Ausschreibungen gewinnen und stehen bald ohne Aufträge da.
- Sie bieten unter ihren Kosten an. Dann werden sie wohl den Zuschlag erhalten, dabei aber Verluste einfahren und gehen langfristig Pleite.
- Sie gründen eine Subfirma, in der nur mehr strikt nach Kollektivvertrag entlohnt wird. Alt gediente FahrerInnen werden zum Wechsel in diesen Billigcarrier „überredet“ oder erhalten die Kündigung.
Kein fernes Bedrohungsszenario, sondern schon Realität
Aktuelles Beispiel für die menschenverachtenden und volkswirtschaftlich negativen Auswirkungen sind die Ausschreibungen „St. Valentin“ und „Steyr-, Kremstal, Wels-Süd“, wo die Postbus GmbH mehrere Lose verloren hat. Bis zu 60 Arbeitsplätze sind akut gefährdet. Der bisherige Betreiber verfügt über die FahrerInnen, die Busse, das Know-how und die Erfahrung, sowie die Dienststellen und Werkstätten. Wegen eines Preisunterschiedes von ein paar Cent pro Kilometer bekommt eine andere Firma den Zuschlag, die all dies neu aufbauen muss. Für geringe Einsparungen – 40.000 Euro im Jahr – nimmt die Öffentliche Hand also viel Schaden in Kauf. Falls die gekündigten FahrerInnen „Glück“ haben, beschäftigt sie der neue Betreiber zu weit schlechteren Bedingungen (=Anfängergehalt) weiter.
Mythos effizienter Wettbewerb
Auch der Mythos, dass Wettbewerb die Effizienz steigert, kann durch aktuelle Statistiken der Postbus GmbH entkräftet werden. Da zeigt sich, dass nach Ausschreibungen bei gleicher Verkehrsleistung die Anzahl der benötigten Busse um 30 Prozent, die der Leerkilometer um 20 Prozent angestiegen sind. Der Grund: Während früher Fahrzeugumläufe optimiert werden konnten, führt die willkürliche Zerstückelung in Streckenlose zu großen Ineffizienzen.
Als neue Anbieter haben sich allerdings weder große Multis, noch osteuropäische Billig-Carrier etabliert. Stattdessen kannibalisieren sich die bisherigen „Großen“. Außerdem treten ursprünglich kleine Familienunternehmen als „Glückritter“ auf und unterfahren alle Qualitäts- und Sozialstandards. Legendär, was sich z.B. diesen Frühling südlich von Wien abgespielt hat: Der neue Anbieter war mit Bussen und illegalen Überstellungskennzeichen, dafür aber ohne funktionierende Fahrscheindrucker unterwegs. Schulkinder mussten den überforderten Fahrern den Weg zur Schule erklären!
Sozial- und Qualitätsdumping wäre vermeidbar!
Diese verhängnisvolle Entwicklung ist aber kein unvermeidbares Schicksal. Es würde nur kleiner Gesetzesänderungen bedürfen, um die Entwicklung in positive Bahnen zu lenken. Schon 2011 haben sich die Sozialpartner[1] auf Gesetzesvorschläge geeinigt, die u.a. folgende drei Punkte umfassen:
Wahlfreiheit zwischen Vergabe nach „Allgemeinen Vorschriften“ oder durch Ausschreibung. Dies würde bedeuten, dass Verkehrsverbünde nicht ausschreiben müssen, sondern dass die Busunternehmen beispielweise Schülerfahrten auch in Eigeninitiative anbieten können.
- Verbindliche Festlegung von Sozial- und Qualitätsstandards als Vergabekriterium. Damit könnte sichergestellt werden, dass tatsächlich der Best- und nicht der Billigstbieter zum Zug kommt.
- Betriebsübergang mit verbindlichem Angebot an die Beschäftigten. Erbringt ein neuer Betreiber die bisherige Verkehrsleistung, so sollten die Beschäftigten das Recht (aber nicht die Pflicht) haben, zu den bisherigen Bedingungen zum neuen Unternehmen zu wechseln. Diese Regelung hätte mehrere Vorteile:
o Bewerber müssen damit rechnen, beim Gewinn der Ausschreibung auch „teure“ MitarbeiterInnen zu übernehmen und würden nicht mit Dumpingpreisen kalkulieren.
o Erfahrene Beschäftigte könnten weiterhin in ihrem alten Arbeitsgebiet tätig bleiben, was auch den Fahrgästen zu Gute käme.
o Schlussendlich hätte der bisherige Betreiber weniger Probleme, wie er seine MitarbeiterInnen weiter beschäftigen soll.
Obwohl die Vorschläge der Sozialpartner grundvernünftig sind, ist deren Umsetzung nicht in Sicht. Zum einem zeigt das Verkehrsministerium bislang wenig Ambitionen, zum anderen blockieren die Bundesländer. Über deren Motivation kann nur gemutmaßt werden. Offensichtlich lehnen die Länder reflexartig alle Bundesgesetze ab, die ihre Befugnisse einschränken könnten. Auf der anderen Seite wollen sie das Einsparpotential, das Sozialdumping bietet, ausschöpfen. Dass dieses Sparen durch Qualitäts- und Arbeitsplatzverluste, sowie verminderte Kaufkraft und geringeres Steueraufkommen erkauft wird, hat sich offenbar noch niemand durchgerechnet.
[1] Arbeiterkammer, Postgewerkschaft und vida auf den Arbeitnehmerseite, sowie die Wirtschaftskammer und Busunternehmen auf Arbeitnehmerseite.