AK-Wohlstandsbericht 2023: Den Rückschlägen bei Wohlstand und Wohlergehen gegensteuern

04. Oktober 2023

Von der Einkommens- und Vermögensverteilung über Treibhausgasemissionen und Energieverbrauch bis hin zur Qualität der Arbeitsplätze und sozialer Ausgrenzung: Der AK-Wohlstandsbericht liefert ein breites Bild von Wohlstand und Wohlergehen in Österreich. Die aktuelle Analyse gibt Anlass zur Sorge: Pandemie, Teuerungskrise und schwächelnde Investitions- und Konsumentwicklung führen dazu, dass erstmals die Bewertungen aller fünf übergeordneter Ziele negativ ausfallen. Entschlossene politische Maßnahmen, die Weichen in Richtung gesellschaftlichen Fortschritts stellen, sind dringend notwendig.

Rückschläge und verhaltene Zukunftsaussichten

Der Analysezeitraum des sechsten AK-Wohlstandsberichts umfasst die Jahre ab 2019, einschließlich eines Ausblicks bis 2024. Es ist unbestritten ein Zeitraum, der von Krisen geprägt ist: Die Pandemie verschärfte bereits zuvor bestehende soziale Ungleichheiten. Die drastische Teuerung brachte für viele Menschen massive Schwierigkeiten, ihre Lebenskosten zu bestreiten. Und im Bereich des Klimaschutzes bleiben die gesetzten Maßnahmen weit hinter den ambitionierten Zielsetzungen zurück.

Vor diesem Hintergrund ergibt die Analyse des aktuellen Wohlstandsberichts ein besorgniserregendes Bild: Erstmals wird die Entwicklung in allen fünf übergeordneten Zielen negativ bewertet. Das gilt nun auch für die Entwicklung der „Lebensqualität“, die in den vergangenen Jahren stets positiv oder noch neutral beurteilt wurde.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Die fünf übergeordneten Ziele des Wohlstandsberichts werden durch je sechs Teilziele operationalisiert. Bei der Hälfte dieser 30 Teilziele werden im Analysezeitraum Rückschritte bei der mittelfristigen Entwicklung festgestellt. Bei nur fünf Teilzielen fällt der kurzfristige Ausblick für 2023/24 positiv aus, das heißt, es ist davon auszugehen, dass sich die Entwicklung auch im kommenden Jahr nicht maßgeblich verbessern wird.

Weiterhin Rückschritte bei der materiellen Wohlstandsverteilung und ökonomischen Stabilität

Die faire Verteilung des materiellen Wohlstands bleibt trotz leichter Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr im Durchschnitt der Teilziele rückschrittlich. Die positivste Bewertung entfällt auf die Entwicklung der Forschung und Innovation, welche durch kontinuierliche Produktivitätssteigerungen den materiellen Wohlstand in Österreich weiterhin verbessert. Auch die Arbeitsproduktivität ist im Analysezeitraum trotz der anhaltenden Auswirkungen verschiedener Krisen wieder gestiegen. Diesen Trends stehen jedoch negative oder stagnierende Entwicklungen im Bereich der Verringerung der Vermögenskonzentration, der Einkommensungleichheit und des Gender-Pay-Gap gegenüber.

Ähnlich verhält es sich im Bereich der ökonomischen Stabilität: Negative Bewertungen ergeben sich durch Verschlechterungen in der Investitionstätigkeit, instabile Finanzmärkte, ein weiterhin rückschrittliches Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit und die immer noch deutlich vom Ziel abweichende Inflation. Da bei Letzterer eine Entspannung in Aussicht steht, fällt die Bewertung beim Ziel der Preisstabilität zumindest besser als im letztjährigen Bericht aus. Während die Entwicklung in Bezug auf das Ziel der stabilen Staatstätigkeit neutral bewertet wird, führt der Abbau des Leistungsbilanzungleichgewichts zu einer positiven Einschätzung dieses Teilziels.

Vollbeschäftigung und gute Arbeit: Schlechtes Zeugnis für die Qualität der Arbeitsplätze

In den sechs Teilzielen des übergeordneten Ziels „Vollbeschäftigung und gute Arbeit“ entfällt die einzige positive Bewertung auf die Mitbestimmung in der Arbeitswelt. So hat der soziale Dialog etwa eine wichtige Rolle gespielt, als die Kurzarbeit in der Pandemie weiterentwickelt wurde. Die Entwicklung bei drei Teilzielen wird neutral bewertet. Dazu zählen die Erwerbstätigkeit sowie die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, wo im Analysezeitraum auf eine starke Verschlechterung in der Corona-Krise ein Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt folgte und derzeit wieder nur verhaltene Aussichten bestehen. Der Anteil der Beschäftigten mit (über)langen Arbeitszeiten geht zurück, allerdings insgesamt nicht deutlich genug. Negative Bewertungen gibt es bei zwei Teilzielen: Die Verteilung der unbezahlten Haus- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern weist eine deutliche Schieflage auf. Die schlechteste Bewertung in diesem Kapitel entfällt schließlich auf die Qualität der Arbeitsplätze, was durch den starken Sinkflug des Arbeitsklima-Index begründet ist.

Rückschritte bei intakter Umwelt und erstmals auch bei der Lebensqualität

Eine intakte Umwelt stellt eine Grundvoraussetzung für die Sicherung des Wohlstands und des Wohlergehens in Österreich dar. Angesichts der immanenten Auswirkungen der Klima-, Energie- und Biodiversitätskrisen werden weiterhin in drei der sechs Teilziele im Bereich „Intakte Umwelt“ Rückschritte und pessimistische Ausblicke auf das folgende Jahr verzeichnet: So fallen die Reduktionen der Treibhausgase, der Flächenversiegelungen und des energetischen Endverbrauchs unzureichend aus. Gerade bei klimapolitischen Maßnahmen fehlt die soziale Gerechtigkeit. Lichtblick ist der öffentliche Verkehr: Immer mehr Menschen nutzen die Öffis, sogar für Urlaubsreisen. Das zeigt: Investitionen in soziale und ökologische Infrastrukturen wirken.

Erstmals geht auch die Lebensqualität im Analysezeitraum zurück, insbesondere aufgrund der massiv angestiegenen Wohnkosten durch die anhaltend hohe Inflation. Hier sind die deutlichsten Rückschritte im diesjährigen Wohlstandsbericht zu verzeichnen. Die Situation für armuts- oder ausgrenzungsgefährdete Personen bleibt aufgrund der Krisenfolgen und mangelnden Maßnahmen weiterhin höchst angespannt. Insgesamt sind die Lebenszufriedenheit und das physische Sicherheitsgefühl in Österreich jedoch weiterhin hoch.

Den Wohlstand für die Vielen wieder erhöhen

Vor dem Hintergrund struktureller Probleme wie der zu hohen Treibhausgasemissionen sowie der einsetzenden Investitions- und Konsumschwäche und der sozialen Krise sind umfassende Maßnahmen notwendig. Kurzfristig muss ein sozial-ökologisches Investitions- und Qualifizierungspaket geschnürt werden. Dieses muss insbesondere

  • öffentliche Investitionen in den Klimaschutz,
  • einen Ausbau der Kinderbetreuung und der Pflege
  • sowie eine umfassende Qualifizierungsoffensive

beinhalten.

Um die mittel- und langfristige nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen zu fördern, sind insbesondere vier Handlungsfelder entscheidend:

  • Klimakrise bekämpfen

Um unsere Lebensgrundlagen zu schützen, braucht es mittelfristig einen sozialen und ökologischen Umbau, der die Menschen mitnimmt und mitentscheiden lässt. Es geht darum, unsere Wirtschaftsweise vom Zwang zu Wachstum und Profit zu lösen und auf Wohlstand neu auszurichten. Der öffentliche Sektor muss bei diesem Umbau vorangehen. Etwa die Hälfte aller erforderlichen Investitionen müssen von der öffentlichen Hand und den von ihr kontrollierten Unternehmen getätigt werden. Ein kommunaler Investitionsfonds wäre ein angemessenes Instrument, um den Ausbau der erneuerbaren Energien, die thermische Sanierung von Gebäuden, die Energieeffizienz und den Ausbau des öffentlichen Verkehrs voranzubringen. In der Landwirtschaft gilt es, Umbaukonzepte mit besonderem Fokus auf den Erhalt des Bodens und der Biodiversität zu entwickeln. Ohne entschlossenes und rasches Handeln droht Österreich seine Klimaziele zu verfehlen.

  • Mit konsequenter Verteilungspolitik aus der Teuerungskrise

Um die Kaufkraft der Menschen zu erhalten, muss die Teuerung eingedämmt werden. Dafür sind Eingriffe in die Preisgestaltung der Unternehmen am effizientesten. Die Regierung muss aus ihren Versäumnissen der letzten Monate lernen und bei der Mietpreisbremse nachschärfen. Eine wichtige Rolle spielen auch erfolgreiche Kollektivvertragsabschlüsse. Nachdem die Unternehmen ihre Gewinne deutlich erhöhen konnten, darf jetzt von der Politik keine Zurückhaltung bei den Lohnabschlüssen eingefordert werden. Diese würde die Ungleichheit nur noch weiter verschärfen. Stattdessen braucht es einen Abbau der Vermögenskonzentration sowie einen weiteren Ausbau des Sozialstaates, vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnen, Pflege und der Bekämpfung der Armut, insbesondere der gestiegenen Kinderarmut.

  • Frauenpolitik ernst nehmen

Viele Frauen wünschen sich eine Ausweitung ihrer Erwerbsarbeit, um finanziell unabhängig und auch im Alter gut abgesichert zu sein. Fehlende soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuungseinrichtungen sowie strukturelle Benachteiligungen wie die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Arbeit verhindern dies jedoch. Gerade die von mehrheitlich weiblichen Beschäftigten erbrachten Dienstleistungen (Gastronomie, Betreuung, Pflege) sind jene mit besonders niedrigen Einkommen und schlechten Arbeitsbedingungen. Aber auch in anderen Branchen sinkt der Gender-Pay-Gap viel zu langsam. Darüber hinaus ist die körperliche und sexuelle Gewalt, der Frauen in Österreich immer noch ausgesetzt sind, erschreckend. Hier braucht es dringend mehr finanzielle Mittel für Gewaltprävention und Opferschutzeinrichtungen.

  • Die mittelfristige Arbeitsmarktentwicklung für bessere Arbeitsbedingungen nutzen

In vielen Branchen kommt es zu einer Machtverschiebung von den Arbeitgeber:innen hin zu den Arbeitnehmer:innen. Diese Situation muss genutzt werden, um schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Löhne zurückzudrängen. Berufe, die für Wohlstand und Wohlergehen zentral sind, etwa in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Bildung, müssen aufgewertet und angemessen entlohnt werden. Gruppen, die es auf dem Arbeitsmarkt bisher besonders schwer gehabt haben, können mit Qualifizierungsangeboten und gezielter Vermittlung den (Wieder-)Einstieg nun leichter schaffen. Parallel dazu muss schrittweise eine spürbare Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich umgesetzt werden. Verkürzte Erwerbsarbeitszeit fördert ein langes, erfülltes Erwerbsleben und wirkt sich zudem positiv auf andere Bereiche eines guten Lebens, etwa Gesundheit und Verteilung der unbezahlten Arbeit, aus.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse des AK-Wohlstandsberichts 2023, der hier abrufbar ist.

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