Der Klimawandel ist heute nicht nur eine der größten politischen Herausforderungen, und zwar national genauso wie europäisch und international. Er ist zuletzt auch wahlentscheidend. Bei der vergangenen EU-Wahl wurden Parteien mit glaubwürdigen Ambitionen in Klimafragen belohnt. Und auch im aktuellen Nationalratswahlkampf kommt kaum eine politische Diskussion ohne die Gretchenfrage aus: „Wie hast du‘s mit der Klimapolitik?“
Klimapolitik als soziale Frage
Dabei wird eines deutlich: Die Mehrheit der politischen Kräfte in diesem Land hat erkannt, dass es Gebot der Stunde ist, dem Klimawandel entschieden entgegenzutreten. Gleichzeitig soll der Klimaschutz die Bevölkerung möglichst wenig belasten, umso weniger jene, die den Verbrauch an fossiler Energie zumindest kurzfristig kaum einschränken können. Proteste wie jene der Gelbwesten in Frankreich möchte man keinesfalls riskieren, Stimmenverluste bei einer Wahl ebenso wenig.
Wir lernen daraus: Klimapolitik ist eine soziale Frage. Da rein technologische Lösungen nicht die notwendige rasante Trendwende bringen werden, braucht es klimapolitische Ansätze, die gut vermittelbar sind und breite Unterstützung finden. Hier kommt die gewerkschaftliche Forderung nach einer „Just Transition“ sowie nach einer sozial gerechten Klimapolitik ins Spiel. Beschäftigungs- und Verteilungsfragen müssen in diesem Sinne im Kern berücksichtigt werden.
Ausgewählte Framings sozialer Gerechtigkeit
Just Transition: Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern wird insbesondere energieintensive Produktionsprozesse (Bsp. Stahlindustrie) sowie die Nachfrage nach manchen Gütern (Bsp. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren) grundlegend verändern, gleichzeitig aber auch neue Geschäftsfelder (Bsp. erneuerbare Energien) erschließen. Diese Entwicklungen müssen im Interesse der Beschäftigten begleitet (arbeitsmarktpolitische Einbettung) bzw. ausgestaltet (Sicherstellung guter Arbeit) werden.
Sozial gerechte Klimapolitik: Durch die erforderliche Energie- und Mobilitätswende werden sich auch die Kostenstrukturen in diesen Bereichen verändern. Schon heute werden bspw. die Kosten der Ökostromförderung auf die EndkundInnen überwälzt, während sich die Handlungsmöglichkeiten zur Anpassung des Heizsystems und des Mobilitätsverhaltens je nach Wohnort, Einkommen bzw. Vermögen und Lebensalltag unterscheiden. Hier ist auf Verteilungsgerechtigkeit zu achten.
Zivilgesellschaftliche Ansätze in der EU und in Österreich
In Europa denkt eine Vielzahl an AkteurInnen darüber nach, wie ambitionierte Strategien zur Dekarbonisierung sozial gerecht ausgestaltet werden können. Der Europäische Gewerkschaftsbund hat sich beispielsweise erst jüngst in unterschiedlichen Zusammenhängen – wie dem letzten UN-Gipfel – und Allianzen für eine progressive Klimapolitik in der EU mit Schwerpunkten wie „Just (and fair) transition“ und einem „Right to Energy“ ausgesprochen oder Leitlinien für einen gerechten Übergang veröffentlicht.
In Österreich haben Organisationen im Umfeld der zivilgesellschaftlichen Allianz Wege aus der Krise mit dem Positionspapier „Just Transition: Klimaschutz demokratisch gestalten!“ erarbeitet. Dort wird neben der Beteiligung von ArbeitnehmerInnen und BürgerInnen an allen klimapolitischen Weichenstellungen u.a. aktive Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik für die Sicherstellung sozialer Gerechtigkeit gefordert. Vision ist ein gutes Leben für alle, die Ausbeutung von Mensch und Natur soll beendet werden.
Forderungen der AK
Die AK hat sich nicht nur an diesem Positionspapier beteiligt. Sie engagiert sich sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene umfassend für die sozial gerechte Ausgestaltung einer ambitionierten Klimapolitik. In diesem Sinne hat sie nicht nur zur integrierten Klima- und Energiestrategie und zum Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) der letzten Bundesregierung Stellung bezogen. Sie hat auch klare Forderungen an die kommende Bundesregierung und die Europäische Kommission.
Auf europäischer Ebene erwartet sich die AK, dass der bisherige Weg einer multilateralen, ambitionierten Klimapolitik fortgeführt wird und die EU weiterhin in den internationalen Klimaverhandlungen eine führende Rolle einnimmt. Dabei müssen aber Fragen sozialer Gerechtigkeit innerhalb Europas – Verteilung der Systemumstellungs- und Anpassungskosten, Auswirkungen auf die Qualität und Quantität von Beschäftigung, negativ betroffene Beschäftigte – im Zentrum stehen.
Für eine „Just Transition“ in der EU werden unter anderem folgende Forderungen erhoben:
- Um eine gerechte Verteilung der Transformationskosten zu gewährleisten und soziale Härtefälle auszuschließen, müssen sich die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen mit ihrem Wissen umfassend in die Gestaltung der Dekarbonisierung einbringen können.
- Die Auswirkungen von klimapolitischen Strategien und Maßnahmen auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und auf unbezahlte Arbeit sind laufend zu evaluieren. Im Falle ungünstiger Auswirkungen sind geeignete Maßnahmen zu treffen und öffentliche Gelder bereitzustellen.
- ArbeitnehmerInnen, die ihre Arbeitsplätze verlieren, muss durch geeignete politische Maßnahmen der Umstieg in andere Tätigkeitsfelder ermöglicht werden. Während der Qualifizierung oder bei Arbeitslosigkeit muss ein gutes Einkommen gesichert sein.
- Die Gefahr von „Carbon Leakage“ (Abwanderung der Industrie in Drittstaaten aufgrund von unterschiedlichen CO2-Kosten) ist ernst zu nehmen. Forschungs- und Demonstrationsprojekte für zukunftsfähige Technologien sind zu unterstützen, Schutzmaßnahmen jedoch streng zu prüfen.
- Die Transformation wird in vielen Bereichen auch neue Beschäftigung schaffen, nicht zuletzt im öffentlichen Verkehr. Dabei sind gute Arbeitsbedingungen sicherzustellen, jegliche Verschlechterung der Sozialbedingungen ist entschieden zu bekämpfen.
- Bei der Dekarbonisierung des Verkehrs müssen der öffentliche Personenverkehr und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene im Zentrum Dafür ist die Herstellung von Kostenwahrheit zwischen den Verkehrsträgern (ökologische und soziale Kosten) unumgänglich.
- Die alte Europäische Kommission ging davon aus, dass die für die Dekarbonisierung notwendigen Investitionen größtenteils von Unternehmen und Haushalten getragen werden. Demgegenüber fordern wir eine massive Ausweitung der öffentlichen Investitionen („Green New Deal“).
- Darüber hinaus sind Handelsabkommen zukünftig auf ihre Klimawirkungen zu prüfen und den Klimaschutzambitionen widersprechende Passagen zu streichen. Der Gefahr von „Carbon Leakage“ (siehe oben) ist vorzubeugen, die Klimaschädlichkeit des Handels selbst zu reduzieren.
- Prinzipiell muss die wirtschaftspolitische Ausrichtung der EU von einer wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik abgelöst werden. Dabei geht es auch um verbindliche soziale Mindeststandards, eine solidarische Lohnpolitik und steuerpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Ungleichheit.
Auf nationaler Ebene erwartet die AK rasches, sozial ausgewogenes Handeln. Das umfasst u.a.:
- Eine umweltfreundliche Mobilitätsgarantie für alle. Das erfordert insbesondere im ländlichen Raum einen Ausbau des ÖV und „Mikro-ÖV“, die Umstellung auf CO2-neutrale Regionalbusse, den Ausbau der Bahn und eine flächendeckende Fahrradinfrastruktur.
- Eine Energiewende, bei der die Kosten des Ausbaus erneuerbarer Energien gerecht verteilt, thermische Sanierung und saubere Heiz- und Kühlsysteme gefördert und Energiearmut bekämpft werden. Grundlegend ist dabei auch der effiziente Einsatz von Energie.
- Ein sozial gerechtes und ökologisches Steuersystem. Dazu gehören auch Begünstigungen für die Bahn (Abschaffung der Energieabgabe) und die Erhöhung der österreichischen Flugabgabe, ein Öko-Bonus für PendlerInnen, die den ÖV nutzen, sowie eine Lkw-Maut auf allen Straßen.
- Wirksamen Hitzeschutz am Arbeitsplatz. Bei Innentemperaturen über 25° C und Außentemperaturen über 32° C sollen seitens der Arbeitgeber technische und organisatorische Schutzmaßnahmen ergriffen werden.
Dafür ist insbesondere die schnelle Umsetzung eines Investitionspakets für den Klimaschutz in der Höhe von rund 1 Mrd. Euro pro Jahr nötig (siehe Abbildung).