Gender-Pay-Gap gesunken – (k)ein Grund zum Feiern?!

28. Oktober 2022

Der Equal Pay Day datiert in Österreich heuer auf den 30. Oktober 2022. Ab diesem Tag müssen vollzeitbeschäftigte Frauen bis zum Jahresende 63 Tage gewissermaßen „gratis“ arbeiten, um auf das durchschnittliche Vollzeit-Jahreseinkommen der Männer zu kommen. Dass der Tag der Entgeltgleichheit etwas nach hinten gerückt ist, hat weniger mit angeglichener Entlohnung zu tun als mit (statistischen) Kriseneffekten. Für eine gendergerechte Arbeitswelt braucht es unter anderem höhere Einkommenstransparenz, moderne Arbeitszeitstandards und bessere Betreuungsinfrastruktur.

Gerade Österreich hat hohen Verbesserungsbedarf, was Geschlechtergerechtigkeit betrifft. Denn Österreich rangiert im europäischen Vergleich mit einem Minus von fast einem Fünftel zwischen den Stundenlöhnen von Frauen und Männern am drittletzten Platz. Im Schnitt der EU-27-Länder werden Frauen in der Stunde um „nur“ 13 Prozent niedriger bezahlt als Männer.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Länder mit eher niedriger Frauenerwerbsquote wie Italien weisen einen auffällig kleinen prozentuellen Stundenlohnunterschied auf. Das ist aber kein Resultat von mehr Geschlechtergerechtigkeit, sondern hängt damit zusammen, dass die relativ wenigen erwerbstätigen Frauen im Schnitt besser ausgebildet sind als Männer.

Equal Pay Day in den Bundesländern: von 2. Oktober bis 18. November 2022

Mit Blick auf das Jahreseinkommen gehen die Entgeltunterschiede in die Tausende. Das gilt auch bei Betrachtung ausschließlich ganzjährig Vollzeitbeschäftigter. Demnach erhalten Frauen österreichweit trotz Vollzeit im Schnitt um 9.420 Euro – das sind 17,1 Prozent – weniger als Männer. Wird dieser prozentuelle Vollzeit-Einkommensunterschied (Einkommensnachteil in Prozent der Männereinkommen 2020) auf den Kalender und seine 365 bzw. 366 Tage umgelegt, ergibt sich der „Equal Pay Day“ (EPD). Dieses Jahr datiert er auf den 30. Oktober: Dann wird ein männlicher Vollzeit-Arbeitnehmer im Schnitt bereits jenes Arbeitseinkommen erreicht haben, wofür eine weibliche Vollzeitbeschäftigte noch bis Jahresende arbeiten muss. Frauen werden 2022, statistisch gesehen, die weiteren 63 Tage des Jahres also quasi „gratis“ arbeiten. Mit dem „Equal Pay Day“ soll in salopper Form auf die – abseits der teilzeitbedingten – Einkommensunterschiede aufmerksam gemacht werden. Mit dem prozentuell höchsten Lohn-Gap müssen die Vorarlbergerinnen am längsten „gratis“ arbeiten, nämlich 91 Tage, gefolgt von Oberösterreich (77 Tage). Am besten ist Wien platziert, wo der Tag der Entgeltgleichheit „nur“ 44 Tage vom Jahresende entfernt ist.

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Wie wird der Gender-Pay-Gap berechnet

Wir berechnen den Gender-Pay-Gap auf Basis der aktuellen Lohnsteuerstatistik der Statistik Austria. Diese zieht die Daten aus den Jahreslohnzetteln der unselbstständig Erwerbstätigen und Pensionist:innen heran. Da die Dienstgeber:innen sowie die Pensionsversicherung und die Krankenkasse die Jahreslohnzettel erst bis Ende Februar des Folgejahres dem Finanzamt übermitteln müssen und die Statistik Austria folglich erst danach die Daten zur Verfügung gestellt bekommt, erscheint die Lohnsteuerstatistik immer erst am Ende des Folgejahres. D. h. im Dezember 2021 erschien die Lohnsteuerstatistik 2020. Folglich beruhen die Berechnungen des Gender-Pay-Gaps und des Equal Pay Day für 2022 auf den Lohnsteuerdaten von 2020.

Da Teilzeitarbeit zwischen den Geschlechtern sehr unterschiedlich verteilt ist und auch das Stundenausmaß der einzelnen Teilzeitbeschäftigungen stark variiert, werden zur Berechnung des Gender-Pay-Gap die durchschnittlichen Brutto-Jahreseinkommen der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten herangezogen und verglichen. Brutto-Jahreseinkommen beinhalten neben den laufenden monatlichen Bezügen auch den Urlaubszuschuss, die Weihnachtsremuneration, bezahlte Überstunden, Prämien, Zulagen, Abfertigungen und andere Sonderzahlungen.

Die Einkommensschere schließt sich in Krisen schneller

Der Gender-Pay-Gap reduziert sich jährlich mit leichten Schwankungen im Schnitt um rund 0,4 Prozentpunkte. Schließt sich diese Schere einmal in einem Jahr um mehr als einen Prozentpunkt, lohnt sich jedenfalls ein genauerer Blick auf die Hintergründe. Denn die Ursache dafür ist meist nicht in einem übermäßigen Fortschreiten der Gleichbehandlung zu finden.

So reduzierte sich der Gender-Pay-Gap im Jahr 2011 um 1,3 Prozentpunkte. Berechnungsbasis dafür war die Lohnsteuerstatistik 2009. Im Zuge der damaligen Weltwirtschaftskrise sank auch in Österreich das Bruttoinlandsprodukt um 3,8 Prozentpunkte. Durch die damals eingeführte Kurzarbeit und den Wegfall von Überstundenentgelten stieg das durchschnittliche Brutto-Jahreseinkommen der vollzeitbeschäftigten Männer nur halb so hoch wie jenes der Frauen.

Auch im Jahr 2022 ist der Gender-Pay-Gap um 1,5 Prozentpunkte geringer als im Jahr 2021. Wie schon erwähnt, betrachten wir hier eigentlich die Daten aus dem Jahr 2020. Dem Jahr, in dem Mitte März ein landesweiter Lockdown verhängt wurde, die Arbeitslosigkeit auch kurzfristig rasch anstieg und wieder viele Menschen in Kurzarbeit geschickt wurden.

Ganzjährig vollzeitbeschäftigt blieben vor allem Industriebeschäftigte und jene, die im Homeoffice arbeiten konnten. Dies wiederum ist vor allem besser bezahlten Arbeitnehmer:innen möglich. Somit sind relativ viele (vor allem schlechter bezahlte) Frauen aus der für den Gender-Pay-Gap relevanten Statistik verschwunden.

Ein Blick hinter die Kulissen – die statistischen Hintergründe

  • Betrachtet man die österreichweite Einkommensschere der Geschlechter nach sozialer Stellung, zeigt sich, dass bei den Arbeiter:innen der Einkommensunterschied mit 25,03 Prozent am größten ist. Hier war der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr mit 0,29 Prozentpunkten am geringsten. Hier zeigt sich aber auch der größte Rückgang an ganzjährig Vollzeitbeschäftigten, während bei den Angestellten sogar ein leichtes Plus zu verzeichnen ist.
  • Betrachtet man die Entwicklung der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten und deren Bruttojahresbezüge nach Bruttobezugsstufen, so zeigt sich bis inkl. der Bezugsstufe „40.000 bis unter 50.000 Euro“ durchgängig ein Rückgang der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten, in den darüber liegenden Stufen kam es sogar zu einem Beschäftigungszuwachs. Während es in den unteren Bezugsstufen auch zu einem Rückgang des durchschnittlichen Jahresbruttobezuges kam, stieg dieser in den meisten oberen Bezugsstufen (über 25.000 Euro).
  • Nach Branchen betrachtet, zeigt sich ein signifikanter Rückgang bei den ganzjährig Vollzeitbeschäftigten in den Bereichen Beherbergung, Gastronomie, aber auch bei der Arbeitskräfteüberlassung.

Es zeigt sich also eindeutig, dass durch die Pandemie gerade die unteren Einkommensschichten und die Branchen mit geringen Einkommen betroffen sind, während in den höheren Einkommensschichten die Anzahl der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten und die Einkommen steigen.

Weniger Überstunden(entgelte) der Männer

Ein weiterer Faktor für das schnellere Schließen der Einkommensschere ist der krisenbedingte Wegfall der Überstundenentgelte der Männer. Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise 2009 betraf der Konjunktureinbruch vor allem den männerdominierten produzierenden Bereich, die Metallerzeugung und -verarbeitung sowie den Maschinen- und Fahrzeugbau. In diesen Bereichen stützte die eingeführte Kurzarbeit zwar Arbeitsplätze, führte aber zu einem Wegfall der Überstundenentgelte, womit es zu einem geringeren Anstieg der Durchschnittseinkommen von Männern kam. Auch das ist anhand der Lohnsteuerstatistik 2020 zu beobachten: In Summe wurden in der Krise weniger Überstunden geleistet, was Männer stärker betraf als Frauen. Bei den ganzjährig vollzeitbeschäftigten Männern gab es einen geringeren Beschäftigungsrückgang als bei den Frauen, wobei es bei ihnen durch den kurzarbeitszeitbedingten Wegfall ihrer Überstunden(entgelte) zu einem geringeren Anstieg ihrer Durchschnittseinkommen im Vergleich zum Vorjahr kam.

Arbeitslosigkeit und Umbrüche am Arbeitsmarkt

Untersuchungen zur Auswirkung von Arbeitslosigkeit auf den Gender-Pay-Gap weisen zudem darauf hin, dass der Lohnunterschied bei hoher Arbeitslosigkeit tendenziell geringer ausfällt.

Neben konjunkturellen Folgen spielen aber auch Umbrüche in bestimmten Arbeitsmarktsektoren und damit verbunden veränderte Arbeitsmarktstrukturen eine Rolle für die Veränderung des geschlechtsspezifischen Lohnunterschieds.

All dies führt dazu, dass sich der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern zwar verkleinert, aber trotz „positiver Verzerrung“ bei den Frauen noch immens hoch bleibt. Obwohl in der Statistik vorwiegend gutverdienende Frauen übriggeblieben sind, verdienen diese Frauen noch immer um 17,1 Prozent weniger als Männer.

Equal Pay Day als politisches Instrument

Und es wird deutlich: Krisen verringern tendenziell den Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern. Auch wenn keine Gleichstellungspolitik betrieben wird. Krisen verschärfen in der Tendenz die bereits vor der Krise existierenden Ungleichheitsstrukturen und führen damit langfristig zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, vor allem wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Ein sinkender Gender-Pay-Gap in Krisenzeiten ist daher nicht automatisch ein gutes Zeichen. Vielmehr muss der Indikator Gender-Pay-Gap in den Kontext von Arbeitsmarktentwicklungen und -strukturen gesetzt und Gleichstellungspolitik als Querschnittsmaterie auch in Krisenzeiten forciert werden. Der Gender-Pay-Gap kann dabei als ein politisches Instrument dienen, dabei muss er klug eingesetzt werden. Auch wenn eine grundsätzliche Tendenz zum Schließen der Einkommensschere zwischen den Geschlechtern sichtbar ist, so ist das kein Automatismus.

Ziel: Tag der Entgeltgleichheit = 31. Dezember!

Wichtige Ansatzpunkte für eine gendergerechtere Arbeitswelt sind:

+ Einkommenstransparenz in den Unternehmen

Es reicht nicht, nur Einkommensberichte zu erstellen, vielmehr müssen daraus konkrete Schritte zur Beseitigung der Lohnschere erfolgen. Einkommensberichte sollten mit einem Frauenförderplan zum Abbau von Benachteiligungen verknüpft werden. Zudem braucht es vollständige innerbetriebliche Lohntransparenz, um Benachteiligungen sichtbar zu machen. Halten sich Arbeitgeber:innen nicht an die Vorgaben, dann braucht es Sanktionen.

+ Ausbau der Kinderbetreuung, Kinderbildung und Pflegeangebote

Es braucht qualitativ hochwertige und leistbare Care-Arbeit, verbindliche Qualitätskriterien, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Kinderbetreuung und Langzeitpflege. Diese Leistungen müssen flächendeckend verfügbar, leistbar und auf die Bedürfnisse und Bedarfe der unterstützten Menschen abgestimmt sein. Kontinuität muss sichergestellt und ein angemessener Umfang gewährleistet werden, damit Frauen ausreichend Zeit haben, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können.

+ Moderne Arbeitszeitstandards – Familienarbeitszeit einführen

Eine „kurze Vollzeit für alle“ durch moderne Formen der Arbeitszeitverkürzung wie das Recht auf regelmäßige 4-Tage-Woche (mit verkürzter Wochenarbeitszeit) kann die Angleichung der Arbeitszeiten erleichtern – ebenso der von ÖGB und AK präsentierte Vorschlag einer „Familienarbeitszeit“, der Eltern finanziell belohnen soll, wenn sich beide ungefähr gleich viel Zeit für die Kinderbetreuung und für die Erwerbsarbeit nehmen. Von dieser zusätzlichen Geldleistung, die die finanziellen Einbußen abfedern soll, wenn beide Elternteile die Arbeitszeit auf ein ähnliches Ausmaß reduzieren bzw. erhöhen, würden beide Elternteile profitieren: Väter hätten mehr Zeit für ihre Kinder und Mütter wären mehr Stunden erwerbstätig und könnten mehr verdienen.

+ Datenqualität und -erfassung verbessern

Es braucht insgesamt bessere und schnellere Daten, etwa sollte die Verdienststrukturerhebung in kürzeren Abständen erhoben werden. Diese wird bisher nur alle vier Jahre erhoben. Jedenfalls braucht es aber umfassende Einkommensdaten auf Stundenbasis sowie eine systematische Erhebung der Arbeitszeit, um valide Aussagen über die Effekte von Voll- und Teilzeit ausarbeiten zu können.

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