Profitgetriebene Inflation befeuert Armut in Österreich. Zur neuen WIFO-Prognose

28. Juni 2023

Die Inflationsdynamik schwächt sich bis Jahresende ab – gemäß aktueller WIFO-Prognose allerdings langsamer als angenommen. Zudem stagniert Österreichs Konjunktur heuer, der Industrie droht sogar eine Rezession. Trotz nachholendem Kaufkraftausgleich dank erfolgreicher Lohnverhandlungen rutscht ein Teil der Bevölkerung in Armut ab. Von konsum- oder nachfragegetriebener Inflation kann also bisher keine Rede sein. Zur Dämpfung der Inflation muss die Regierung dringend preisreduzierende Maßnahmen umsetzen – insbesondere bei Gas, Fernwärme und Mieten.

Nach Energiepreisschock folgten Gewinn-Preis-Spiralen

Auf die russische Invasion in die Ukraine folgte eine Energiekrise, die zu exorbitanten Anstiegen bei Gas- und daran gekoppelte Strompreise führte. Aktuell rechnet das WIFO mit einer Inflation von 7,5 Prozent für 2023 und 3,8 Prozent für 2024. Im Zuge der Preissteigerungen haben viele Unternehmen ihre Preise über ihre Kostensteigerungen hinaus erhöhen können. Das bestätigt nun auch die OeNB. 2022 haben die Unternehmensgewinne eine maßgebliche Rolle in der Inflation gespielt. Die Profite sind im letzten Jahr um fast ein Viertel gestiegen. Besonders in den Bereichen Energie, Bergbau, Wasser, dem Bausektor, der Land- und Forstwirtschaft sowie dem Verkehrssektor ist die Inflation fast zur Gänze auf die Gewinnentwicklung zurückzuführen. Auch die Banken und Versicherungen erwirtschaften derzeit Gewinnrekorde auf Kosten ihrer Kund:innen.

Hinzu kommt die Miet-Preis-Spirale. Die automatischen Anpassungen in Mietverträgen bescheren dem reichsten Zehntel stark steigende Gewinne. Für immer mehr Mieter:innen werden die Ausgaben zur schweren finanziellen Belastung. In Kategoriemietverträgen bekommen die Bewohner:innen demnächst die vierte Erhöhung in 15 Monaten, die zu einer Mietsteigerung von insgesamt fast 24 Prozent führt.

Die gewerkschaftlichen Lohnverhandlungen in Österreich hinken diesen rasanten Preissteigerungen aber hinterher. Das liegt in der Struktur der Kollektivvertragsverhandlungen, die die durchschnittliche Inflation der letzten zwölf Monate plus der mittelfristigen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung berücksichtigen. In Zeiten niedriger Inflationsraten ist der Bezug auf die vergangenen zwölf Monate nicht nennenswert, hat aber aktuell merkbare negative Effekte auf die Kaufkraft.

Inflation befeuert Armut

Die Anzahl der Personen in erheblicher Armut ist durch die Covid-Pandemie und Teuerungskrise um mehr als 40.000 auf über 200.000 Menschen gestiegen. Die Hälfte dieser Personen kann ihre Wohnungen nicht angemessen warmhalten, zwei Drittel können sich keine neue Kleidung kaufen, kaum jemand kann sich unerwartete Ausgaben wie etwa den Ersatz einer kaputten Waschmaschine leisten. In diesen akut von Armut betroffenen Haushalten leben auch 36.000 Kinder mitten in einem der reichsten Länder der Welt. Im 4. Quartal 2022 erwarteten 1,7 Millionen Menschen Zahlungsschwierigkeiten bei Wohn- und Energiekosten in den nächsten drei Monaten.

Auch wenn die monatlichen Inflationsraten zurückgehen: Das Leben ist in den letzten zwei Jahren deutlich teurer geworden. Die Mehrausgaben sind vor allem für das unterste Einkommenszehntel enorm: Die zusätzliche Belastung beläuft sich für diese Haushalte auf 24,7 Prozent des Haushaltseinkommens, wovon zwei Drittel nur auf Nahrungsmittel, Wohnen und Energie entfallen. Die offiziellen Armutsgefährdungsquoten könnten aufgrund der verzögerten Erfassung massiv unterschätzt sein, worauf auch die Schuldenberatung hinweist: die notwendigen monatlichen Ausgaben für Haushalte steigen, und allein letztes Jahr stiegen die Erstkontakte bei den Schuldenberatungen um ein Zehntel.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Das jüngste Anti-Teuerungspaket für Familien der Bundesregierung ist ein erster wichtiger Schritt, dieser gestiegenen Armut zu begegnen. Wie von der AK gefordert ist die Unterstützung für Empfänger:innen von Sozialhilfe oder Mindestsicherung zielgerichtet: Laut jüngsten Berechnungen des Budgetdiensts kommt die Entlastung mehr als der Hälfte dem unteren Einkommensfünftel zugute, dessen verfügbares Einkommen dadurch um rund ein Prozent steigt.

Die faktenarme Mär von der nachfragegetriebenen Inflation

Trotz berechtigter Kritik an den Entlastungs- und Anti-Teuerungsmaßnahmen kann man der österreichischen Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie kleinlich war. Mit dem angekündigten Gesamtvolumen dieser Maßnahmen belegen wir im europäischen Vergleich den fünften Platz. Allerdings: Mehr als ein Viertel davon gibt der Bund bis heuer allein für Landwirtschafts- und Unternehmenshilfen aus und nur ein kleiner Teil ist bereits tatsächlich bei den privaten Haushalten angekommen.

Einkommensschwächere Haushalte wären vor allem ohne die Einmalzahlungen noch schlechter durch die Energiekrise gekommen. Der Großteil der privaten Haushalte profitierte bisher vor allem von den kollektivvertraglichen Lohnverhandlungen, wie die erfolgreichen Abschlüsse der Gewerkschaften in der Frühjahrslohnrunde zeigen. Das passiert nicht automatisch, wie die Mietanpassung, sondern wird jedes Mal aufs Neue verhandelt und vom ÖGB erkämpft.

Das hat aber keineswegs zur Konsumeuphorie geführt. Im Jahr 2022 war der reale, also preisbereinigte, private Konsum um 0,8 Prozent niedriger als noch vor der Pandemie im Jahr 2019 (pro Kopf sogar um 4 Prozent niedriger). In einer unterjährigen Betrachtung sank das Konsumniveau seit mehreren Quartalen kontinuierlich, erst im ersten Quartal 2023 war ein minimaler Zuwachs zu verzeichnen (+0,4 Prozent). Gerade im Vergleich zur Eurozone hinkt der private Konsum in Österreich hinterher. Trotzdem versuchen manche die hierzulande überdurchschnittliche Inflation mit der Konsumentwicklung zu argumentieren.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Besonders in Zeiten hoher Inflation ist es essenziell, mit realen, also inflationsbereinigten Daten zu argumentieren, da Aussagen anhand nomineller Werte im Mehrjahresvergleich wertlos und irreführend werden. Ein passendes Beispiel: Im Vergleich zum Vorjahr haben österreichische Haushalte 5 Prozent weniger Lebensmittel gekauft, die Ausgaben dafür sind aber um 11 Prozent gestiegen. Im Vergleich zu 2019 werden in Österreich derzeit pro Kopf 4 Prozent weniger Nahrungsmittel (in kg) eingekauft.

Bisher gibt es also keine Anzeichen und Prognosen, dass eine gesteigerte Nachfrage der Haushalte die hohen Inflationsraten verursachen würden. Die kaufkrafterhaltenden Lohnverhandlungen und die Maßnahmen konnten Einkommen und Konsum stabilisieren, einen starken nachhaltigen Einfluss auf die Inflation hatten die Lohnsteigerungen bisher nicht. Auch die OeNB kommt in ihrer Analyse zu den Inflations-Effekten der staatlichen Maßnahmen zum Schluss, dass die Auswirkungen 2022 äußerst gering waren.

Nur preisreduzierende Maßnahmen dämpfen die Inflation nachhaltig

Leider war die Strompreisbremse die einzige Maßnahme der Regierung, die einen unmittelbaren inflationsdämpfenden Effekt hatte. Diese wurde jedoch so ausgestaltet, dass die Stromanbieter:innen ihre Preise ohne Nachweis gestiegener Kosten erhöhen konnten, wie es bspw. in Deutschland umgesetzt wurde. Neidvoll blicken viele aktuell auf Länder wie Spanien (HVPI-Inflation im Mai 2023: +2,9 Prozent), die rechtzeitig auf Preiseingriffe in Gas- und Strommärkte setzten. Eine frühzeitige Neugestaltung der Strompreisbildung hätte einen wesentlichen Beitrag zur Dämpfung der Inflationsdynamik geleistet.

Auch wenn das Thema Heizen in den Sommermonaten eine geringere Rolle spielt – in der Inflationsrate sind Gas, Fernwärme sowie feste Brennstoffe wie Holz der mit Abstand stärkste Preistreiber. Hier muss es rasch zu weiteren Maßnahmen kommen.

Ähnliches gilt für die Mietenbremse: einige Länder haben es uns vorgemacht, während sich die Bundesregierung in letzter Minute gegen eine Mietenbremse entschieden hat. Vermieter:innen gehören zweifellos zur finanziell besser ausgestatteten Gruppe. Sie hätten geringere Gewinne sicherlich besser verkraftet als Mieter:innen zusätzliche Ausgaben. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die angekündigte Verschärfung des Wettbewerbsrechts und das Einfrieren der Bundesgebühren. Denn: Nur preisreduzierende Maßnahmen dämpfen die Inflation nachhaltig.