Was tun gegen hohe Inflation? Lehren aus europäischen Fallstudien

24. Februar 2023

Die Inflations- und Energiekrise hält Europa fest im Griff. Alle Länder reagierten auf diese Herausforderung – die konkreten wirtschaftspolitischen Antworten unterscheiden sich jedoch erheblich. Vergleicht man etwa jene Spaniens – das Land mit der aktuell niedrigsten Inflation – mit Österreich, so zeigt sich, dass Markteingriffe in den Preisbildungsmechanismus besonders effizient sind.

Nach der russischen Invasion in der Ukraine und der darauffolgenden Energie- und Rohstoffversorgungskrise geriet die Inflation in den Mittelpunkt wirtschaftspolitischer und medialer Diskussionen. Europaweit waren Regierungen mit den Herausforderungen konfrontiert, die Teuerung zu reduzieren und deren soziale und wirtschaftliche Auswirkungen zu dämpfen. Um einen Einblick in die nationalen Inflationspolitiken zu erhalten, beauftragte die Abteilung für Wirtschaftswissenschaften und Statistik der Arbeiterkammer Wien zusammen mit dem deutschen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung (IMK) und dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zehn Länderfallstudien. Drei davon – jene für Österreich, Spanien und Polen – wurden in der neuen Ausgabe von „Wirtschaft und Gesellschaft“ veröffentlicht. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die Preis- und Lohnentwicklungen sowie die wirtschaftspolitischen bzw. antiinflationären Maßnahmen, welche bis inklusive Herbst 2022 zur Reduktion der Inflation eingesetzt wurden. Dabei konnten viele Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den länderspezifischen Maßnahmen herausgearbeitet werden. In diesem Blogbeitrag widmen wir uns den wichtigsten Lehren und Schlussfolgerungen aus den Länderfallstudien und blicken dabei insbesondere auf die Maßnahmen in Österreich, Spanien und Polen.

Drei Fallstudien zu europäischer Inflationspolitik: Österreich, Spanien und Polen

Österreich, Spanien und Polen bilden einen guten Querschnitt, um die Wirkungen unterschiedlicher Inflationspolitiken in Europa zu beurteilen. Die Länder sind nicht nur historisch, politisch und geografisch unterschiedlich geprägt, sondern unterscheiden sich auch in ihren wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und aktuellen Herausforderungen. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass Spanien und Österreich Mitgliedsstaaten der Eurozone sind, während Polen mit dem Zloty eine eigene Währung besitzt. Hinzu kommt, dass sich Polen in unmittelbarer geografischer Nähe zum Ukraine-Krieg befindet und durch die Notwendigkeit einer weiteren Annäherung an die Lebens- und Lohnstandards der alten EU-15-Mitgliedsstaaten mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert ist.

Ein Blick auf die Grafik gibt zunächst Aufschluss über die Inflationsentwicklung in Österreich, Spanien und Polen im Zeitverlauf. Die Inflationsraten in allen drei Ländern stiegen zwischen Jänner und Juli 2022 im europäischen Trend, deutliche Unterschiede sind allerdings im weiteren Verlauf zu erkennen. Zwar nahm die Inflation in Österreich und Spanien zwischen April und Juli von 7,1  auf 10,7 Prozent zu, die Preise in Polen stiegen aber deutlich stärker an. Im Juli erreichte die Inflation in Polen 14,2 Prozent und kletterte im Oktober auf über 16,4 Prozent. Auffallend ist ebenso die unterschiedliche Inflationsentwicklung in Österreich und Spanien seit August 2022. Während Österreichs Inflation im Oktober auf über 11,6 Prozent anstieg – und damit das Rekordhoch des Jahres 1974 knackte –, sank Spaniens Inflation auf 7,3 Prozent.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Inflationsmaßnahmen im Überblick: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Hinsichtlich der von der österreichischen, polnischen und spanischen Regierung ergriffenen Maßnahmen zur Abschwächung der inflationären Auswirkungen und zur Umkehr des Inflationstrends können sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede hervorgehoben werden. Die antiinflationären Maßnahmen fallen dabei in fünf große Kategorien: soziale und wirtschaftliche Transfers, Steuersenkungen, Preiskontrollen, Mindestlohnpolitik und weitere Maßnahmen.

Transfers & Steuersenkungen

Gemeinsamkeiten der Anti-Teuerungs-Maßnahmen der Länder findet man vor allem bei den Transferzahlungen an Haushalte und Subventionen für Unternehmen. Um die Auswirkungen der Preissteigerungen abzufedern, wurden insbesondere Haushalte mit niedrigen Einkommen durch Transferzahlungen unterstützt. Im Wesentlichen wurde dadurch versucht, das verfügbare Haushaltseinkommen zu erhöhen, Reallohnrückgängen entgegenzuwirken und manifeste Armut zu verhindern. In Österreich spielen die Unternehmenssubventionen eine besonders große Rolle.

Preiskontrollen

Preiskontrollen stellen eine weitere bedeutsame Maßnahme dar, die in allen drei Ländern umgesetzt wurde, um den steigenden Energiepreisen Einhalt zu gebieten. Die Bereitschaft der Regierungen, direkt in die Marktpreisbildung einzugreifen, war jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt.

Während Spanien eine breitere Palette von Preiskontrollen einführte, konzentrierten die österreichische und polnische Regierung ihre Bemühungen auf den Strommarkt. In Österreich sieht die Stromkostenbremse einen staatlichen Zuschuss von maximal 30 Cent pro kWh für Haushalte für jährlich bis zu 2.900 kWh vor. Polens Regierung kündigte für 2023 ähnliche Pläne an.

Spanien sticht aufgrund breitflächig eingesetzter Preiskontrollen heraus: Preiskontrollen auf dem Wohnungsmarkt begrenzen den Preisanstieg der Wohnungsmieten auf zwei Prozent pro Jahr. Auf dem Energiemarkt wurden einerseits Endkundenpreiskontrollen, die den Anstieg der Gaspreise für bereits regulierte Tarife (PVPC) begrenzen, und andererseits die Großhandelspreiskontrolle („iberische Ausnahme“), die den Gaspreis am Strommarkt deckelt, eingeführt. Mit der seit Juni 2022 geltenden „iberischen Ausnahme“ ist es Spanien gelungen, den Stromgroßhandelspreis vom Preisanstieg an den internationalen Gasmärkten abzukoppeln. Die Kompensation für die Energieerzeuger, die Erdgas verwenden, kostet weniger als die Reduzierung des Marktpreises, was die „iberische Ausnahme“ zu einem interessanten Fall für eine Marktstabilisierung durch eine Preisobergrenze macht.

Mindestlohnpolitik

Die Erhöhung des Mindestlohns war eine weitere wichtige politische Maßnahme, um das Reallohneinkommen in Zeiten hoher Inflation aufrechtzuerhalten. In Polen kündigte die Regierung Pläne an, den Mindestlohn im Jahr 2023 zweimal zu erhöhen. Ebenso hat die spanische Regierung eine Anhebung der Mindestlöhne für 2023 um 8 Prozent beschlossen. In Österreich existiert zwar keine gesetzliche Regelung für einen expliziten Mindestlohn, doch haben die Gewerkschaften ihre Mindestlohnziele in den Kollektivverträgen deutlich nach oben geschraubt. In manchen Kollektiven (z. B. Tischler:innen, private Busfahrer:innen) konnten Mindestlohnzuwächse über die Forderung von 2.000 Euro brutto hinaus erreicht werden.

Lehren aus den Fallstudien

Armutsfeste Sozialleistungen durch Valorisierung

Alle untersuchten Länder haben Soforttransfers eingesetzt, um eine unmittelbare Zunahme manifester Armut aufgrund der dramatischen Preissteigerungen zu vermeiden bzw. zumindest zu reduzieren. Allerdings waren nicht alle Soforttransfers treffsicher: Automatische Stabilisatoren, die für die Valorisierung von Sozialtransfers sorgen, waren nur unzureichend gegeben. Österreich hat beispielsweise eine solche Valorisierung 2023 eingeführt – allerdings wurde der Wertverlust der Vorjahre vieler wichtiger Sozialleistungen nicht aufgeholt. In Zeiten hoher Teuerung wäre diese Anpassung aber umso wichtiger gewesen.

Das iberische Modell: Was wir von Spanien lernen können

Das iberische Modell sticht durch den breiten Mix an unterschiedlichen Maßnahmen heraus. Von Steuersenkungen über Mindestlohnpolitik bis hin zu direkten Markteingriffen hat die spanische Regierung ein vielschichtiges Maßnahmenpaket zur Inflationsbekämpfung eingesetzt. Vor allem der Eingriff in den Stromgroßhandel kann als positives Beispiel für proaktive Wirtschaftspolitik in der Teuerungskrise gewertet werden, aber auch die Beschränkung der Mieterhöhungen. Durch einen wohlüberlegten Eingriff in den Preisbildungsmechanismus zeigte sich, dass Markteingriffe eine effizientere Wirkung als Transferzahlungen entfalten können. Die Eingriffe in den Strommarkt nach spanischem Vorbild wären vor allem für die EU-weite Umsetzung ein gutes Vorbild, wie auch die Studie der Energieagentur zeigt.

Politische Reaktionsfähigkeit & Sozialpartnerschaft als Inflationsdämpfer

Die aktuelle Inflationskrise hat einmal mehr die Bedeutung starker staatlicher Institutionen, welche schnell und flexibel auf multiple Krisen reagieren können, hervorgehoben. Dabei erscheint insbesondere die Einführung umsichtiger und treffsicherer wirtschafts- und sozialpolitischer Maßnahmen das Fundament für eine nachhaltige Krisenbewältigung zu sein.

In Wechselwirkung mit der Politik stellt die Sozialpartnerschaft in diesem Kontext einen unverzichtbaren gesellschaftspolitischen Akteur dar. Insbesondere in Spanien erwies sich die Möglichkeit, rasche Lohnerhöhungen für Geringverdiener:innen sicherzustellen, während die vollständige Inflationsanpassung für Bezieher:innen höherer Einkommen zeitlich gestreckt wurde, als wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument.

Die enge Abstimmung zwischen Politik und Sozialpartnerschaft hat sich nicht nur während der Teuerungskrise als hilfreich erwiesen, sie ist auch eine Voraussetzung zur positiven Bewältigung anderer aktueller und zukünftiger Krisen, um einen ökologisch und sozial nachhaltigen Lebensstandard zu schaffen.

Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des Editorials der aktuellen Ausgabe der „Wirtschaft und Gesellschaft“, die auch die drei Detailanalysen zu Österreich, Spanien und Polen enthält.

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