Rezession bleibt (hoffentlich) kurz, Inflation trifft nicht alle gleich. Zur neuen WIFO-Prognose

15. Dezember 2022

Die österreichische Wirtschaft fällt laut WIFO im Winterhalbjahr in eine kurze Rezession, im Jahresdurchschnitt 2023 beträgt das reale Wirtschaftswachstum nur +0,3%. Die Inflationsrate sinkt dank nachlassender Öl- und Gaspreise leicht auf 6,5%. 2022 haben staatliche Einmalzahlungen die Teuerung für die breite Bevölkerung abgefedert. Die kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen und die Arbeitskräfteknappheit in manchen Branchen können nun für längerfristige höhere Reallöhne genutzt werden, um den Wohlstand der arbeitenden Bevölkerung zu erhöhen und besonders untere Einkommensschichten gegen die hohe Inflation abzusichern. Zudem sind höhere Investitionen gegen die Klimakrise dringend, Österreich ist beim notwendigen Rückgang des Ausstoßes an Treibhausgasen weitab vom Pfad.

Kurze Rezession im Winterhalbjahr 2022/23

Die aktuelle WIFO-Konjunkturprognose bietet wenig Überraschungen. Nach einem starken, von Export und Konsumnachfrage getragenen Wirtschaftswachstum 2022 (real +4,7%) wird für das Winterhalbjahr ein Rückgang der Wirtschaftsleistung erwartet, bevor im Frühjahr eine leichte Erholung einsetzen soll (Jahresdurchschnitt 2023 real +0,3%). Die Prognose muss als recht optimistisch gelten, eine stärkere Abschwächung infolge der hohen Instabilität der Finanz- und Immobilienmärkte oder von Verschuldungskrisen droht.

Die Konsumnachfrage der privaten Haushalte bleibt 2023 vor allem dank kräftiger Lohnerhöhungen und eines weiteren Rückgangs der Sparquote eine wichtige Konjunkturstütze (real +1,3%). Die Investitionen wachsen im Jahresdurchschnitt nicht, in der Industrie sagt das WIFO eine Rezession voraus, die Wertschöpfung soll real um 2,2% sinken.

Geringfügiger Anstieg der Arbeitslosigkeit, Chance Arbeitsmarktreform vertan

Der Arbeitsmarkt zeigt sich gegenüber dem Konjunkturabschwung weitgehend resistent. Das WIFO geht von einem Anstieg der Anzahl der Arbeitslosen um 8.000 Personen auf 271.700 im Jahresschnitt aus. Das ist deutlich weniger als in Rezessionen der Vergangenheit, auch weil das Angebot an Arbeitskräften demografiebedingt kaum noch wächst. Dennoch ist die Arbeitslosenquote mit 6,5% der unselbständigen Erwerbspersonen noch erheblich von Vollbeschäftigung entfernt. Arbeitslose sind nach wie vor eine der am stärksten armutsgefährdeten sozialen Gruppen in Österreich. Die Absage der lange angekündigten Arbeitsmarktreform der Bundesregierung ist somit auch eine vertane Chance, die Arbeitslosenversicherung armutssicher zu gestalten. Zudem sind mehr Qualifizierungsangebote notwendig, damit Arbeitnehmer:innen unter den günstigen Rahmenbedingungen einer Knappheit an Arbeitskräften in Unternehmen und Branchen wechseln können, die höhere Löhne und Gehälter zahlen sowie gute Arbeitsbedingungen bieten. Für Langzeitarbeitslose wird eine Jobgarantie wie in Gramatneusiedl benötigt, die nachweislich positive Effekte mit sich bringt.

Kaum Rückgang der Treibhausgasemissionen

Bei den Treibhausgasemissionen prognostiziert das WIFO einen merklichen Rückgang um 3% für 2022. Dieser ist allerdings nur halb so hoch wie es für die Erreichung der Klimaziele notwendig wäre. 2023 sinken die Treibhausgasemissionen lediglich um 1,2% und 2023 steigen sie sogar um +0,3%. Hier ist dringend wirtschaftspolitisches Handeln gefragt, wenn Österreich wie vereinbart klimaschädigende Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 senken will. Die aktuelle Geldpolitik der EZB ist dafür keine große Hilfe, im Gegenteil, die steigenden Zinssätze machen die notwendigen Investitionen teurer.

Inflation trifft nicht alle gleich

Der Anstieg der Verbraucherpreise beträgt 2022 8,5%, für 2023 wird mit einer Inflationsrate von 6,5% gerechnet, 2024 soll sie auf 3,2% sinken. Hauptgrund für die Abschwächung der Inflationsrate ist die Annahme, dass der Öl- und Gaspreis weiter sinken wird.

Die Sparquote der privaten Haushalte ist während der Covid-Krise massiv gestiegen. Heuer und nächste Jahr greifen die Haushalte auf Erspartes zurück, um die Teuerungskrise bewältigen zu können. So prognostiziert das WIFO einen Rückgang der Sparquote von 12% der verfügbaren Einkommen vor der Inflationskrise auf 7,3% heuer und nur 6,4% 2023.

Die Inflation trifft jedoch nicht alle Haushalte gleich, und auch die Möglichkeit auf Erspartes zurückzugreifen ist nicht bei allen gegeben. Viele Haushalte haben keine Reserven und rutschen derzeit weiter in die Armut ab. Schon vor der Teuerungskrise war beispielsweise bekannt, dass Haushalte, die im eigenen Eigentum wohnen eine weitaus höhere Sparquote haben (12,9%) als Haushalte, die in Miete wohnen (5,8%). Arbeitslose weisen die niedrigste Sparquote auf.

Die Grafik zeigt, dass die unteren Einkommensdezile stärker von der Inflation betroffen sind als die oberen Dezile (linke Achse). Gleichzeitig ist die Sparquote der untersten drei Einkommensdezilen negativ, d.h. ein Teil der Ausgaben muss durch Kredite oder andere Einkommensquellen, die von der Konsumerhebung untererfasst sind (z.B. private Geldtransfers zwischen Haushalten) gedeckt werden (rechte Achse).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Teuerungsausgleich greift hauptsächlich 2022

Die Bundesregierung hat 2022 eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, um die Einkommensverluste infolge der Teuerungskrise auszugleichen. Insgesamt wurden drei Teuerungs-Entlastungspakete beschlossen. Darunter fallen einkommensstärkende Maßnahmen für die breite Bevölkerung, wie die Erhöhung des Klimabonus, der Anti-Teuerungsbonus, der Energiekostenausgleich oder die Abschaffung der kalten Progression sowie Einmalzahlungen an Familien und vulnerable Gruppen wie Arbeitslose, Ausgleichszulagen-, Mindestsicherungs- und Studienbeihilfenbezieher:innen. Ergänzt wurden diese um preisreduzierende Maßnahmen wie die Senkung der Elektrizitäts- und Erdgasabgabe, die Verschiebung der Einführung der CO2-Bepreisung um drei Monate sowie der Stromkostenzuschuss.

Bei Haushalte mit den niedrigsten Einkommen konnten laut jüngsten Berechnungen des Budgetdiensts des Nationalrats die gestiegenen Kosten 2022 im Durchschnitt vollständig aufgefangen werden. 2022 erhöhten die Maßnahmen das verfügbare Einkommen des untersten Zehntels der Einkommensverteilung im Schnitt um voraussichtlich 10,2%. Bei den einkommensstärksten Haushalten betrug die Begünstigung 1,3% des verfügbaren Einkommens.

Erhöhung der Kollektivvertragslöhne über der Teuerung

Für die Beschäftigten bieten die kollektivvertraglichen Lohn- und Gehaltserhöhungen das mit Abstand wichtigste Instrument des Ausgleichs der Inflation. Die Leitlinie der Lohnerhöhungen berücksichtigen die durchschnittliche Inflationsrate der letzten 12 Monate und den mittelfristigen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktivität („Benya Formel“). Damit zielen die Kollektivverträge auf die Sicherung der Kaufkraft und die Teilhabe der Beschäftigten am wirtschaftlichen Fortschritt. Allerdings erfolgt der Ausgleich im Nachhinein. In Zeiten hoher und steigender Inflation wie 2022 entstehen zunächst Reallohnverluste, weil noch die niedrigeren Lohnerhöhungen der Vergangenheit wirken. Diese werden erst nach und nach durch die Berücksichtigung des Inflationsanstiegs in den Lohnerhöhungen ausgeglichen. Gleichzeitig sichert diese Vorgangsweise, dass es in Österreich zu keiner Lohn-Preis-Spirale kommen kann, weil die Lohnerhöhungen ja auf Preisanstiege reagieren und nicht umgekehrt.

Metallindustrie und Sozialwirtschaft begannen ihre Kollektivvertragsverhandlungen im September. Die relevante durchschnittliche Inflationsrate der Monate von August 2021 bis August 2022 betrug 6,3%. Der mit 1.11. wirksame KV-Abschluss in der Metallindustrie liegt im Durchschnitt bei +7,44%, die untersten Lohngruppen werden um bis zu +8,9% angehoben. In der Sozialwirtschaft beträgt die Erhöhung durchschnittlich +8%, im unteren Bereich +10,2%.

Die Kollektivvertragsverhandlungen im Handel begannen im Oktober. Die relevante Inflationsrate bis September lag bei +6,9%. Die Gehaltserhöhung beträgt im Durchschnitt +7,31%, für die unteren Einkommensgruppen bis zu +8,67%. Ganz ähnlich war der Gehaltsabschluss im öffentlichen Dienst. Für Reinigung und Bewachung lag die relevante Inflationsrate bis Oktober bei 7,5%. Die Abschlüsse betrugen im Durchschnitt +8,56% bzw. +10,3%. Zuletzt wurde ein Kollektivvertrag für Eisenbahnen abgeschlossen, der eine durchschnittliche Erhöhung der KV-Löhne um +8,9% für 2023 vorsieht. Bis Februar 2024 werden die Löhne um mindestens 480 Euro angehoben, was für die unteren Lohngruppen gewaltige Einkommenserhöhungen bedeutet.

In allen Branchen gab es im Rahmen der Herbstlohnrunde gemessen an der relevanten Inflationsrate einen Reallohnanstieg. Dieser Anstieg ist dauerhaft, da die Lohnniveaus angehoben werden. Auf Einmalzahlungen wurde auf Branchenebene trotz der Steuerbegünstigung verzichtet. Sie könnten allerdings auf betrieblicher Ebene eine Rolle spielen. Im Rahmen der Frühjahrslohnrunde werden unter anderem Kollektivverträge für die Elektroindustrie und die Bauwirtschaft verhandelt. Die relevanten Inflationsraten könnten dann bei etwa 9% liegen. Die realen Netto-Löhne sind 2022 aufgrund der Teuerung um 2,9% zurückgegangen, 2023 erfolgt ein fast vollständiger Ausgleich um +2,7%. 2024 sollen die Netto-Löhne real um +3,9% steigen. Mittelfristig wird die bereinigte Lohnquote daher bis 2024 von 68,9% auf 72,2% steigen.

Fazit

In Österreich fehlt es an wirtschaftspolitischen Initiativen: Die Klimakrise muss viel entschiedener angegangen werden, unter anderem durch eine rasche Ausweitung der grünen Investitionen. Bestehende Knappheiten auf dem Arbeitsmarkt müssten durch aktive Politik des Strukturwandels genutzt werden, um Menschen in gute Jobs zu bringen, von denen sie auch leben können. Armut und Ungleichheit müssen durch entschiedene Verteilungspolitik verringert werden. Gleichzeitig muss auf die Nachhaltigkeit der Budgetpolitik geachtet werden. Immer neue, wenig zielgerichtete Subventionen ohne Gegenfinanzierung sind nicht sinnvoll.