Kräftigen Aufschwung für Strukturwandel und bessere Jobs nutzen. Zur neuen WIFO-Prognose

15. Dezember 2021

Das WIFO erwartet für 2022 einen Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um +5,2 Prozent, etwas mehr, als noch im Oktober erwartet. Die Produktion in der heimischen Industrie hat das Vorkrisenniveau längst übertroffen und überflügelt auch jenes der deutschen Industrie bei Weitem. Sorgenkinder bleiben Hotellerie und Gastronomie, doch ihr Anteil an der Wertschöpfung und der Beschäftigung ist vergleichsweise gering. Die Höhe der Inflationsrate mit über 4 Prozent in den Wintermonaten und im Jahresdurchschnitt 2022 von 3,3 Prozent dürfte sich als vorübergehendes Phänomen erweisen.

Kräftige Produktionszuwächse in der Industrie

Die Wertschöpfung der österreichischen Wirtschaft hat das Vorkrisenniveau bereits im dritten Quartal 2021 wieder übertroffen. Der vierte Lockdown im November und Dezember 2021 kosteten je Woche etwa eine Milliarde Euro. Das klingt nach viel, ist allerdings nur 0,25 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Jedoch sind die Branchen sehr unterschiedlich betroffen.

Den größten Beitrag zum kräftigen Aufschwung der österreichischen Wirtschaft leistete die Industrie. Die Industrieproduktion war durch die COVID-Krise nur wenige Monate im Frühjahr 2020 beeinträchtigt. Sie hat sich danach sehr rasch erholt und im Sommer 2021 sogar das Produktionsniveau der Hochkonjunktur 2018/19 übertroffen. Zuletzt lag der Produktionsindex um 19 Prozent über dem Niveau von 2015, also zu Beginn des letzten Konjunkturaufschwungs. Dies ist bemerkenswert, denn der Produktionsindex der gesamten Eurozone lag zuletzt nur um 2 Prozent über dem Wert von 2015, jener Deutschlands sogar um 7 Prozent darunter.

Die außerordentlich günstige Entwicklung der Industrieproduktion belegt die hohe Qualität des Produktionsstandorts. Dies wird auch durch die Erholung der Ausrüstungsinvestitionen bestätigt (2021: +6,3 Prozent, 2022: +6,5 Prozent). Die Unternehmen produzieren und investieren viel am Standort. Seine Wettbewerbsfähigkeit stellen die Unternehmensführungen nur in Sonntagsreden und vor Lohnverhandlungen infrage.

Steigende Rohstoffpreise und Probleme in der Verfügbarkeit von Vormaterialien beeinträchtigen die Industrieproduktion vorübergehend. Sie sind die Folge der viel kräftiger als erwartet zunehmenden Nachfrage, mit der die Angebotsentwicklung nicht mithielt, und demnach Folge der überraschenden Stärke des Aufschwungs. Österreichs Industrie ist stark auf den Maschinenbau ausgerichtet und profitiert vom Investitionsaufschwung in Europa. Hingegen kämpft die deutsche Kfz-Industrie mit Halbleitermangel, Schwierigkeiten in der Umstellung auf Elektromobilität und der mauen Konsumnachfrage.

Starker Einbruch der Wertschöpfung im Tourismus

Während die Industrie nur vorübergehende COVID-Effekte verzeichnet, waren Hotellerie und Gastronomie besonders stark und anhaltend von den Lockdowns betroffen. Die reale Wertschöpfung brach dort im Jahresdurchschnitt 2020 um etwa 40 Prozent ein und wird laut WIFO-Prognose auch 2023 noch nicht an das Niveau des Rekordjahres 2019 anknüpfen können.

Verfolgt man die öffentliche Berichterstattung, so könnte man den Eindruck gewinnen, die COVID-Krise in Hotellerie und Gastronomie würde die gesamte österreichische Wirtschaft prägen. Doch dazu ist die Branche zu wenig bedeutend. Der Anteil der Wertschöpfung von Hotellerie und Gastronomie lag 2021 nur bei knapp 2,5 Prozent. Das war nur ein Achtel des Anteils der Herstellung von Waren mit gut 20 Prozent. Selbst im längerfristigen Durchschnitt liegt der Wertschöpfungsanteil nur bei 5,2 Prozent – das ist zwar mehr als im EU-Durchschnitt von 3,6 Prozent, aber nur ein Bruchteil der Bedeutung der Industrie.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dies zeigt sich auch in der Beschäftigung. Die Sachgüterproduktion bot 2021 etwa 620.000 Beschäftigten Arbeit, meist Jobs mit überdurchschnittlich hohen Löhnen und günstigen Arbeitsbedingungen. In Hotellerie und Gastronomie waren 2021 etwa 170.000 Personen beschäftigt, mit meist unterdurchschnittlichen Löhnen und oft schlechten Arbeitsbedingungen. Doch auch wenn der Tourismus nur einen geringen Anteil an der Gesamtwirtschaft hat, sind seine Wertschöpfung und Beschäftigung in manchen Regionen des Landes durchaus von erheblicher Relevanz.

Arbeitskräftemangel? – Leider nein.

Auch die Beschäftigung hat sich deutlich rascher erholt als erwartet (2021: +2,4 Prozent, 2022: +1,9 Prozent). Zuletzt lag sie um etwa 50.000 über dem Niveau von vor zwei Jahren. Die Arbeitslosigkeit hat vor dem vierten Lockdown das Vorkrisenniveau unterschritten, und die nationale Arbeitslosenquote wird 2022 auf 7,2 Prozent sinken (2019: 7,4 Prozent). Die Zahl der offenen Stellen lag im November 2021 bei 100.000 und erreicht in Relation zum Arbeitskräfteangebot Werte wie in den 1970er Jahren. Manche klagen deshalb über Arbeitskräfteknappheit. Dies ist für einige Qualifikationen, in einigen Branchen und Regionen durchaus berechtigt und vor allem mit besserer Aus- und Weiterbildung, geeignetem Wohnungs-, Kindergarten- und Ganztagsschulangebot sowie höheren Löhnen bewältigbar.

Doch von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel ist Österreich weit entfernt. Dieser wird am besten mit dem Stellenandrang gemessen: Im Jahr 2021 kamen 3,5 Arbeitslose auf eine offene Stelle. Das liegt unter dem in Rezessionen verzeichneten Wert. Doch es ist deutlich höher als in der Vollbeschäftigungsphase der 1960er und 1970er Jahre, als der Stellenandrang weniger als 2 : 1 betrug.

In der Phase des Arbeitskräftemangels der ersten Hälfte der 1970er Jahre kamen sogar zwei offene Stellen auf eine:n Arbeitslose:n. Ein leichter Arbeitskräftemangel wäre keine Gefährdung der heimischen Wirtschaftsentwicklung, sondern im Gegenteil die notwendige Voraussetzung für die Verbesserung der Beschäftigungschancen von Frauen, prekär Beschäftigten und Älteren sowie für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und einen rascheren Strukturwandel mit höherem Produktivitätswachstum.

Höhere Inflation in Überschussländern reduziert Ungleichgewichte

Das Preisniveau stieg auf Verbraucher:innenebene in den letzten Monaten stärker als erwartet. Die Wintermonate bringen vorübergehend Inflationsraten von mehr als 4 Prozent. Wegen des beträchtlichen Rückgangs der Preise vor einem Jahr kommt es in Deutschland aktuell sogar zu noch höheren Inflationsraten. Für 2022 erwartet das WIFO eine durchschnittliche Inflationsrate von 3,3 Prozent für Österreich, der Sachverständigenrat eine Rate von 2,4 Prozent für Deutschland.

Für beide Länder spielen besonders der Anstieg von Rohstoffpreisen, vorübergehende Lieferengpässe und Kapazitätsgrenzen bei Unternehmen aufgrund des kräftigen Konjunkturaufschwungs eine große Rolle. Basiseffekte, also das besonders niedrige Preisniveau vor einem Jahr, das als Vergleichswert zur Inflationsmessung herangezogen wird, treiben die Inflation genauso an wie das Auslaufen der temporären Mehrwertsteuersenkung in Deutschland. Selbst für Österreich, wo die Mehrwertsteuersenkung in Gastronomie, Hotellerie und anderen Bereichen ja gar nicht an die Konsument:innen weitergegeben wurde, dürfte nach Einschätzung des WIFO die Rücknahme der Senkung nun zu höheren Preisen führen und damit teilweise an Konsument:innen überwälzt werden. Damit zahlen die Verbraucher:innen einen Teil der teils sehr üppigen und wenig zielgerichteten Unternehmenshilfen.

Österreich und noch deutlich stärker Deutschland weisen seit vielen Jahren hohe Leistungsbilanzüberschüsse auf. Diese sind Ausdruck massiver Ungleichgewichte im Euroraum, die die Währungsunion gefährden. Um einen Beitrag zur Verringerung der Ungleichgewichte zu leisten, sollten beide Länder höhere Inlandsnachfrage und etwas höhere Inflationsraten als die südeuropäischen Länder aufweisen. Solange Löhne und Sozialtransfers mitsteigen, sollte dies auch keine verteilungspolitischen Probleme mit sich bringen.

Fazit

Trotz des kräftigen Aufschwungs und der erfreulichen Erholung auf dem Arbeitsmarkt sind wir von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel noch weit entfernt. Derzeit konzentriert sich der Arbeitskräftemangel auf einzelne Qualifikationen, Branchen und Regionen. Ohnehin würde leichter Arbeitskräftemangel keine Gefahr für Österreichs Wirtschaft darstellen, sondern eine Chance für die notwendige Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Beschäftigungschancen für viele bieten.

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