Strukturwandel und Beschäftigung in der Klimakrise: Den Weg in die Zukunft demokratisch, fair und gerecht gestalten!

19. April 2021

Die Umgestaltung unserer Wirtschaft in Richtung CO2-Neutralität, der demografische Wandel und die digitale Revolution stellen neben der Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie die großen wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre dar. Die mit einer Krise einhergehenden Veränderungen sind dabei nicht bloß Bedrohungsszenarien, wie wir sie aus Hollywood-Blockbustern über erdgeschichtliche Katastrophen kennen, sondern sie bieten auch Chancen auf Neues, Nachhaltigeres, Besseres. Sie ist somit nicht nur eine Zäsur, sondern auch Anlass zur Revision und Transformation des Bestehenden. Beim Wiederaufbau nach COVID-19 können die Weichen für eine nachhaltige und zukunftssichere Beschäftigung gestellt werden. Ob die Krise als Chance begriffen wird und wie sie wirtschafts- und beschäftigungspolitisch genutzt wird, hängt dabei von der politischen Gestaltung ab. Investitionen in grüne Technologien und Industrien, eine aktive Beschäftigungspolitik und politische Mitbestimmung sind nach der Corona- und in der Klimakrise die entscheidenden Handlungsfelder.

Die Klimakrise: Strukturwandel und Beschäftigungspotenziale

Die notwendige Antwort auf die Klimakrise ist nichts Geringeres als der Umbau der fossilen energetischen Basis unseres Arbeitens, Produzierens und Konsumierens. Sie betrifft damit alle Lebensbereiche und ist im Kern keine rein technische oder ökonomische, sondern vor allem auch eine soziale Herausforderung. CO2-Neutralität bedeutet insbesondere für jene Branchen, Geschäftsmodelle und Unternehmen, die stark von der Nutzung fossiler Energieträger abhängig sind, Anpassungen oder sogar Neuorientierung. Der Wille zum Erreichen der Pariser Klimaziele bis 2050 und das ambitionierte Ziel der österreichischen Bundesregierung, die Klimaneutralität schon 2040 zu erreichen, bedeutet auch, dass Umbau und strukturelle Veränderungen mit großem Tempo vorangehen müssen. Diese Veränderungen gehen so rasch voran, dass sie Umbrüche darstellen. Diese Umbrüche bringen natürlich auch berechtigte Befürchtungen und Ängste um die Zukunft der Arbeitsplätze mit sich, z. B. in der industriellen Produktion allgemein und in Österreich speziell in den Automobil-Zulieferbetrieben. Diese strukturellen Veränderungen sind aktuell bereits zu sehen und wurden durch die Corona-Krise noch weiter beschleunigt. Gerade die in Österreich bisher prosperierenden Industrie-Cluster mit ihrer immensen Bedeutung für Beschäftigung und Wertschöpfung stehen damit vor sehr großen Herausforderungen. Die Dimension eines raschen, grünen, industriellen Strukturwandels muss in der politischen Prioritätenliste weit nach oben rücken, um beim Ausbau bzw. der Neuaufstellung von europäischen Wertschöpfungsketten, etwa in den Bereichen Mikroelektronik und Wasserstoff, nicht außen vor zu bleiben. An politischen Initiativen, die sich den mit einem solchen Strukturwandel verbundenen Herausforderungen annehmen, mangelt es derzeit. Wichtig wäre allerdings frühzeitiges Agieren und aktives Gestalten des Strukturwandels, um als Industrieland auch künftig in strategisch relevante Wertschöpfungsketten eingebunden zu sein. Mittel- und langfristige Neuaufstellungen in Richtung industrieller Kreislaufwirtschaft sind schon heute ein Thema. Es braucht daher dringend missionsgetriebene und abgestimmte Strategien, Allianzen und Maßnahmenbündel, die die unterschiedlichen Politikfelder miteinander verbinden. Nur so kann auch das Ziel der Dekarbonisierung erreicht werden. Während die Industrie-, Technologie- und Förderpolitiken die strategische (Neu-)Ausrichtung von Wertschöpfungsketten in Richtung Kreislaufwirtschaft, CO2-neutrale Produktion sowie Ressourcen- und Energieeffizienz vorantreiben müssen, muss die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik die Entwicklung entsprechender Qualifikationen und Fähigkeiten für eine digitale und nachhaltige Wirtschaft unterstützen. Soll ein Wandel rasch und sozial verträglich gelingen, braucht es genau für jene Bereiche, die im Wandel stark unter Druck kommen werden, Strategien und entsprechend abgestimmte Maßnahmen – von der nationalen bis zur lokalen Ebene. Denn am Erfolg ihrer Umsetzung hängen nicht nur das wirtschaftliche Wohlergehen ganzer Regionen, sondern auch die Lebensperspektiven der Beschäftigten und ihrer Familien – und letztendlich damit die soziale Stabilität unserer Gesellschaft. Daher braucht es nicht nur eine „Transition“, sondern vor allem eine „Just Transition“ – einen gerechten Übergang.

Den Fokus nicht nur auf die Bedrohungen, sondern auch auf die Chancen legen

Während bisherige Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand stehen, bestehen durch die Notwendigkeit des Umbaus in Richtung grüner Technologien und Nachhaltigkeit enorme Potenziale für (regionale) Wertschöpfung und Beschäftigung, vor allem auch in den Bereichen der erneuerbaren Energien, der Wärme-/Kälte-Erzeugung, der thermischen Sanierung, der Energieeffizienz, der Netzinfrastruktur sowie der Elektromobilität und des öffentlichen Verkehrs. Neben dem Versuch der Abschätzung der potenziellen Bedrohungsszenarien wurde in den letzten Jahren deshalb auch vermehrt versucht, die Chancen und Möglichkeiten des „grünen Strukturwandels“ zu beziffern. Aber auch hier zeigt sich die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens, denn die Schätzungen und Prognosen sind vage und reichen von insgesamt gleichbleibenden Beschäftigungszahlen bis hin zu starken Wachstumspotenzialen im Bereich der grünen Technologien. In einzelnen (Teil-)Sektoren können hingegen auch Schrumpfungsprozesse auftreten. In einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung bleibt die Prognose jedoch positiv. Bei der Analyse von 23 Studien über die Beschäftigungspotenziale des grünen Strukturwandels in Europa, Deutschland und Österreich konnten folgende potenzielle Wachstumsbereiche identifiziert werden:

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Die Analyse der einschlägigen Literatur weist insbesondere für die Bereiche „Erneuerbare Energien und Netzinfrastruktur“ (39 Prozent), „Thermische Sanierung und erneuerbare Wärme/Kälte“ (28 Prozent), „Elektromobilität und öffentlicher Verkehr“ (25 Prozent) und „Energieeffizienz“ (8 Prozent) besonders hohe Wachstums- und Beschäftigungspotenziale im grünen Strukturwandel aus. Die große Frage, die alle wirtschaftspolitischen AkteurInnen im Strukturwandel beschäftigt, ist jedoch nicht ausschließlich jene danach, welche Sektoren und Branchen in Zukunft wachsen werden, sondern ebenso das damit verbundene potenzielle Ausmaß an zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten.

Die Tabelle zeigt jene Studien, in denen die Beschäftigungseffekte aufgrund der notwendigen Investitionen in oben genannten Wirtschaftsbereichen in absoluten Zahlen bis 2030 geschätzt werden. Heruntergebrochen auf die prozentuellen Beschäftigungseffekte – gemessen an der Gesamtbeschäftigung – zeigt sich eine durchaus große Bandbreite der Schätzungen – je nachdem, wie Sektoren und Technologien methodisch in den Studien abgegrenzt wurden. Lässt man die – im Sinne der Abgrenzung der Sektoren und Technologien – am weitesten gefasste Studie von Capgemini Invent unberücksichtigt, bewegen sich die potenziellen Beschäftigungseffekte zwischen +0,5 Prozent und +2 Prozent der Gesamtbeschäftigung der betrachteten Regionen (EU, Deutschland, Österreich).

StudieJahrUntersuchter WirtschaftsraumZeitspanneGeschätzter Beschäftigungseffekt in EU/D/ÖAnteil an der Gesamtbeschäftigung
Capgemini Invent2020EU2030+ 12,7 Millionen+ 6%
Mestre & Morvannou2013EU2030+ 1,6 Millionen+ 0,8%
ESDE2019EU2030+ 1,2 Millionen+ 0,6%
McKinsey2020EU2030+ 1–3 Millionen+ 0,5–1,5%
Hennike et al.2019D2030+ 420.000 + 1%
Kranzl et al.2020Ö2030+ 32.000+ 0,7%
Goers et al.2020Ö2030+ 100.000+ 2%
Tabelle 1: Studienübersicht Beschäftigungseffekte „grüner Strukturwandel“ mit Angabe von absoluten Zahlen, *Capgemini Invent (2020) breitere Sektorendarstellung; Quelle: eigene Darstellung

Die durchaus großen Unterschiede in den Abschätzungen der Beschäftigungseffekte weisen auch auf die großen Unsicherheiten der Prognosen hin. Die Unsicherheiten beziehen sich hierbei vor allem auch auf die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, wie z. B. öffentliche Beschaffung und Subventionen, öffentliche und private Investitionen, strategische Beteiligungen usw., die die jeweiligen Wertschöpfungs- und die Beschäftigungseffekte in den Zukunftsbereichen beeinflussen. Der Politik kommt in diesen und den angrenzenden Feldern eine zentrale Gestaltungsrolle zu, sei es die Industrie-, Technologie-, Innovations-, Forschungs-, Förderungs-, Bildungs- oder die Arbeitsmarktpolitik.

„Just Transition“: von der Arbeitsmarktkrise zu Chancen und Perspektiven

Wesentliches Element eines gerechten Übergangs ist die aktive Gestaltung der strukturellen Veränderungen, denn an den regional sehr unterschiedlich ausgeprägten wirtschaftlichen Strukturen hängen Einkommen, Perspektiven und Chancen für Wertschöpfung und Beschäftigung. Im Sinne einer „Just Transition“ braucht es deshalb auch das politische Commitment, Potenziale des grünen Strukturwandels zu erkennen und auszuschöpfen und nicht ausschließlich auf die soziale Abfederung von Gefahrenpotenzialen zu setzen.

Die aktive Gestaltung des Wandels ist dabei nicht nur eine ökonomische Frage, sondern vor allem auch eine Frage der Gerechtigkeit und des sozialen Ausgleichs. Wie Dimitris Stevis in seiner Forschung zu sozial-ökologischer Transformation anhand von praktischen Beispielen aus den USA immer wieder betont, sind die Betroffenen des Strukturwandels nicht zwangsläufig jene, die auch anschließend vom Aufschwung in Zukunftsbereichen profitieren. Es braucht deshalb ein gesamtstaatlich abgestimmtes Strategie- und Maßnahmenbündel, das den Unternehmen einerseits Planungssicherheit und andererseits einen Zielkorridor gibt, sie regionsspezifisch beim Eintritt in neue Märkte unterstützt und es so mitermöglicht, zusätzliche Beschäftigungspotenziale zu heben. Dies würde es auch Unternehmen erleichtern, mit ihren Betriebsräten und Beschäftigten selbst Roadmaps zur Kompetenzanpassung und Dekarbonisierung zu erstellen. Besonders von der Dekarbonisierung betroffene Unternehmen müssen im Dialog mit BetriebsrätInnen und Beschäftigten mittel- bis langfristige Pläne für Szenarien der jeweiligen Etappen der Dekarbonisierung bis 2030, 2040 und 2050 erstellen. Solche unternehmensspezifischen Roadmaps müssen dabei technische Umsetzungsschritte und Investitionspläne enthalten und mit einem Impact Assessment hinsichtlich Auswirkungen auf Wertschöpfung und Beschäftigung flankiert werden. Überall dort, wo Möglichkeiten bestehen, die Konversion in neue Strukturen und neu entstehende Wertschöpfungsketten zu vollziehen, um hochqualifizierte Arbeitsplätze abzusichern und sogar neue zu schaffen, muss ein solcher Konversionsprozess in enger Einbindung der Beschäftigten entwickelt werden. Österreichs Industrie-Cluster stehen hier jedoch vor einer zusätzlichen Herausforderung, da die Zulieferindustrie oftmals in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu den großen Headquarters bzw. Auftraggebern in Deutschland stehen. Dass Standort- und Investitionsentscheidungen oftmals nicht vor Ort fallen, verkompliziert auch die Reaktionsmöglichkeiten auf Veränderungsprozesse. Auch in diesen Fällen ist die Politik gefordert, Standortsicherheit und -gerechtigkeit zu gewährleisten.

Mit Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen zu neuen Chancen

Im weiteren Verlauf des Strukturwandels werden bestehende Qualifikationen und Fähigkeiten durch den Umbruch und die Neuorientierung der wirtschaftlichen Schwerpunkte ent- oder abgewertet, während andere Qualifikationen und Fähigkeiten am Arbeitsmarkt an Bedeutung gewinnen. Für die Politik ergibt sich damit eine Herausforderung: Es muss den Beschäftigten, Erwerbsarbeitslosen und am Arbeitsmarkt Benachteiligten durch niederschwellige inklusive Zugänge zu Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen die Chance geboten werden, in Wachstums- und Zukunftsbereiche zu wechseln bzw. einzusteigen. In diesem Prozess kommt der Würdigung bestehender und der Aneignung neuer digitaler Kompetenzen im Sinne eines lebensbegleitenden Lernens eine besondere Bedeutung zu. Wie so etwas gestaltet werden kann, zeigen unterschiedlichste Beispiele, die unter dem Begriff des „gerechten Übergangs“, der „Just Transition“, diskutiert werden. Die Beispiele dazu sind vielfältig, manche betreffen Branchen und Beschäftigte (wie Kohleregionen), andere sind auf lokale oder regionale Ebenen fokussiert.

Die Verantwortung wahrnehmen, die Zukunft gestalten!

Ob der uns jetzt unmittelbar bevorstehende Wandel sozial gerecht verlaufen wird, welche Chancen für Beschäftigung und Wertschöpfung – für wen und wie – genutzt werden und wie dabei die politische Mitbestimmung in Betrieben, Regionen und in den die Transformation entscheidend gestaltenden Institutionen gestärkt werden kann, sind keine wissenschaftlichen, sondern politische Fragen. Für einen erfolgreichen und gerechten Wandel braucht es eine breite Einbindung und Abstimmung von Interessen und daher jene der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft. Die Politik ist am Zug, einerseits Visionen, Perspektiven und Rahmenbedingungen für eine CO2-freie Wirtschaft und Gesellschaft zu entwickeln und andererseits auf den unterschiedlichsten Ebenen mehr Demokratie zuzulassen. Um den Weg der Dekarbonisierung konsequent und erfolgreich zu gestalten, braucht es ein gemeinsames, politisches Commitment, und im Prozess des Wandels darf niemand auf der Strecke zurückgelassen werden. Beispiele, wie eine „Just Transition“ organisiert werden kann, gibt es international mittlerweile viele. Lernen wir von ihnen!

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