Keine Angst vor der Transformation!

22. September 2020

Die österreichische Automobilwirtschaft steht vor gravierenden Umbrüchen. Auch im Interesse der Beschäftigten sollten sie zur Weichenstellung in Richtung sozial-ökologischer Nachhaltigkeit genutzt werden. Die Werkzeuge dafür gibt es.

Verschlief die Automobilindustrie die technologische Wende?

Die Corona-Krise hat die österreichische Wirtschaft insgesamt hart getroffen, die Automobilwirtschaft war da keine Ausnahme. Dies ist wenig überraschend, denn in wirtschaftlich unsicheren Zeiten stellen Haushalte große Investitionen wie beispielsweise einen Autokauf tendenziell zurück. Interessant ist, dass die pandemie-induzierte Wirtschaftskrise die mangelnde Zukunftsfähigkeit der Branche noch deutlich sichtbar als bisher macht. So klagt der Verband der Fahrzeughersteller, dass seine Mitglieder nicht von den Corona-Konjunkturhilfen profitieren würden, da ausschließlich Elektromobilität förderfähig sei. Die Industrie sei aber weitgehend vom Verbrennungsmotor abhängig und würde daher nicht vom momentanen Anstieg des E-Autokaufs profitieren. Diese Abhängigkeit ist jedoch kein Zufall, sondern die Konsequenz betriebswirtschaftlicher Entscheidungen im In- oder Ausland. Anstatt auf Investitionen in zukunftsgewandte Technologie setzte man auf die kurzfristige Maximierung der Gewinne durch Festhalten an der bekannten Verbrenner-Technologie. Noch 2015 verkaufte etwa Magna Steyr seine Batterieproduktion an Samsung. Es ist allerdings schon lange klar, dass zur Eindämmung des Klimawandels eine Abkehr vom Verbrennungsmotor notwendig und daher auch zu erwarten ist. Das Problem ist also hausgemacht, die Krise wirkt lediglich als Katalysator.

Beschäftigungspolitische Perspektive

Es ist daher an der Zeit, die Herausforderung aus beschäftigungspolitischer Perspektive anzugehen. Das AMS zählte für Juli 2019 ca. 40.000 Beschäftigte im Bereich „Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenmotoren“, der Fachverband der Fahrzeugindustrie rechnet weitere 30.000 Beschäftigte der Zulieferindustrie zu. Elektromotoren fallen nicht darunter, auch die Herstellung anderer automobilbezogener (Vor-)Produkte wird in anderen Wirtschaftszweigen statistisch erfasst. Die Angaben der WKO schließen auch Bereiche mit ein, wo nicht zwangsläufig mit einem Beschäftigungsrückgang zu rechnen ist, wie etwa den Automobilhandel. Es ist jedoch davon auszugehen, dass besonders ArbeitnehmerInnen, die unmittelbar in der Kraftwagen- und Motorenproduktion beschäftigt sind, besonders stark von einer Umstellung des Antriebsstrangs betroffen sind. Hierbei ist neben der Elektrifizierung auch eine Zunahme von Hybridfahrzeugen zu erwarten. Weitere alternative Antriebe, etwa mittels Erdgas oder Wasserstoff, werden derzeit erforscht und teilweise bereits in kleinen Zahlen produziert. Aus Transformationsperspektive sind zwei Charakteristika der österreichischen Fahrzeugindustrie entscheidend: erstens der relativ große Anteil an Werken, die Zweigstellen ausländischer Unternehmen (etwa Bosch und BMW) sind, und zweitens die mittelständische, hochspezialisierte Zulieferindustrie, in der es häufig sogenannte „Hidden Champions“ gibt, die auch eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen betreiben.

Strategien für einen gerechten Übergang

Um hinsichtlich der zu erwartenden Änderungen und möglicher Strategien einen gerechten Übergang („Just Transition“) für die Beschäftigten zu erreichen, lohnt ein Blick nach Deutschland. Das nördliche Nachbarland ist nicht nur Hauptabnehmer von in Österreich gefertigten Vorprodukten für die Automobilindustrie, sondern bietet mit dem Stein- und Braunkohleausstieg zwei aktuelle Beispiele für gewerkschaftlich erstrittene Übergangspolitiken. In beiden Fällen sind die Vermittlung in gleichwertige Jobs und Requalifizierungsmaßnahmen für jüngere Beschäftigte sowie Programme für die regionale Entwicklung zentrale Maßnahmen, um die kohleabhängigen Wirtschaftsregionen umzubauen. So wird etwa im Ruhrgebiet, einst bekannt für Kohle und Stahl, regionale Entwicklung in der sogenannten „Knowledge-Economy“ und im Tourismus vorangetrieben. In beiden Gebieten ist auch die Möglichkeit eines verfrühten Ruhestands für ältere Beschäftigte ein wichtiger Teil des sozialverträglichen Beschäftigungsabbaus. Vorstellbar ist aber jedenfalls, dass auch andere Formen der Arbeitszeitverkürzung Entspannung in die Entwicklungen bringen können.

Es gibt eine Vielzahl empirischer Studien, die versuchen, die Beschäftigungseffekte auf die Automobilwirtschaft in den nächsten 10 Jahren abzuschätzen. Während eine österreichische Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums und der Industriellenvereinigung bei einem Elektrifizierungsgrad von 68 % bis 2030 auf einen Verlust von lediglich 13 % der Arbeitsplätze kommt, gehen die Einschätzungen für Deutschland je nach Studienfokus und -methode stark auseinander. So schätzen etwa die AutorInnen einer Studie des Fraunhofer-Instituts, dass schon bei 40 % Elektrifizierung 18–40 % der Arbeitsplätze in der Antriebsstrangproduktion verloren gehen. Diese Schätzungen mögen auf den ersten Blick erschreckend wirken, jedoch lohnt ein Blick auf die Altersstruktur der ArbeitnehmerInnen. Im Bereich „Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenmotoren“ war 2019 rund ein Viertel der Beschäftigten 50 Jahre oder älter. Legt man die Beschäftigtenzahlen von 2019 in diesem Bereich zugrunde, so würde sich ein Arbeitsplatzverlust um 16,5 % bis 2025 und 25 % bis 2030 relativ zu 2019 vollständig durch eine Pensionierung mit 58, analog zur deutschen Lösung für den Braunkohleausstieg, abfedern lassen. Bis 2030 werden 15 % der derzeitigen Beschäftigten verrentet sein, während für weitere 20 % die Rente mit 58 in Frage kommt (eigene Berechnung, Abbildung 1). Das gilt auch für die Steiermark und Oberösterreich, wo besonders viele Beschäftigte in dieser Branche arbeiten. Die Frage der Finanzierung solcher Maßnahmen muss natürlich politisch geklärt werden. Es stellt sich dabei die berechtigte Frage, ob die SteuerzahlerInnen und Pensionsversicherungen für die Versäumnisse einer zu späten Reaktion der Unternehmen auf einen sich abzeichnenden Strukturwandel aufkommen sollen bzw. welche Form der Kostenbeteiligung und Kostentragung umgesetzt wird.

Transformation aktiv im Interesse der Beschäftigten gestalten

Zweifelsohne muss eine solche Lösung finanziert und mit den Sozialpartnern ausgehandelt werden, die Schätzung zeigt aber eindeutig auf, was in diesem Bereich möglich wäre. Besonders wenn Arbeitsplatzverluste durch Werksschließungen von Unternehmen mit ausländischen EigentümerInnen eintreten, kann dies eine geeigneten Weg darstellen. Darüber hinaus zeigt der Wechsel von MitarbeiterInnen des Opelwerks Wien-Aspern in den Straßenbahnbau von Bombardier ein weiteres wichtiges Feld für die Gestaltung eines gerechten Übergangs, die Verwerfungen am Arbeitsmarkt abfedern oder verhindern kann: die Produktkonversion. Hier könnte besonders das Innovationspotenzial der „Hidden Champions“ genutzt werden. Zudem fanden ForscherInnen der Universität Wien und der Universität für Bodenkultur kürzlich heraus, dass unter den Beschäftigten durchaus Ideen für neue Produkte vorhanden sind. Dies ist besonders aus sozial-ökologischer Perspektive begrüßenswert, denn Elektrifizierung der individuellen Mobilität kann lediglich ein Baustein eines klimagerechten Mobilitätssystems sein, das insgesamt stärker auf kollektiver (z.B. Öffis) und aktiver Mobilität (z.B. Radfahren) basiert.

Die Zeit drängt, denn der Klimawandel wird auch in Österreich von Jahr zu Jahr stärker spürbar. Es liegt daher auch an der Politik und Zivilgesellschaft gemeinsam mit den ArbeitnehmervertreterInnen, nicht bisherige Fehler zu wiederholen und einen ökologischen Umbau klimaschädlicher Industrien im Namen der Arbeitsplatzsicherung so lange wie möglich hinauszuzögern, um kurzfristig Arbeitsplätze zu sichern, die auf lange Sicht sowieso nicht erhalten werden können. Vielmehr müssen Politik und Sozialpartner gemeinsam die sozial-ökologische Transformation aktiv im Interesse der Beschäftigten mitgestalten.  

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