Die zentralen energiepolitischen Ziele – Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Leistbarkeit – werden durch das EU-Strommarktdesign nicht ausreichend unterstützt. Die hohen und volatilen Preise führen zu Übergewinnen bei den Stromerzeugern. Ausgerechnet erneuerbare Energie wird so teuer, dies belastet die Verbraucher:innen und schadet der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. Das führt insgesamt zu einem Wohlstandsverlust in Europa. Eine umfassende Reform des EU-Strommarktdesigns ist möglich und notwendig. Doch leider abgesagt.
Energie ist kein Gut wie jedes andere
Die sichere, leistbare und – im Sinne der Dekarbonisierung – nachhaltige Versorgung mit elektrischer Energie ist wesentliche Grundlage für die Teilhabe an unserer Gesellschaft und Basis unseres Wirtschaftssystems. Um unseren Lebensraum lebenswert zu erhalten, muss die Energiebereitstellung 100 Prozent klimaneutral werden. Das kann nur gelingen, wenn wir fossile Energie durch erneuerbaren Strom ersetzen.
Manipulierter Gasmarkt
Bereits vor dem groß angelegten Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ist der Strompreis Hand in Hand mit den Gaspreisen stark gestiegen. Mit Kriegsbeginn hat diese Dynamik weiter zugenommen. Und so betrug der durchschnittliche Börsenpreis für eine Megawattstunde Strom im vergangenen Jahr mit 284 Euro fast siebenmal so viel wie im langjährigen Durchschnitt.
Europäische Staaten waren und sind nach wie vor stark von russischem Gas abhängig. Die russische Gazprom als mächtigste Akteurin am oligopolistisch organisierten Gasmarkt hat bereits 2021 begonnen, den Gaspreis zu manipulieren. Dies konnte sie aufgrund ihre Marktmacht ganz einfach durch bewusste Angebotsreduktion.
Das Strommarktdesign als Umverteilungsmaschinerie
Dass auch der Börsenpreis für Strom so stark gestiegen ist, verwundert zunächst, zumal knapp 60 Prozent der EU-Stromproduktion nicht aus fossilen Quellen stammen, sondern mit erneuerbarer Energie oder Atomkraft produziert werden. Doch das EU-Strommarktdesign sieht vor: Der Börsenpreis für Strom wird nach dem Merit-Order-System ermittelt. Das bedeutet: Die Produktionskosten des teuersten noch benötigten Kraftwerks bestimmen den Preis. Aufgrund der schwankenden Einspeisung von erneuerbarer Energie ist das meist ein Gaskraftwerk. Der Strompreis steigt daher mit dem Gaspreis, obwohl sich die Produktionskosten für mehr als 60 Prozent der EU-Stromproduktion nicht verändert haben. Verstärkt wird dieser preistreibende Effekt durch spekulative Geschäfte auf den Gas- und Strommärkten. Es sind häufig marktfremde Akteure wie Banken und der Hochfrequenzhandel, die die mangelnde Liquidität im Spot- und Future-Markt der Energiebörsen für spekulative Arbitragegeschäfte nutzen. Dies verstärkt die Unsicherheit, erhöht die Volatilität und treibt so die Preise weiter nach oben. Die Folge: ein dramatischer und anhaltender Anstieg der Inflation.
Die Verwerfungen am Gasmarkt in Kombination mit dem EU-Strommarktdesign haben also den Strompreis massiv in die Höhe getrieben. Davon profitiert haben die Betreiber von Wasserkraft-, Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen, aber auch Atomkraftwerken. Ihre Produktionskosten (sogenannte „Gestehungskosten“) haben sich nicht verändert, doch plötzlich konnten sie den Strom zum siebenfachen Preis verkaufen.
Damit kam es (und kommt es nach wie vor) zu einer nie dagewesenen Umverteilung von den Stromverbraucher:innen hin zu den Energieunternehmen.
Öffentliche Subventionen statt Markteingriffe
Spanien und Portugal haben auf die Marktverwerfungen reagiert, indem sie in den Markt eingegriffen haben. Bereits seit Juni 2022 wird dort der Gaspreis für Gaskraftwerke gedeckelt, d. h. sowohl die Input-Preise (Gas) als auch die Output-Preise (Strom) von Gaskraftwerken sind reguliert. Damit ist es gelungen, den Strompreis für alle Erzeugungstechnologien auf einem deutlich niedrigeren Niveau zu stabilisieren. Gleichzeitig werden die Übergewinne bei Betreibern erneuerbarer Energie oder von Atomkraftwerken reduziert. Eine Studie der österreichischen Energieagentur im Auftrag der AK konnte zeigen, dass dieses Modell bei EU-weiter Umsetzung noch besser funktionieren würde.
Doch die meisten EU-Staaten gingen einen anderen Weg. Sie versuchen mit staatlichen Transfers die Auswirkungen der extrem hohen Energiepreise einzudämmen. Allein im Zeitraum September 2021 bis Mitte März 2023 haben die EU-Staaten in Summe etwa 646 Mrd. Euro in Maßnahmen investiert, um Verbraucher:innen vor den gestiegenen Energiepreisen zu schützen.