Der größte Mythos zum Thema Inflation ist die Erzählung, dass Inflation die zwangsläufige Folge von zu viel oder zu billigem Geld sei. Tatsächlich ist Inflation nach postkeynesianischer Lehrmeinung als Machtkampf um Einkommen zu verstehen, welcher nicht auf der Lohn-, sondern auf der Preisebene ausgetragen wird. Die Anbieter:innen einer Leistung bzw. eines Produkts nutzen ihre gestiegene (Markt)Macht, um die Preise anzuheben und entsprechend zusätzliche Einkommen zu lukrieren. Die Lösung ist nicht mehr Zinseinkommen für Vermögende durch eine restriktive Geldpolitik, sondern sind Maßnahmen, um die Machtverhältnisse in verzerrten Märkten zu korrigieren.
Vier verschiedene Formen von Inflation
Abhängig von den am jeweiligen Machtkampf beteiligten Gruppen werden verschiedene Arten der Inflation unterschieden. Da Inflation sehr stark von Erwartungshaltungen abhängig ist, treten unterschiedliche Ausprägungen dieses Machtkampfes gerne gemeinsam auf.
- Importierte Inflation beschreibt einen Machtkampf zwischen (meist) rohstoffexportierenden Ländern und Industrieländern, wofür die Ölpreisschocks der 1970er Jahre ein prominentes Beispiel sind.
- Die lohngetriebene Inflation beschreibt einen Machtkampf um Einkommen zwischen unselbstständig Beschäftigten und Unternehmen, welcher von Seite der unselbstständig Beschäftigten ausgeht. Diese Form der Inflation trat vereinzelt in den 1960er Jahren in den Industrieländern auf. Sie war darauf zurückzuführen, dass die Gewerkschaftsbewegung aufgrund der Vollbeschäftigung in einer starken Machtposition war, welche es ihr ermöglichte, mittels Lohnforderungen über den realen Produktivitätssteigerungen die historisch gewachsene Ungleichverteilung der Einkommen zu attackieren. Als Reaktion begannen die Unternehmen, ihre Preise anzuheben, um ihren Profitanteil zu verteidigen und erzeugten so Inflation. Das wiederum hatte höhere Lohnforderungen zur Folge. Ein derartiger Machtkampf ist aufgrund der nachhaltigen Schwächung der arbeitenden Klasse durch den Neoliberalismus heute nicht möglich, wird aber nach wie vor gerne von Vertreter:innen der Kapitalseite unter der Bezeichnung „Lohn-Preis-Spirale“ als warnendes Beispiel hervorgehoben. Diese Inflationsform ist bezüglich der Wirkungsmechanismen im Prinzip identisch mit neoklassischen Inflationstheorien, seien sie nun monetaristischer Natur (Geldmenge zu hoch), wicksellianischer Natur (Zinssatz zu niedrig) oder im Geiste der NAIRU (Arbeitslosigkeit zu niedrig).
- Profitgetriebene Inflation, auch als Gewinn-Preis-Spirale bezeichnet, beschreibt ebenfalls einen Machtkampf zwischen unselbstständig Beschäftigten und Unternehmen, dieser geht allerdings von letzteren aus und ist für gewöhnlich eine Folge zunehmender Oligopolisierung, d.h. zunehmender Marktmacht von Unternehmen.
- Spekulationsgetriebene Inflation beschreibt einen Machtkampf zwischen Finanz- und Realwirtschaft. Da Rohstoffproduktionskapazitäten, im Gegensatz zur industriellen Endproduktion, aus technischen Gründen meist voll ausgelastet werden, führt ein kurzfristiges Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage oft zu stark überschießenden, spekulationsgetriebenen Preisrallys.
Die aktuelle Inflationsdynamik
Die aktuelle Inflationsdynamik in der Eurozone wurde ausgelöst durch eine Kombination aus Lieferkettenproblemen infolge der Coronakrise sowie durch die Einschränkungen der russischen Exporte von fossilen Energieträgern. Gazprom hatte bereits im Sommer 2021 seine Gasexporte nach Europa massiv eingeschränkt, keine kurzfristigen Spotmengen mehr geliefert und seine langfristigen Lieferverträge aus Speichern in Europa, allen voran Haidach in Österreich, bedient. Es handelt sich hier um einen Machtkampf zwischen dem rohstoffexportierenden Russland und den europäischen Industrieländern. Verschlimmert wird diese Situation für uns Europäer:innen vom derzeitigen Preissetzungsmechanismus auf den Strommärkten. Demnach bekommen sämtliche Stromformen denselben (Grenzkosten)Preis, der vom teuersten Produkt, in unserem Fall Erdgas, festgelegt wird. Dies hat zur Folge, dass die österreichische Bevölkerung für Strom aus – mittels unserer Gelder in der Vergangenheit gebauter – Wasserkraftwerken Gasstrompreise zahlen muss.
Diese importierte Inflation wurde sofort durch eine spekulationsgetriebene Inflation verstärkt. Der Neoliberalismus führt zu einer permanent zunehmenden Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen. Diese zusätzlichen Einkommen der Elite können von dieser unmöglich verkonsumiert und daher nur gespart werden, was zu überliquiden Finanzmärkten führt. Finanzmarktakteure sehen in den gestiegenen Rohstoffpreisen zusätzliches Profitpotenzial. Weiter angetrieben wird diese Dynamik durch die aufkommenden Konjunkturunsicherheiten, welche die Spekulierenden dazu motiviert, ihr Portfolio u.a. um Rohstoffe zu erweitern.
Diese einmal entfachte Inflationserwartung erlaubt es nun den großen Unternehmen, ihr in den vergangenen Jahren (durch Fusionen etc.) aufgebautes, zusätzliches Marktmachtpotenzial unauffällig über Preisanhebungen in zusätzliche Profite umzumünzen, was die Inflationsdynamik durch eine profitgetriebene Inflation verschärft. Die österreichischen Unternehmen melden derzeit Rekordprofite.
Möglichkeiten der EZB zur Inflationsbekämpfung
Zentralbanken können theoretisch gegen drei der dargestellten Inflationsformen vorgehen: gegen hochlohn-, gegen spekulationsgetriebene sowie gegen importierte Inflation. In jedem Fall lautet das Mittel der Wahl: Zinsanhebungen. Im ersten Fall senken diese unter anderem aufgrund der gestiegenen Kosten für den Schuldendienst die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Infolgedessen sinkt die Produktion, wodurch die Arbeitslosigkeit steigt und damit die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften sinkt. Das reduziert wiederum die Reallöhne. Die arbeitende Bevölkerung bleibt so auf den gestiegenen Kosten sitzen und die Inflation „verschwindet“.
Da Zinsanhebungen die heimische Währung im Verhältnis zum Ausland attraktiver machen, sollten diese in der Theorie zu einem vorteilhafteren Wechselkurs führen, was wiederum die importierte Inflation reduziert. Die aktuelle Euroschwäche hat aber wenig mit dem Zinsniveau, dafür aber viel mit dem Ukrainekrieg zu tun.
Zinserhöhungen wirken sich insofern dämpfend auf die spekulative Inflation aus, da sie die Refinanzierungsbedingungen für fremdkapitalfinanzierte Spekulation verteuern sowie die Opportunitätskosten erhöhen. Um diese Wirkung zu entfalten, müsste der Zinssatz allerdings astronomisch ansteigen.
In der aktuellen Situation sind Zinserhöhungen kontraproduktiv, da die steigende Zinsbelastung die Belastungen für Haushalte und Unternehmen weiter nach oben treiben, ohne dass die Inflationsdynamik nachhaltig gestört werden würde. Weder sind die hohen Löhne bzw. die damit in Verbindung stehende Nachfrage das Problem, noch wird sich Putin durch derartige Zinsmanöver beeindrucken lassen. Erwartet man von der EZB eine rücksichtslose Bekämpfung der Inflation, gelänge ihr dies nur durch ein enormes Anheben des Zinssatzes, was zu einem kompletten Abwürgen der europäischen Konjunktur, zu beängstigenden Arbeitslosenquoten und einem massiven Rückgang der Realeinkommen der arbeitenden Bevölkerung führen würde.
Was tun?
Importierte Inflation ist kurzfristig nicht bekämpfbar, aber neben der sowieso notwendigen Umstellung des europäischen Strommarktes auf erneuerbare Energieformen und Maßnahmen zur Energieeffizienzsteigerung bietet es sich an, das neoliberale Preissetzungsmodell auf den europäischen Strommärkten zu reformieren.
Spekulative Inflation in den Griff zu bekommen ist in unserem reichenfreundlichen Gesellschaftssystem ebenfalls fast unmöglich. Finanzmarktregulierung und Vermögenssteuern für große Vermögen wären hier mittelfristig zielführend. Weshalb Individuen über (zumeist geerbtes) Milliardenvermögen verfügen dürfen, während den Staaten gleichzeitig die Mittel fehlen, um tatsächlich effektiv gegen den Klimawandel vorzugehen, ist ebenfalls nicht schlüssig.
Zur Reduzierung der profitgetriebenen Inflation müssen Preiskommissionen wie nach der Einführung des Euros in Österreich gebildet werden, wie zum Beispiel von Expertinnen des ÖGB gefordert.
Letztlich ist die vollständige Abgeltung der Inflation im Rahmen der kollektivvertraglichen Lohn- und Gehaltsverhandlungen gefragt. Unter anderem dafür sind starke Gewerkschaften wichtig.