Mit den pandemiebedingten Krisen rückten die sogenannten Systemerhalter*innen ins Zentrum öffentlicher Debatten. Und damit die Frage, welche Rolle schlecht bzw. unbezahlte Frauenarbeit in unserem Wirtschaftssystem spielt. Wer zählt als Systemerhalter*in? Und was wird unter dem Begriff einer „kritischen Daseinsvorsorge-Infrastruktur“ verstanden? Wir gehen von einem breiten Verständnis von lebensnotwendiger kritischer Infrastruktur aus und stellen uns die Frage, warum zentrale Wirtschaftsbereiche von Unterfinanzierung, geringer Wertschätzung und schlechten Arbeitsbedingungen geprägt sind.
Auswirkungen der Pandemie auf die Geschlechterverhältnisse in Österreich
Die von der COVID-19-Pandemie ausgelöste Krise am Arbeitsmarkt zeigt deutliche Unterschiede zur Wirtschaftskrise 2008. Während die Arbeitslosenquote von Männern von 2008 auf 2009 um 30,2 Prozent auf 8 Prozent stieg, erhöhte sie sich bei den Frauen nur um 13,4 Prozent auf 6,4 Prozent. Im Rahmen der Pandemie stieg die Arbeitslosenquote der Männer von 2019 auf 2020 um 33,5 Prozent auf 10,1 Prozent, die der Frauen um 36,8 Prozent auf 9,7 Prozent. Während Männer im ersten Lockdown noch stärker von Arbeitslosigkeit betroffen waren, schlug sich die ausbleibende Wintersaison im Tourismus während des zweiten Lockdowns ab Herbst 2020 stärker auf die Frauenarbeitslosigkeit nieder.
Einen sehr großen Einfluss hatten die Folgen der Pandemie zudem auf unbezahlte Arbeit wie Hausarbeit und Kinderbetreuung. Dies war vor allem bedingt durch Lockdowns, Schließungen von Schulen und Kindergärten, der Nichtverfügbarkeit von Großeltern sowie durch Quarantänebestimmungen. Die Krisenbewältigung intensivierte die ohnehin ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit – weiter zulasten von Frauen. Viele Eltern mussten für die Betreuung ihre Arbeitszeit reduzieren: Mütter könnten dadurch allein im ersten Lockdown 4.440 Euro durch Verdienstentgang verloren haben, Väter im Schnitt ca. 2.160 Euro.
In der Vergangenheit zeigte sich, dass auch die Nachwehen von Wirtschaftskrisen eine Mehrfachbelastung von Frauen nach sich ziehen. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu, die häufig schlechter bezahlt oder befristet sind. Gleichzeitig steigt der Anteil an unbezahlter Arbeit, die Frauen im Privathaushalt leisten müssen, um Einsparungen des Staates in der Sozial-, Familien- und Gesundheitspolitik auszugleichen. Diese Folgen könnten drohen, wenn in Zukunft wieder Austeritätspolitik angewandt wird, um Budgets zu konsolidieren.
Von der kritischen Infrastruktur …
Grundsätzlich wird in Krisen der Blick darauf geschärft, welche Systeme gesellschaftlich und ökonomisch als besonders relevant erachtet werden. Im Rahmen der Wirtschaftskrise 2008 waren die Tageszeitungen gefüllt mit Debatten zur Systemrelevanz von Banken und Finanzinstitutionen. Die Pandemie hat das Narrativ grundlegend verändert: Nun stehen Berufe und Sparten im Fokus, die unsere Wirtschaft am Laufen halten und unser Überleben täglich sichern. In den Zeitungen wird den „Heldinnen des Alltags“ im Gesundheits- und Sozialwesen, an Schulen und im Handel gedankt.
Diese Bereiche können als „kritische Infrastruktur“ zusammengefasst werden. Der österreichische Gesetzgeber versteht unter diesem Begriff u. a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, Katastrophenschutz und die unmittelbare Funktionsfähigkeit wichtiger Systeme wie Gesundheit, Energie, Abwasser, Lebensmittelversorgung oder des öffentlichen Verkehrs. Uns erscheint dieses Verständnis von kritischer Infrastruktur jedoch verkürzt. Wir schlagen eine Erweiterung des Begriffs hin zu einer „kritischen Daseinsvorsorge-Infrastruktur“ vor, die unser Überleben und unser psychisches und physisches Wohlbefinden sicherstellen und soziale Kohärenz erzeugen soll.
… zur kritischen Infrastruktur der Daseinsvorsorge: für eine erweiterte Definition
Aus unserer Sicht muss eine erweiterte Definition von kritischer Infrastruktur der Daseinsvorsorge mindestens folgende Punkte umfassen: Sie sollte die ständig anfallende Care-Arbeit so weit vergesellschaften, dass alle Mitglieder der Gesellschaft ihre intellektuellen, körperlichen und emotionalen Fähigkeiten bestmöglich entwickeln und regenerieren können. Eine kritische Infrastruktur der Daseinsvorsorge sollte so wenig wie möglich marktförmig organisiert werden, da sie der Logik kapitalistischer Rationalisierung zumeist nicht folgen kann. Denn die Bereitstellung von Bildung, Kinderbetreuung oder Altenpflege kann nicht anhand von Profitorientierung, zeitlicher Effizienzsteigerung und Einsparungspotenzialen geplant werden. Neben der herkömmlichen Definition von Infrastruktur als Einrichtungen, Systeme und Technik muss auch das entsprechende Personal – die Systemerhalter*innen – eine zentrale Rolle einnehmen. Eine kritische Infrastruktur der Daseinsvorsorge muss von Menschen getragen werden, die sozial- und arbeitsrechtlich abgesichert sind und sich kollektiv organisieren können.