Anforderungen und Arbeitsbedingungen im Care-Sektor verändern sich durch technologische Entwicklungen, eine alternde Bevölkerung und wirtschaftliche Umbrüche. Zudem erhöhen gesundheitspolitische Herausforderungen und die COVID-19-Maßnahmenpolitik den Druck auf das Sozial- und Gesundheitssystem. Im Folgenden wird ein Fokus auf den berufsstrukturellen Wandel gelegt, dem bezahlte Sorgearbeit unterliegt, die in Österreich mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird.
Pflegeberufe verändern sich
Die COVID-19-Pandemie führt uns vor Augen, dass bezahlte Sorgearbeit in personenbezogenen Dienstleistungsberufen, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Erziehung unverzichtbar für das Funktionieren einer Gesellschaft ist. Gleichzeitig verdeutlicht die Pandemie, dass die Ausübung von Berufen zwischen Frauen und Männern ungleich verteilt ist und dass die geschlechtsspezifische Ungleichheit in Zeiten der Krisen weiter zunimmt. So konnten in den Lockdown-Phasen Bezieher:innen vergleichsweise hoher Einkommen ihren Arbeitsaufgaben weitgehend digital nachkommen, während die Vermeidung von gesundheitlichen Risiken für Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen nicht möglich war.
Neben der wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und einzelnen Berufsgruppen wird durch die COVID-19-Pandemie auch ein Prozess vorangetrieben, der rasante Digitalisierungsfortschritte mit sich bringt und fast alle Lebensbereiche (Familie, Beruf, Freizeit, Bildungssystem, Gesundheitswesen) umfasst. Infolge dieser Entwicklung verändert sich nicht nur die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, unsere sozialen Kontakte pflegen oder Produkte und Dienstleistungen erwerben und konsumieren, sondern auch wie wir Berufe ausüben. Zwar ist die Digitalisierung als treibender Motor der Transformation ein Trend, der meist in der Industrieproduktion (mit Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit und Technologie, jedoch seltener mit Blick auf Umwelt- oder Geschlechterfragen) thematisiert wird (Stichwort: Substituierung von Arbeitskräften durch Automatisierung), aber dennoch längst auch im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen angekommen ist. Auch in den mehrheitlich von Frauen ausgeübten körpernahen Dienstleistungen oder in den Pflegeberufen ist ein rasanter Digitalisierungszuwachs zu beobachten. Welche Folgen sind aus diesen Entwicklungen für erwerbstätige Frauen und Männer in Österreich zu erwarten?
Digitalisierung verstärkt geschlechtsspezifische Segregation am Arbeitsmarkt
In den vergangenen Dekaden beobachten wir unterschiedliche gesellschaftliche Dynamiken, die Ungleichheiten zwischen Berufsgruppen und den Geschlechtern weiter forcieren: der demografische Wandel, eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes (wie etwa die Verbreitung atypischer, auch nicht existenzsichernder Arbeitsverhältnisse) bei gleichzeitig gestiegener Frauenerwerbstätigkeit sowie der ungleiche Zugang zu Internet und nicht hinreichend inklusive Nutzungsbedingungen digitaler Technologien. Vor allem durch die technologischen Fortschritte können immer mehr Berufe oder berufliche Tätigkeiten ersetzt, automatisiert oder durch digitale Innovationen unterstützt werden. Dies gilt jedoch nicht für jedes Berufsfeld und alle Beschäftigten im gleichen Ausmaß, da der zunehmende Einsatz von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien in Österreich auf einen stark geschlechterspezifisch segregierten Arbeitsmarkt trifft, der trotz angleichender Qualifikationsprofile beharrlich fortbesteht.
Zu beobachten ist eine zunehmende Polarisierung zwischen der Industrieproduktion und dem IKT-Sektor auf der einen Seite und dem Care-Sektor auf der anderen, da diese Polarisierung einer beachtlichen Tendenz der „auseinanderdriftenden Produktivitäten“ unterliegt. Während technologisierungs- und rationalisierungsaffine Berufe Einsparungspotenziale (bei unberücksichtigten ökologischen und gesellschaftlichen Folgekosten) mit sich bringen, bleibt der Care-Sektor kostenintensiv. Strukturell existiert also eine Spannung zwischen digitalisierbaren, automatisierbaren und – im konventionellen, Input-Output-basierten Sinne – hochproduktiven Wirtschaftszweigen (z. B. Produktion) und arbeitsintensiven, körperlichen, aber im Verhältnis weniger produktiven, lebensnotwendigen Wirtschaftszweigen (z. B. Gesundheits- und Sozialwesen, körpernahe und persönliche Dienstleistungen, Handel).
Pfleger:innen lassen sich nicht automatisieren
Im von der AK Wien (Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0) geförderten Forschungsprojekt „Bringt die Digitalisierung Geschlechtergerechtigkeit“ werden geschlechtsspezifische Automatisierungswahrscheinlichkeiten untersucht. Automatisierungswahrscheinlichkeiten drücken aus, wie wahrscheinlich es ist, dass in naher Zukunft programmierbare Maschinen bestimmte Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten ersetzen. Dabei wird zwischen weiblich bzw. männlich dominierten und gemischten Berufstypen unterschieden.
Tabelle 1: Automatisierungswahrscheinlichkeiten (AW) ausgewählter Berufe und Berufstypen (AW in %)
Berufsgruppenbezeichnung | Berufstyp 2019 | Berufstyp 2011 | AW in % |
Akademische und verwandte Gesundheitsberufe | Frauenberuf | gemischter Beruf | 29 |
Lehrkräfte | Frauenberuf | Frauenberuf | 32 |
Juristinnen und Juristen, Sozialwissenschafterinnen und -wissenschafter und Kulturberufe | gemischter Beruf | gemischter Beruf | 34 |
Assistenzberufe im Gesundheitswesen | gemischter Beruf | Frauenberuf | 49 |
Nicht akademische juristische, sozialpflegerische, kulturelle und verwandte Fachkräfte | gemischter Beruf | gemischter Beruf | 48 |
Allgemeine Büro- und Sekretariatskräfte | Frauenberuf | Frauenberuf | 57 |
Bürokräfte mit Kundenkontakt | Frauenberuf | gemischter Beruf | 55 |
Sonstige Bürokräfte und verwandte Berufe | gemischter Beruf | gemischter Beruf | 58 |
Berufe im Bereich personenbezogener Dienstleistungen | gemischter Beruf | gemischter Beruf | 60 |
Verkaufskräfte | Frauenberuf | Frauenberuf | 62 |
Betreuungsberufe | Frauenberuf | Frauenberuf | 57 |
Bau- und Ausbaufachkräfte sowie verwandte Berufe | – | Männerberuf | 63 |
Metallarbeiterinnen und Metallarbeiter, Mechanikerinnen und Mechaniker und verwandte Berufe | Männerberuf | Männerberuf | 61 |
Bedienerinnen und Bediener stationärer Anlagen und Maschinen | Männerberuf | gemischter Beruf | 63 |
Reinigungspersonal und Hilfskräfte | Frauenberuf | Frauenberuf | 66 |
Bei den typischen „Frauenberufen“ im Care-Bereich zeigt sich ein geringes bis moderates Automatisierungspotenzial, z. B. bei akademischen Gesundheitsberufen, bei Lehrkräften oder Assistenzberufen im Gesundheitswesen. Deutlich höhere Automatisierungswahrscheinlichkeiten finden wir bei personenbezogenen Dienstleistungen, beim Reinigungspersonal und bei Hilfskräften. Hier wird zudem deutlich, dass Automatisierungspotenziale auch durch das Lohnniveau bestimmt sind: Während akademische Gesundheitsberufe zu den Hochlohnberufen zählen und eine geringe Automatisierungswahrscheinlichkeit aufweisen, gelten jene Berufe mit hohem Automatisierungspotenzial oft als Niedriglohnberufe (z. B. Reinigungskräfte und Hilfsarbeiter:innen).
Tabelle 2 zeigt zudem einen Anstieg der Beschäftigungsentwicklung bei jenen besser entlohnten „Frauenberufen“, die geringe Automatisierungswahrscheinlichkeiten aufweisen (siehe Tabelle 1); es handelt sich gleichzeitig um jene Berufe mit den höchsten Lohnzuwächsen zwischen 2010 und 2018 (insb. die akademischen Gesundheitsberufe). Trotz dieser Lohnzuwächse bleibt aber auch in diesen Berufen der Gender-Pay-Gap deutlich erkennbar. Ein anderes Beispiel für einen typischen Frauenberuf mit vergleichsweise hohen Lohnzuwächsen ist jener des Betreuungsberufs (z. B. im Gesundheitswesen oder in der Kinder- und Lernbetreuung). Hier besteht allerdings schon eine mittlere Automatisierungswahrscheinlichkeit, und das Beschäftigungswachstum ist ebenfalls moderat. Bei den gemischten Berufen verzeichnen Tätigkeiten im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen vergleichsweise hohe Lohnzuwächse, während die Automatisierungswahrscheinlichkeit im mittleren Bereich ist und der Beschäftigungszuwachs sehr gering.
Tabelle 2: Löhne, Beschäftigung und Automatisierungswahrscheinlichkeiten ausgewählter Berufe
Berufsgruppenbezeichnung | Brutto-stundenverdienst (arith. Mittel) 2010 | Brutto-stundenverdienst (arith. Mittel) 2018 | jährliche Wachstumsrate 2010/2018 (arith. Mittel) | Erwerbstätige 2011 (in 1.000) | Erwerbstätige 2019 (in 1.000) | jährliche Wachstumsrate 2010/2019 Erwerbstätige |
Akademische und verwandte Gesundheitsberufe | 24,15 | 29,34 | 0,025 | 70,54 | 185,83 | 0,129 |
Frauen | 21,31 | 26,58 | 0,028 | 42,99 | 137,00 | 0,156 |
Männer | 28,75 | 34,82 | 0,024 | 27,54 | 48,83 | 0,074 |
Lehrkräfte | 20,99 | 22,88 | 0,011 | 191,42 | 220,28 | 0,018 |
Frauen | 17,49 | 20,05 | 0,017 | 138,71 | 158,38 | 0,017 |
Männer | 24,82 | 26,35 | 0,008 | 52,71 | 61,90 | 0,02 |
Assistenzberufe im Gesundheitswesen | 14,88 | 17,77 | 0,022 | 145,34 | 73,50 | -0,082 |
Frauen | 15,17 | 17,83 | 0,02 | 114,78 | 49,09 | -0,101 |
Männer | 13,92 | 17,60 | 0,03 | 30,55 | 24,41 | -0,028 |
Nicht akademische juristische, sozialpflegerische, kulturelle und verwandte Fachkräfte | 14,88 | 16,30 | 0,011 | 64,21 | 91,84 | 0,046 |
Frauen | 13,28 | 15,87 | 0,023 | 36,51 | 54,03 | 0,05 |
Männer | 16,98 | 16,96 | 0 | 27,70 | 37,81 | 0,04 |
Berufe im Bereich personenbezogener Dienstleistungen | 9,56 | 11,53 | 0,024 | 246,16 | 257,17 | 0,005 |
Frauen | 8,97 | 11,09 | 0,027 | 153,82 | 147,50 | -0,005 |
Männer | 10,25 | 11,99 | 0,02 | 92,33 | 109,67 | 0,022 |
Betreuungsberufe | 11,38 | 13,76 | 0,024 | 101,93 | 142,00 | 0,042 |
Frauen | 12,37 | 14,51 | 0,02 | 13,27 | 15,57 | 0,02 |
Männer | 12,37 | 14,51 | 0,02 | 13,27 | 15,57 | 0,02 |
Reinigungspersonal und Hilfskräfte | 8,79 | 10,09 | 0,017 | 155,28 | 158,85 | 0,003 |
Frauen | 8,53 | 10,01 | 0,02 | 144,16 | 142,40 | -0,002 |
Männer | 9,91 | 10,56 | 0,008 | 11,12 | 16,45 | 0,05 |
Die Chancen des Wandels für die Aufwertung von Care-Arbeit nutzen
Diese Ergebnisse zeigen, dass einige Berufsgruppen (z. B. männlich dominierte Industrieberufe) mit höheren Automatisierungsrisiken konfrontiert sind, bei anderen ist eine Automatisierung – dazu zählen insbesondere von Frauen ausgeführte Care-Berufe – wenig wahrscheinlich. In diesem Prozess verändern sich Preis- und Lohnrelationen, was verteilungs- und machtpolitische Konsequenzen nach sich zieht. Aus diesem Grund stellt sich die grundlegende Frage nach einer angemessenen Finanzierung von arbeitsintensiven bezahlten Care-Tätigkeiten, die auch zukünftig teuer bleiben und nicht zuletzt auch aufgrund von demografischen Veränderungen notwendiger denn je werden. Welche Empfehlungen können wir daraus ableiten?
- Bezahlte Care-Arbeit muss vonseiten der Politikvertreter:innen sowie der Sozialpartner eine strukturelle Aufwertung erfahren. Dazu ist eine kollektivvertraglich gestützte höhere Entlohnung ebenso notwendig wie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen (inkl. höhere Personal- und Betreuungsschlüssel) oder die lebensphasengerechte Erweiterung der Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten.
- Verknüpfung von aktiver Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik: Vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung muss eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik an den Schnittstellen von Bildung und Gesundheit neu gedacht werden. Dazu braucht es Reformen der Berufsausbildungssysteme für Care-Professionen, attraktivere und institutionell gut abgesicherte Berufswege sowie Weiterbildungsmöglichkeiten für das Erlernen digitaler Skills.
- Eine gerechte und zukunftsgerichtete Sozial- und Arbeitsmarktpolitik muss die Ausfinanzierung des Pflegebedarfs zum Ziel haben, um einerseits den Pflegenotstand zu überwinden und andererseits Pflegeberufe (für Frauen und Männer) zu attraktivieren. Auf der Grundlage der Budgetanalyse der AK erfordert die notwendige Pflegereform Investitionen in der Größenordnung von 1,75 Mrd. Euro. Investitionen in die Pflege erzielen einen größeren Beschäftigungseffekt als z. B. Investitionen in das Baugewerbe. Gerade jetzt gilt es also, in den Ausbau von sozialen Infrastrukturen ambitioniert zu investieren und Fragen nach Möglichkeiten der nachhaltigen Finanzierung arbeitsintensiver, gesellschaftlich notwendiger Tätigkeiten zu stellen und ernsthaft zu diskutieren.