Digitalisierung ist in aller Munde und auch Pflegekräfte stellen sich die Frage, wie Digitalisierung ihre Arbeitswelt verändert. Pflege und Betreuung gehen per Definition mit Beziehungsarbeit und Bedürfnissen nach Vertrauen, Ansprache und Sicherheit einher. Diese müssen für das Gelingen pflegerischer Tätigkeit erfüllt sein. Pflege ist nicht nur die Summe ein paar weniger automatisierbarer Hilfestellungen. Digitalisierung muss die Berufsangehörigen unterstützen.
Digitalisierung, was ist das?
Die Frage klingt banal, fällt doch jeder und jedem von uns auf Anhieb irgendetwas ein, das mit digitalen Prozessen zu tun hat – sei es nur der ständige Gebrauch von Apps oder vielleicht ein Roboterstaubsauger, der eine lästige Haushaltsaufgabe erledigt. Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass die große Herausforderung in der Unbestimmtheit dieses Begriffes liegt. In den Worten einer WIFO-Studie ist Digitalisierung „die Anwendung neuer digitaler Technologien in ökonomisch relevanten Aktivitäten“. Oft ist auch von „der“ Digitalisierung die Rede, als wäre sie eine Gewitterwolke, die kommt und uns mal ordentlich einregnet, indem sie viele Jobs wegnimmt. Umso wichtiger ist es also, vom Pauschalen ins Konkrete zu gehen und zu fragen: Was kann Digitalisierung und wie unterstützt sie die Arbeitswelt und somit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?
Pflege als komplexe Intervention
Pflege ist eine persönliche Dienstleistung von Menschen für Menschen. Pflegerische Tätigkeit erfordert hohe fachliche Kompetenz und die Fähigkeit, zu beobachten und zu interpretieren, um die richtigen Handlungen durchzuführen. Pflege ist eine Ko-Produktion von gepflegter und pflegender Person, erst durch ein gelingendes Zusammenwirken können pflegerische Tätigkeiten erledigt werden. Beziehungsarbeit und Vertrauensaufbau sind nicht lediglich eine Ergänzung zur eigentlichen Arbeit, sondern für deren Gelingen eine absolute Notwendigkeit.
Welche Schritte sind nötig, damit ein Mensch mit Unterstützungsbedarf beispielsweise die Mundhygiene durch eine pflegende Person zulassen kann? Voraussetzung für das Zähneputzen ist jedenfalls, den Mund zu öffnen. Was braucht es also, damit die betroffene Person damit einverstanden ist? Vielleicht nur ein freundliches Wort oder aber besondere Hinwendung, weil der Vorgang möglicherweise mit Schmerzen verbunden ist.
Wenn nun ab und zu in politischen Diskussionen Stimmen laut werden, die die Digitalisierung als Lösung für den Personalmangel in der Pflege sehen, ist das jedenfalls problematisch. Zum einen verkennt der rationalisierende Zugang die Vielfältigkeit der Pflegetätigkeit und das notwendige Zusammenspiel der unterschiedlichen Kompetenzen. Zum anderen gibt es derzeit keine digitale Technologie, die der Komplexität des menschlichen Alltags gewachsen wäre. Dies zeigt sich etwa anhand der Robbe Paro, ein zur sozialen Begleitung insbesondere demenziell erkrankter Menschen gedachter Roboter: Fachmeinungen gehen davon aus, dass das robotisierte Tier als Medium fungiert und zwar die Gemütslage sowie die Aktivität positiv beeinflusst, in der Wirkung einem Kuscheltier aber nicht überlegen ist. Problematisch gestaltete sich auch die Anwendung des Roboters Pepper, der in einer schottischen Supermarktkette zum Einsatz kam und bereits nach einer Woche wieder wegen komischen Verhaltens und mangelnder Produktivität entlassen wurde. Wenn Pepper in einem routinierten Supermarktbetrieb nicht zu Rande kommt, welche Schlüsse können wir dann in Bezug auf eine mögliche Anwendung in der Pflege angesichts der Komplexität des menschlichen Alltags, und insbesondere des Alltags einer pflegebedürftigen Person, ziehen? Richtig gedacht: Menschliche Zuwendung, Empathie und Flexibilität sind nicht ersetzbar.
Dies bestätigt auch die WIFO-Studie, die komplexen Nicht-Routine-Tätigkeiten für menschliche Arbeit einen Bedeutungsgewinn zumisst, „Je komplexer die Arbeit wird, umso mehr gut qualifizierte Arbeitskräfte braucht es“, schlussfolgert die Studie. Wenn wir es gesellschaftspolitisch mit Pflegequalität ernst meinen und „warm, satt, sauber“ als ein Konzept von gestern betrachten, muss (besonders der zu bildenden Regierung) klar sein, dass digitale Technik das Bedürfnis nach Vertrauen, Ansprache und Sicherheit nicht ersetzen kann. Digitalisierung wird folglich den steigenden Bedarf an gut qualifizierten Pflegenden nicht abfangen können, Pflege ist eben mehr als die Summe einiger weniger Hilfestellungen.
Macht Technik nicht für uns, sondern mit uns!
Digitalisierungsprozesse in der Pflege haben das ausdrückliche Ziel, die Pflegequalität voranzustellen. Insofern darf nicht die Frage „Was ist technisch machbar?“ ausschlaggebend sein, sondern müssen vielmehr die Lebensqualität der Gepflegten und die Arbeitsqualität der Pflegenden im Mittelpunkt stehen. Für die Technikgestaltung in der Pflege sind daher andere Orientierungspunkte als technische Innovation nötig: Es braucht die Einbeziehung Pflegender und PflegewissenschafterInnen in die Technikentwicklung. Denn der weit verbreitete Technikoptimismus will derzeit nahelegen, dass Technik neutral sei und wenn die konkrete Anwendung scheitert, dies an den NutzerInnen liege. Dass möglicherweise die Technikangebote zu wenig zur Lösung von Problemen im Pflegealltag beitragen, rückt dabei aus dem Blick.
Allerdings ist Technik weder neutral noch objektiv. Ihre bloße Existenz ist noch keine Hilfe. Ihre erfolgreiche Nutzung hängt immer von der Akzeptanz ihrer NutzerInnen und auch von ihrer Bedienbarkeit ab. Digitale Kompetenz und BenutzerInnenfreundlichkeit sind von essenzieller Bedeutung für gelingende Technikentwicklung. Mit gelingend ist gemeint, dass beispielsweise eine robotische Assistenz in der täglichen Arbeit der Pflegekräfte entlastend und hilfreich zum Einsatz kommt und nicht in einem Abstellraum verstaubt, weil niemand weiß, wie man sie bedient, und keine Zeit einbemessen ist, die Maschine zu warten. Verschiedene Ansätze können dem entgegenwirken, zum Beispiel eine Verankerung von digitalem Know-how in der Ausbildung für die Gesundheitsberufe. Flexible und abänderbare Systeme könnten zudem sicherstellen, dass die Geräte an die Bedarfe der Pflege vor Ort angepasst werden können. Fokussieren Digitalisierungsprozesse auf die Verbesserung von Versorgungs- und Pflegequalität, bleibt z. B. mehr Zeit, die Pflegende den unterstützten Personen widmen können. Weder dürfen Entwicklungsprozesse über den Köpfen der betroffenen Personen stattfinden noch dürfen sie Einsparungsziele, wie Personalkürzungen oder eine Beschneidung des Dienstleistungsangebots, verfolgen.
Selbständigkeit, Unterstützung und mehr Zeit
Für Menschen mit Unterstützungsbedarf kann digitale Technik neue oder verbesserte Formen der Selbständigkeit eröffnen, sei es in Form von Sprachassistenzsystemen, Mobilitätshilfen und anderen Möglichkeiten, mit den Herausforderungen des Alltags trotz Beeinträchtigungen gut zurechtzukommen. In fast gar nichts waren sich die Parteien im Wahlkampf beim Thema Pflege einig, einen gemeinsamen Nenner fanden sie jedoch in der Erkenntnis, dass es vielen Personen mit Pflegebedarf ein Anliegen ist, mobil versorgt zu werden und daheim bleiben zu können. Man will Menschen nicht aus ihrem Alltag reißen und ein gewohntes Umfeld ist dem Wohlbefinden vermutlich auch zuträglich. Für die Nutzung von Geräten, die mehr Selbständigkeit in einen zunehmend überfordernden Alltag bringen, braucht es jedenfalls Beratung, wie sie z. B das gemeinnützige Unternehmen Lifetool anbietet, und vor allem entsprechende Finanzierung aus öffentlichen Mitteln. Wenn man Menschen mit Unterstützungsbedarf aufgrund mangelnden Geldes in die Rolle von BittstellerInnen drängt, kann von Autonomie keine Rede sein.
Für Pflegende kann Digitalisierung Unterstützung bieten in den täglichen Aufgaben, indem z. B. Administration und Dokumentation vereinfacht wird oder die schwere körperliche Arbeit mithilfe von Hebe- und Tragmöglichkeiten reduziert wird. Digitalisierung bietet Pflegenden somit nicht nur die Chance, mehr Zeit für Beziehungsarbeit aufwenden zu können. Zusätzlich eröffnet Digitalisierung auch Potenzial zur Entlastung, wenn eben Routinetätigkeiten automatisiert werden können und die physische sowie die psychische Gesundheit der Pflegenden besser aufrechterhalten bleiben. Und damit ist letztlich allen geholfen.
Fazit: Was ist den Menschen wichtig?
Betreuung und Pflege gehen per Definition mit Beziehungsarbeit einher. In der Debatte um die Zukunft der Pflege muss daher die Frage im Mittelpunkt stehen, was den Menschen wichtig ist. Welche Technologien dabei zur Anwendung kommen, erörtern wir in einem zweiten Schritt. Was ist uns wichtig, wenn wir heute oder vielleicht in der Zukunft Bedarf nach Pflege haben? Dazu zählen bestimmt persönliche Ansprache, Vertrauen und eine Atmosphäre, die uns Sicherheit vermittelt. Pflegebedürftigkeit kennt schließlich keine Statistik.