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Laut Arbeitsklimaindex der AK Oberösterreich (AKI) kann sich jede:r dritte Arbeitnehmer:in – also rund eine Million Arbeitnehmer:innen – nicht vorstellen, im aktuellen Beruf bis zum Pensionsalter durchzuhalten, Arbeitsdruck und überlange Arbeitszeiten sind dabei wesentliche Faktoren. So zeigen die Daten des AKI auch, dass sich 27 Prozent der Beschäftigten durch ständigen Zeitdruck stark oder sehr stark belastet fühlen. Das sind mehr als doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor.
Die Wünsche: insgesamt kürzere Arbeitszeiten, Teilzeitbeschäftigte wollen aufstocken
Die Arbeitskräfteerhebung 2019 gibt einen Einblick in die normalerweise geleistete Arbeitszeit und die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten. Im Durchschnitt arbeiteten die Beschäftigten 36,1 Stunden pro Woche. Knapp eine Million und damit etwa ein Viertel aller Beschäftigten arbeitete weniger als 30 Stunden, knapp zwei Millionen zwischen 35 und 40 Stunden und etwa 700.000 mehr als 40 Stunden.
Die Wunscharbeitszeit ist recht klar verteilt: Beschäftigte mit einem Stundenausmaß von 30 Stunden oder weniger wollen ihre Arbeitszeit im Durchschnitt erhöhen, jene mit mehr als 30 Stunden reduzieren. Etwa ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten will die Arbeitszeit unmittelbar ausweiten, etwa ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten sie unmittelbar reduzieren. Das gewünschte Arbeitsausmaß beträgt im Durchschnitt 34,9 Wochenstunden, die gewünschte Arbeitszeitreduktion im Durchschnitt also 1,2 Stunden.
Dieser Befund wird auch durch eine aktuelle Auswertung des Arbeitsklima Index bestätigt: Seit dem Jahr 2000 ist der Anteil der Beschäftigten, die weniger Stunden arbeiten möchten, deutlich auf nunmehr 28 Prozent gestiegen. Der Wunsch nach weniger Arbeitszeit ist – entgegen der öffentlichen Debatte – bei der jungen Generation nicht stärker ausgeprägt als in anderen Altersgruppen.
Eine Online-Umfrage der AK Wien brachte zudem zutage, dass sich der Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten quer durch alle Branchen zieht und eine kürzere, gesunde Vollzeit wesentlich zu einer gerechteren Verteilung der Erwerbsarbeitszeit zwischen Frauen und Männern führen würde. Bei einer 30-Stunden-Woche würden nicht nur jene mit höheren Arbeitszeiten (meist Männer) reduzieren, sondern auch die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten (meist Frauen) ihre Arbeitsstunden aufstocken. Bei der Verwendung der gewonnenen Zeit stehen bei beiden Geschlechtern Erholung und Zeit für die Familie an oberster Stelle.
Die Wirklichkeit: überlange Arbeitszeiten und unbezahlte Überstunden
Von diesen Wünschen sind wir in Österreich allerdings weit entfernt: Die durchschnittliche Arbeitszeit für Vollzeitkräfte liegt mit 40,8 Stunden über dem Schnitt im Euroraum von 39,4 Stunden. Österreich gehört damit zu den Ländern mit der höchsten Vollzeit-Stundenzahl. In vergleichbaren Volkswirtschaften wie Dänemark, Niederlande und Finnland ist die Normalarbeitszeit deutlich niedriger.
Und dabei wird diese Leistung manchmal noch nicht einmal bezahlt. Letztes Jahr blieben laut einer Sonderauswertung der Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria 47,1 Mio. Überstunden unvergütet, d. h. die Betriebe haben sie den Mitarbeiter:innen weder in Geld noch in Zeit abgegolten. Damit haben die Unternehmen den Beschäftigten 1,2 Mrd. Euro vorenthalten.
Es ist also hoch an der Zeit für eine moderne und den Belastungen des Arbeitslebens im 21. Jahrhundert angemessene Arbeitszeitnorm in Form einer neuen und gesunden Vollzeit. Diese liegt im Bereich einer 30-bis-35-Stunden-Woche und soll auch eine nachhaltige Beschäftigung bis zum Pensionsalter ermöglichen. Der Arbeitsminister ist aufgerufen, gemeinsam mit den Sozialpartner Schritte auf diesem Weg zu erarbeiten und festzulegen.
Innovative Betriebe zeigen den Weg vor
Während Industriellenvereinigung und WKÖ auf der Bremse stehen, werden sie von den modernen, innovativen Betrieben überholt. Diese passen die Arbeitszeiten den Bedürfnissen der Beschäftigten an, so sind sie attraktiv für Arbeitskräfte. Während die einen gedanklich in der Vergangenheit verharren, erkennen zukunftsorientierte Betriebe, dass eine kurze Vollzeit Schlüssel auch zum betriebswirtschaftlichen Erfolg ist.
Vom Marketingunternehmen zum Elektroinstallateur, vom Tierfutterproduzenten über Hotel bis zum Friseurbetrieb: quer durch alle Branchen und Bundesländer gibt es mittlerweile erfolgreiche Beispiele für Unternehmen mit Arbeitszeitverkürzung. Im Detail wissenschaftlich begleitet wurde die Online-Marketing-Agentur eMagnetix. Das Unternehmen hat 2018 als Reaktion auf einen Mangel an Bewerber:innen die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt und wurde dabei von der Arbeitszeit-Forschungs- und Beratungs-Gesellschaft XIMES wissenschaftlich begleitet.
Die Evaluierung zeigt eindrücklich, dass die 30-Stunden-Woche nicht nur mehr Zufriedenheit für die Beschäftigten gebracht hat, sondern auch wirtschaftlichen Erfolg für das Unternehmen. Die Zahl der Mitarbeiter:innen stieg von 12 bis Ende 2022 auf 40. Der Betrieb in einer oberösterreichischen Kleinstadt hatte früher trotz Kollektivvertrags-Überzahlung oft keine einzige Bewerbung – jetzt kann er aus bis zu 100 Bewerbungen auswählen. Ein klarer Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen.
Handlungsbedarf bei öffentlichen Diensten
Auch der öffentliche Sektor wird sich anpassen müssen. Allzu oft herrschen hier starre Arbeitszeiten. Die Beschäftigten mit besonders fordernden Tätigkeiten, etwa in der Pflege oder der Elementarpädagogik, verlangen nach mehr Erholungszeit. Viele Beschäftigte „flüchten“ nach wenigen Jahren in andere Branchen, obwohl sie dringend gebraucht würden.
Zwar wurde im Kollektivvertrag „Soziale Arbeit“ mit der 37-Stunden-Woche ein großer Fortschritt erreicht, jedoch sind mehr Auszeiten und mehr Personal weiterhin dringend erforderlich. Sie wären auch eine wichtige Maßnahme, die Arbeit in diesen Bereichen attraktiver zu machen und Fachkräfte damit längerfristig zu halten.
Mehr Wohlstand durch Umsetzung der Arbeitszeitwünsche
Die Verkürzung der Arbeitszeit ist ein wesentlicher Faktor für eine nachhaltige Erhöhung von Wohlstand und Wohlergehen, dies zeigen die AK-Wohlstandsberichte seit vielen Jahren.
Zudem hat nun jüngst das WIFO auf Basis der in der Arbeitskräfteerhebung 2019 erfassten individuellen Arbeitszeitwünsche deren volkswirtschaftliche Effekte errechnet. Diese sind in allen gewählten Szenarien überraschend gering: Die Anpassung der Arbeitszeit an diese individuellen Arbeitszeitwünsche bedeuten eine Verringerung der durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit um 1,2 Stunden oder 3,3 Prozent. Sie zieht positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt und in Bezug auf die Produktivität sowie leicht negative Effekte auf Produktion und Preise nach sich. Die Beschäftigung steigt um knapp 1 bis 2 Prozent und die Arbeitslosenquote sinkt um ½ bis 1 ½ Prozentpunkte. Die Stundenproduktivität steigt zwischen ½ und 1 ½ Prozent. Die Verbraucherpreise steigen um ½ bis 1 Prozent. Die realen Pro-Kopf-Löhne gehen mittelfristig um 0,2 bis 1 Prozent und die Produktion um 0,7 bis 0,9 Prozent zurück.
Die Verringerung der durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit von 36,1 Stunden auf 34,9 Stunden wäre der erste von drei Schritten, um eine 32-Stunden-Woche zu erreichen. In diesem Sinn würde eine Arbeitszeitverkürzung um 10 Prozent eine Verringerung der Reallöhne um ½ bis 3 Prozent und der Produktion um 2 bis 3 Prozent nach sich ziehen. Das klingt nach einem guten Deal. Mehr Freizeit und höherer immaterieller Wohlstand durch kürzere Arbeitszeit bei gleichzeitig geringen Verlusten an materiellem Wohlstand.
Woher kommen die Arbeitskräfte?
Lange Arbeitszeiten kosten Produktivität, eine Verkürzung der Arbeitszeit lässt die Produktivität steigen: weniger Krankenstände, weniger Unfälle, höhere Konzentration bei der Arbeit. Das bestätigt auch die neue WIFO-Studie, die davon ausgeht, dass rund 40 Prozent der reduzierten Arbeitszeit durch erhöhte Produktivität ausgeglichen werden.
Zudem sind große Potenziale am Arbeitsmarkt ungenutzt. So kommen nach wie vor auf jede offene Stelle 2,4 arbeitssuchende Menschen. Zusätzlich arbeiten 438.000 – fast ausschließlich Frauen – aufgrund von Betreuungspflichten in Teilzeit, was oft den mangelhaften Rahmenbedingungen bei Kinderbetreuung und Ganztagesschulen geschuldet ist. Ganze 165.000 Teilzeitbeschäftigte möchten aber schon jetzt aufstocken, der Großteil davon mehr als fünf Stunden – sie bekommen offenbar von ihren Arbeitgeber:innen nicht die Möglichkeit dazu.
Dazu kommen rund 200.000 Menschen, die nicht als arbeitsuchend aufscheinen, aber grundsätzlich bereit wären, eine Arbeit anzunehmen – die sogenannte „stille Reserve“. Von dieser Personengruppe wären 140.000 innerhalb von zwei Wochen verfügbar.
Auch für die Zukunft wären genug Arbeitskräfte vorhanden. Eine neue Studie des WIFO im Auftrag der Sozialpartner hat berechnet, dass das Arbeitskräfteangebot in Österreich im Zeitraum 2018 bis 2040 um insgesamt 176.000 Personen wächst. Mit entsprechenden Maßnahmen, wie etwa einer verstärkten (Re-)Integration von Müttern oder einer Forcierung des zweiten Bildungswegs, könnten es noch mehr sein.
Die größte Gruppe des Arbeitskräftepotenzials für gute Arbeitsverhältnisse bilden die vielen Niedriglohnbeschäftigten. Laut EU SILC 2021 haben in diesem Jahr 520.000 Vollzeitbeschäftigte weniger als 2.000 Euro brutto pro Monat (14-mal im Jahr) verdient. Das sind 16 Prozent der unselbstständig Beschäftigten. Besonders hoch ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten im Handel, bei sonstigen und freiberuflichen Dienstleistungen und in der Gastronomie, wo er mehr als die Hälfte der Beschäftigten umfasst. Niedriglohnbeschäftigte in Arbeitsverhältnisse zu bringen mit Arbeitszeiten, die ihren Wünschen entsprechen, und Löhnen, von denen sie leben können, bietet ein enormes Potenzial für gute Beschäftigung.
Unternehmen müssen wieder mehr Verantwortung für Qualifikation übernehmen
Selbstverständlich haben nicht alle Menschen, die gerne arbeiten oder mehr arbeiten möchten, bereits jetzt die benötigten Kompetenzen. Daher muss ihnen die entsprechende Qualifizierung ermöglicht werden. Wenn Betriebe Fachkräfte wollen, müssen sie ihre Verantwortung dafür übernehmen und wieder ausreichend Mittel für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung stellen. In den letzten zehn Jahren hat sich der Anteil der Unternehmen an der Finanzierung von Weiterbildung von 41 auf 31 Prozent massiv reduziert.
Zusätzlich muss auf öffentlicher Seite das Arbeitsmarktservice mit den entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden und der Auftrag für Qualifizierung in den gleichen Rang wie Vermittlung gehoben werden. Ein Recht auf berufliche Umqualifizierung für Beschäftigte und Arbeitsuchende nach dem AK-Modell eines Qualifizierungsgeldes würde ebenfalls helfen.
Fazit
Arbeitskräfteknappheit bildet die erfolgversprechende Basis für die Umsetzung von Arbeitszeiten, die den Wünschen und Bedürfnissen der Beschäftigten entsprechen. Für Teilzeitbeschäftigte bedeutet die Möglichkeit längerer Erwerbsarbeitszeit bei guten Arbeitsbedingungen und gerechterer Verteilung der Care-Arbeit höheren Wohlstand. Vollzeitbeschäftigte brauchen verschiedene, den spezifischen Bedürfnissen angepasste Formen der Arbeitszeitverkürzung. Mehr Auszeiten während des Erwerbslebens sind die Voraussetzung für einen späteren Pensionsantritt. Der beste Zeitpunkt für Arbeitszeitverkürzung ist jetzt.
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