Je besser die Qualifikation, desto geringer ist das Risiko, arbeitslos zu werden. Klappt es mit der Erstausbildung nicht so gut, braucht es eine zweite Chance, um einen Abschluss zu erwerben oder sich entsprechend weiterzubilden. Die derzeitigen Systeme weisen jedoch Lücken auf – es ist Zeit für ein neues Qualifizierungsgeld.
Menschen ohne Ausbildung haben hohes Arbeitslosigkeitsrisiko
Fast jeder zweite Arbeitslose konnte 2016 keine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung vorweisen. Mit 26 Prozent weist diese Gruppe mit Abstand die höchste Arbeitslosenquote auf. Dies bedeutet, dass die Erstausbildung einen ganz wesentlichen Stellenwert hat. Es sollten daher alle Anstrengungen unternommen werden, damit möglichst alle Jugendlichen einen über die Pflichtschule hinausgehenden Schul- oder Berufsabschluss absolvieren. Richtige Schritte in diese Richtung sind die Ausbildung bis 18 (Ausbildungspflicht für Jugendliche) und die Ausbildungsgarantie bis 25.
Für jene, die über das „junge Erwachsenenalter“ bereits hinaus sind und derzeit keinen Berufsabschluss haben oder einen, der für sie keine adäquaten Arbeitsmöglichkeiten mehr bietet, gibt es natürlich auch Möglichkeiten der Umschulung bzw. Weiterbildung. Das Arbeitsmarktservice als größter Anbieter von Weiterbildungen ermöglicht Berufsabschlüsse und andere arbeitsmarktbezogene Qualifizierungen, allerdings nur für arbeitslose Personen und auch nur dann, wenn eine Vermittlung im herkömmlichen Beruf nicht mehr erfolgsversprechend ist. Dadurch ist beispielsweise für Menschen, die im Handel oder im Tourismus arbeiten – außer sie weisen gesundheitliche Einschränkungen auf –, ein beruflicher Neuanfang nur schwer möglich.
Darüber hinaus gibt es derzeit die Bildungskarenz, die Bildungsteilzeit und das Fachkräftestipendium, die wesentliche Eckpfeiler der selbstgewählten Weiterbildung sind. Diese leisten Unterstützung bei der Finanzierung des Lebensunterhaltes während dem Lernen. Wie ein Monatsbericht des WIFO darlegt, hat allerdings jedes dieser Instrumente auch Mängel. So braucht es für die Bildungskarenz und Bildungsteilzeit ein aufrechtes Dienstverhältnis und die Zustimmung des Arbeitgebers. Darüber hinaus ist die mögliche Dauer zumeist zu kurz, um eine Ausbildung auch abzuschließen. Das Fachkräftestipendium ermöglicht dafür nur eine eingeschränkte Auswahl an schulischen Abschlüssen. Als Ergebnis eines Vergleichs dieser Instrumente legt auch das WIFO nahe, dass es ein neues Modell braucht, um Weiterbildung adäquater finanziell zu unterstützen.
Wie kann ein Modell eines neu zu schaffenden Qualifizierungsgeldes aussehen?
Es sollte allen Personen über 25 Jahre, die beruflichen Neuorientierungs- oder grundlegenden Weiterbildungsbedarf haben, eine Weiterbildung existenziell ermöglichen. Das Qualifizierungsgeld ist mit Rechtsanspruch ausgestattet, auch gegenüber dem Arbeitgeber sollen Beschäftigte, die das Qualifizierungsgeld nutzen wollen, eine Freistellung für die Ausbildung analog zur Elternteilzeit durchsetzen können.
Innerhalb einer Rahmenfrist von 15 Jahren können insgesamt 36 Monate an Aus- und Weiterbildung absolviert werden, wenn in Summe mindestens fünf Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Dienstnehmer, Selbstständige oder als Beamte von öffentlichen Gebietskörperschaften oder Vertragsbedienstete im Inland vorliegen. Die Ausbildungszeiten können durchgehend oder in Modulen von mindestens drei Monaten erfolgen. Insgesamt können sie aber höchstens 72 Monate (sechs Jahre in einer Lebensarbeitszeitspanne) betragen.
Zulässig wären alle Ausbildungen, die zu einem öffentlich anerkannten Abschluss führen oder Module zur Erreichung eines solchen darstellen. Tertiäre Ausbildungen sind ebenfalls unterstützungsfähig, wenn es sich um ein Erststudium handelt und ein Selbsterhalterstipendium aus Altersgründen nicht mehr möglich ist (Altersgrenze Selbsterhalterstipendium: 34 Jahre). Tertiäre Zweitausbildungen und Ausbildungsmodule, die nicht zu einem öffentlich anerkannten Bildungsabschluss führen, sind dann zulässig, wenn sie im Rahmen einer fundierten Bildungsberatung als sinnvoll empfohlen werden.
Wer soll durch dieses neue Instrument vor allem erreicht werden?
Vorrangig sind es die formal geringqualifizierten Personen, die jetzt nur schlecht durch die Bildungskarenz oder Bildungsteilzeit erreicht werden. Bei dieser Gruppe braucht es in vielfacher Hinsicht mehr Unterstützung. Oftmals gibt es höhere Hemmschwellen, eine Fortbildung in Erwägung zu ziehen. Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Fachkräftestipendium zeigen, dass hohe Lernanforderungen durch mehrjährige Ausbildungen und die erforderliche Ausdauer speziell für jene Personen, die oftmals seit vielen Jahren keine Weiterbildungen mehr besucht haben, eine besondere Herausforderungen sind. Dies betrifft auch die Auswahl der Aus- oder Weiterbildung.
Daher braucht es eine qualifizierte Ausbildungsberatung, die von bildungsträgerunabhängigen Beratungseinrichtungen angeboten wird und die Möglichkeit eines begleitenden Coachings.
Für Personen mit einem vorherigen niedrigen Einkommen ist die derzeitige Höhe des Weiterbildungsgeldes bei Bildungskarenz nicht ausreichend. Die Höhe der finanziellen monatlichen Unterstützung im Rahmen des Qualifizierungsgeldes soll daher netto dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende (2017: 889,84 Euro pro Monat) entsprechen und jährlich valorisiert werden. Pro unterhaltsberechtigter Person kommen 137,30 Euro monatlich dazu, höchstens jedoch drei Zuschläge insgesamt.
Wer soll für wie viele zahlen?
Mit dem neuen Qualifizierungsgeld sollen die bisherigen Instrumente Bildungskarenz, Bildungsteilzeit und Fachkräftestipendium ersetzt werden. Nach einer Schätzung des WIFO könnten damit bis zu 40.000 Personen eine zweite Chance erhalten. Dies würde etwa zusätzlich 178 Mio. Euro kosten.
Da in Zeiten des ständigen Strukturwandels, der Digitalisierung und des zunehmenden Drucks zu immer höherer Qualifizierung neben der Erstausbildung auch ein systematisches Angebot zu einer weiteren Ausbildungschance eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe darstellt, soll die Abwicklung zwar über das AMS erfolgen, die Finanzierung jedoch aus allgemeinen Steuermitteln erfolgen.
Ausblick
Der Ruf nach gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird zurzeit wieder laut, wie aktuelle Pressemitteilungen der Arbeitgeberverbände zeigen. Gut wäre es, wenn endlich von allen Stakeholdern, auch den VertreterInnen der Wirtschaft, endlich erkannt wird, dass es auch in der Verantwortung der Unternehmen selbst liegt, in die Aus- und Weiterbildung der ArbeitnehmerInnen zu investieren und dies den Menschen auch tatsächlich zu ermöglichen. Selbstgewählte Weiterbildung – zusätzlich zu den AMS-Angeboten – muss daher besser unterstützt werden. Das Qualifizierungsgeld wäre das passende Modell für die Existenzsicherung während einer solchen Ausbildung.