Menschen mit niedrigen formalen Qualifikationsabschlüssen sind mit strukturellen Rahmenbedingungen konfrontiert, die für sie zu weniger Chancen am Arbeitsmarkt und im Bereich der beruflichen Weiterbildung führen. Die Teilnahme an „klassischen“ Formen des Lernens – wie etwa im institutionellen Rahmen von Erwachsenenbildungseinrichtungen – ist für sie häufig schwierig, da sie von negativen Lernerfahrungen geprägt sind. Ihr Bildungsweg fand sein (vorläufiges) Ende meistens mit der Absolvierung der Pflichtschule.
Wer ist gemeint?
Von wem ist aber nun konkret die Rede? Gemeinhin auch als „bildungsbenachteiligte Menschen“ bezeichnete Personen haben am Arbeitsmarkt mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen und besondere Herausforderungen zu bewältigen: Die Arbeitslosenquote ist bei dieser Gruppe besonders hoch, sie lag im Jahr 2014 in Österreich bei Arbeitslosen mit höchstens Pflichtschulabschluss bei 24,3 %. Bei Personen mit höheren Bildungsabschlüssen schwankte die Arbeitslosenquote zwischen 2,9 % (Uni, FH, Akademien) und 7,2 % (Lehre). Ebenso hatten im Jahr 2014 fast die Hälfte aller arbeitslos Gemeldeten (46,6 %) keinen höheren Bildungsabschluss als die Pflichtschule.
Betrachtet man die Beschäftigungsquote aus dem letzten Quartal des Jahres 2014, so zeigt sich, dass Menschen mit maximal Pflichtschulabschluss auch spiegelbildlich eine weitaus niedrigere Erwerbstätigenquote haben als der Durchschnitt der Bevölkerung. In diesem Zeitraum sind etwa 45 % der Menschen mit max. Pflichtschulabschluss erwerbstätig gewesen, bei Menschen mit tertiärem Abschluss waren es aber über 83 %.
Beschäftigung finden Menschen mit geringeren formalen Qualifikationen, beispielsweise im Handel als Lagerarbeiter, in der Reinigung oder auch in Call Centern. In der Industrie finden sich diese Arbeitsplätze häufig in der Maschinenbedienung oder bei diversen Tätigkeiten in der Verpackung und Sortierung.
Ihr Einkommen ist zumeist niedriger als das des Bevölkerungsdurchschnitts. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung steigt, durch jedes Jahr, in dem eine Ausbildung gemacht wird, das Einkommen um 5 bis 6 %. Vergleicht man die Einkommen der Erwachsenen in Österreich nach höchster formal abgeschlossener Ausbildung, so ist ein erheblicher Unterschied erkennbar: Menschen mit max. Pflichtschulabschluss verdienen im Median (d.h., die Hälfte der Menschen verdient mehr, die andere weniger) knapp € 1.250,-, während Menschen mit einem Lehrabschluss auf über € 1.800,- (beides sind Monatsnettowerte) kommen.
Formal gering qualifizierte Personen nehmen zudem weniger an beruflicher Weiterbildung teil, sind meist älter (drei Viertel sind über 45 Jahre alt) und haben öfter einen Migrationshintergrund.
Rolle von Kompetenzen am Arbeitsmarkt
Ob jemand am Arbeitsmarkt erfolgreich sein kann oder nicht, lässt sich allerdings nicht nur mit Kompetenz erklären. Es müssen auch andere Personenmerkmale, wie etwa das Alter, das Geschlecht oder der Migrationshintergrund, miteinbezogen werden. Auch die bisherigen Lernerfahrungen gilt es zu berücksichtigen, da diese einen maßgeblichen Einfluss auf das weitere Partizipationsverhalten an (Weiter-)Bildung haben.
Der Sozialwissenschafter Manfred Krenn stellt im Rahmen der Sonderauswertungen für PIAAC (das sog. „PISA für Erwachsene“) fest, dass das Ausmaß der individuellen Kompetenzen auf die Beschäftigungschancen bzw. die Stellung im Beruf möglicherweise überschätzt wird. Er kommt zu dem Schluss, dass Kompetenzen zwar eine Rolle am Arbeitsmarkt spielen, aber nicht in dem Umfang, wie es im öffentlichen Diskurs suggeriert wird. Ob jemand eine Arbeitsstelle findet oder nicht, hängt auch von vielen anderen Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen hier beispielsweise Bildungszertifikate sowie ein etwaiger Migrationshintergrund.
Bei Personen, die formal gering qualifiziert sind, wird Lesen und Rechnen am Arbeitsplatz oft weniger gebraucht. Allerdings, so Krenn, kann es auf Dauer zu zusätzlichen Kompetenzverlusten bzw. zu einer Stagnation auf niedrigem Niveau kommen, wenn der eigene Arbeitsplatz nur solch geringe Anforderungen stellt. Überdies ist nicht klar, wo Ursache und Folge liegen: Es könnte auch sein, dass gering gemessene Kompetenzen eine Folge von Tätigkeiten in solchen Bereichen sind.
Wichtig ist bei all diesen Überlegungen im Hinterkopf zu behalten, dass in unserer Gesellschaft, so Manfred Krenn in einer Veranstaltung zum Thema „lernförderliche Arbeitsgestaltung“, in den vorherrschenden Diskursen eine Höherbewertung von geistiger Arbeit gegenüber körperlich-praktischer Arbeit stattfindet. Krenn hat in einer Analyse der Arbeitsmarktchancen gering Qualifizierter erhoben, dass es durchaus Arbeitsplätze für gering qualifizierte Menschen gibt, wenn man die Tätigkeiten in Betracht zieht, die formal diese absolvieren können. Schwierig wird es dort, wo es um berufliche Veränderung (egal ob selbst- oder fremdindiziert) oder gar beruflichen Aufstieg geht.
Bildungsbenachteiligte und berufliche Weiterbildung
In einer aktuellen Studie der AKNÖ – die zwar ausschließlich auf Niederösterreich fokussiert ist (die Zahlen sind aber anderen österreichweiten Studien-Ergebnissen (wie bspw. AES) ähnlich und lassen damit auch Aussagen für ganz Österreich vermuten) – wurde erhoben, dass Menschen mit Pflichtschulabschluss überdurchschnittlich oft „weiterbildungsabstinent“ sind. Das bedeutet, dass sie in den vergangenen 12 Monaten weder eine Weiterbildung hatten, noch dass sie gerne eine gehabt hätten. Insgesamt 42 % der Befragten zählen zu dieser Gruppe. In dieser Typologie gibt es auch die Gruppe der sog. „Weiterbildungsmotivierten“ (14 %), also jene, die an beruflicher Weiterbildung teilgenommen haben und zusätzlich einen weiteren Bedarf sehen. In dieser befinden sich vor allem Menschen mit tertiärer Bildung und Matura.
Nur 22 % der Menschen mit Pflichtschulabschluss konnten laut dieser Studie an einer beruflichen Weiterbildung (Referenzzeitraum: die letzten 12 Monate vor der Befragung) teilnehmen. Bei Menschen mit höherer Bildung waren es dagegen 71 %. Das Matthäus-Prinzip, „wer hat, dem wird gegeben“, setzt sich also auch im Bildungserwerb Erwachsener durch. Erwachsenenbildung schafft es demnach ebenso wenig wie schulische Bildung, Chancenungerechtigkeiten, die aus sozialen Ungleichheiten resultieren, auszugleichen. Die sozialen Hintergründe haben in Österreich einen, im internationalen Vergleich gesehen, höheren Einfluss als in anderen Ländern.
Die Nicht-Teilnahme-Gründe der befragten Personen waren vor allem Zeitmangel und Stress bzw. zu viel Arbeit, aber auch finanzielle Gründe (Angebote zu teuer) wurden ins Treffen geführt. Letztere wurden von Menschen mit max. Pflichtschulabschluss vergleichsweise häufiger genannt. Weitere Gründe waren fehlendes Angebot und fehlende finanzielle Unterstützung durch den bzw. die ArbeitgeberIn. Auch der Hindernisgrund „wegen des zu hohen Alters“ wurde vergleichsweise mehr von Pflichtschulabsolventen /-absolventinnen genannt.
Handlungsansätze für die Zukunft
Es ist wichtig, die Stärken gering Qualifizierter zu erkennen und zu fördern. In einer Studie im Auftrag des AMS wurde erhoben, wie formal gering Qualifizierte in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Befragt nach den positiven Eigenschaften dieser Beschäftigtengruppe, wurden von Unternehmensseite folgende Eigenschaften benannt: Unkompliziertheit und Direktheit im persönlichen Kontakt, „Gut Zupacken können“ und „Nicht-Vorhandensein von Standesdünkeln“.
Eine Empfehlung für die bessere Integration in den Arbeitsmarkt ist die Schaffung von Maßnahmen zur (Höher-)Qualifizierung. Damit sind langfristige und umfassende Weiterbildungen gemeint. Wichtig wäre es, die Grundbildung dieser DienstnehmerInnen zu verbessern und sie so zu fördern, dass es ihnen möglich wird, einfache Tätigkeiten auch ohne laufende Anleitung durchführen zu können.
Eine besondere Herausforderung wird sein, die Motivation zu fördern: Es ist notwendig, die soziale bzw. gesellschaftliche Anerkennung ihrer Leistungen zu erhöhen sowie ein „Mehr“ an Erfolgserlebnissen zu ermöglichen. Dies kann etwa durch positives Feedback erfolgen.
Außerdem sollten besonders Unternehmen, ihre oft zu hoch angesetzten Qualifikationsanforderungen für „einfache Arbeitsplätze“ hinterfragen und überdenken. In oben genannter Studie im Auftrag des AMS sagten PersonalvermittlerInnen in Interviews, dass Firmen des Öfteren „zu überzogene Qualifikationsanforderungen“ haben und damit zu hohe Anforderungen an Tätigkeitsprofile, für die auch geringere Kompetenzen ausreichen würden.
Betriebe sind, so Krenn, des Weiteren gefragt, ihren eigenen Beitrag zu leisten, in dem sie lernförderliche Arbeitsumgebungen schaffen. Diese sind unerlässlich für die Kompetenzentwicklung. Uwe Elsholz spricht sich sogar dafür aus, formelles Lernen (z.B. in organisierten Kursen) dem Lernen am Arbeitsplatz nachzuordnen. Ebenso fordert auch er lernförderliche Arbeitsumgebungen. Dazu zählt etwa die Möglichkeit, am Arbeitsplatz beispielsweise einen Online-Kurs zu besuchen oder aber auch informelles Lernen unter Kolleginnen/Kollegen zu ermöglichen (z.B. (Ein-)Schulung von Kolleginnen/Kollegen auf ein Arbeitsgerät, Erklären weiterer/neuer Funktionen desselben etc.).
Auch die BetriebsrätInnen sind gefragt, die Bildungsverläufe ihrer Kolleginnen/Kollegen im Auge zu behalten und vor allem jene Kolleginnen/Kollegen besonders zu unterstützen, die nicht selbstverständlich in den Genuss von Weiterbildung kommen.
Weiterbildung ist nicht das Allheilmittel
Weiterbildung kann dazu verhelfen, einen Arbeitsplatz zu finden bzw. ihn zu sichern, wird aber ohne begleitende Maßnahmen alleine nicht ausreichen. Neben Weiterbildungsmöglichkeiten braucht es darüber hinaus auch strukturelle und ökonomische Reformen, die Ungleichheiten in Bildungs- und Arbeitsmarktchancen ausgleichen!
Defizitperspektiven müssen abgelegt werden, da diese einerseits Vorurteile aufrechterhalten und andererseits die Selbstbilder der betroffenen Personen weiter negativ beeinflussen!
Chancenungleichheiten müssen strukturell beseitigt werden und Unterstützungen für „bildungsbenachteiligte“ Menschen an oberste Stelle gereiht werden, wenn es um bildungspolitische Maßnahmen im Erwachsenenbildungsbereich geht. Dies gilt sowohl für Personen, die aktuell beschäftigt sind, als auch für jene, die aktuell nach einem Arbeitsplatz suchen.