Der Strukturwandel und die zunehmende Bedeutung von Digitalisierung auf dem Arbeitsmarkt erfordern ein leistungsfähiges System der Aus- und Weiterbildung für Erwachsene. Die wesentlichen Instrumente zur Existenzsicherung in Weiterbildungsphasen in Österreich ‑ Bildungskarenz, Bildungsteilzeit, Fachkräftestipendium und Selbsterhalterstipendium ‑ bieten jenen, die insbesondere von dem Strukturwandel und der Digitalisierung betroffen sind, nur unzureichende Unterstützung. Es bedarf daher einer Anpassung der vorhandenen Instrumente der existenzgesicherten Weiterbildung, die insbesondere auf Personen mit geringen und mittleren Qualifikationen fokussiert.
Positive Effekte von Aus- und Weiterbildung
Aus- und Weiterbildung im gesamten Arbeitsleben ist von zunehmender Bedeutung für einen erfolgreichen Erwerbsverlauf, soziale Integration und Mobilität, die Einkommenshöhe und finanzielle Absicherung. Gut ausgebildete Personen haben bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und ein geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko, sind in der Regel zufriedener mit ihrer Arbeit, gesünder und zahlen aufgrund des höheren Einkommens auch mehr Steuern und Sozialversicherungsabgaben (OECD, 2012). Abgesehen von hohen individuellen Bildungsrenditen ‑ die umso höher sind, je höher die Ausbildung ist ‑ zeigen sich auch positive gesellschaftliche Renditen. Gemäß dem ökonomischen Ansatz der endogenen Wachstumstheorie (Romer, 1990; Aghion ‑ Howitt, 1997) wird das Wirtschaftswachstum langfristig vor allem durch Humankapital, Forschung und Entwicklung bestimmt. Demnach ist Aus- und Weiterbildung ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung eines Landes, wie auch empirische Studien belegen (Hanushek ‑ Wössmann, 2015).
Weiterbildung stärken, damit mehr ArbeitnehmerInnen vom Strukturwandel profitieren
Weiterbildung ist notwendig, um den neuen, technologisch bedingten Herausforderungen zu begegnen. Studien belegen eine Strukturverschiebung der Beschäftigung weg von manuellen Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen hin zu wissensintensiven Nicht-Routinetätigkeiten mit hohen Qualifikationsanforderungen (Bock-Schappelwein, 2016). Diese Tendenz bestätigt sich auch in der hohen Arbeitslosenquote von Geringqualifizierten: Im Jahr 2016 hatten rund die Hälfte der Arbeitslosen nur einen Pflichtschulabschluss und rund 80 Prozent entweder Pflichtschul- oder Lehrabschluss.
Fachwissen und formale Qualifikation sowie Erfahrungswissen und vernetztes Denken in Kombination mit digitaler Kompetenz sind mitentscheidend für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Aus betrieblicher Sicht kann Weiterbildung die Wettbewerbsfähigkeit unterstützen und aus gesamtgesellschaftlicher Sicht hilft sie, Fähigkeiten bereitzustellen, die in Zeiten demographischer Alterung nicht ausreichend von nachkommenden Generationen abgedeckt werden können.
Die Lücken der vorhandenen Instrumente der Existenzsicherung in Weiterbildungsphasen
Weiterbildung kostet jedoch nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Nicht nur die Kosten der Bildungsmaßnahme sind zu finanzieren, sondern oft auch der (teilweise) Entgang des Erwerbseinkommens. In Österreich besteht derzeit kein grundsätzlicher Anspruch auf Existenzsicherungsleistungen in selbst gewählten Aus- und Weiterbildungsphasen: Entweder muss die Ausbildung auf der aktuell jeweils gültigen Liste der förderbaren Ausbildungen stehen (siehe Fachkräftestipendium), bis zu einer bestimmten Altersgrenze an einer Universität bzw. Fachhochschule erfolgen (siehe Selbsterhalterstipendium) oder aber die Zustimmung des Arbeitgebers oder ein Anspruch auf Arbeitslosengeld vorliegen (siehe Bildungskarenz, Bildungsteilzeit). Dies beschränkt deutlich die Möglichkeiten insbesondere für Personen, die sich im mittleren Ausbildungssegment beruflich umorientieren wollen bzw. für Geringqualifizierte, die sich höher qualifizieren wollen und eine qualifizierte Ausbildung nachholen möchten. Das gilt vor allem für Erwerbslose und Personen, die weniger stabil ins Beschäftigungssystem integriert sind.
Zudem sind die konkreten Regelungen des Fachkräftestipendiums, der Bildungskarenz/-teilzeit und des Selbsterhalterstipendiums sehr unterschiedlich im Hinblick auf die Planbarkeit, Möglichkeit der Inanspruchnahme und Leistungshöhe. Daraus ergibt sich eine deutliche Ungleichbehandlung von Personengruppen mit unterschiedlichem Ausbildungsniveau und unterschiedlichen Weiterbildungsabsichten unter insgesamt fraglichen Verteilungswirkungen des Mitteleinsatzes: Während etwa das Fachkräftestipendium hinsichtlich der Zahl der Teilnehmenden sowie der förderfähigen Ausbildungen restriktiv gehandhabt wird und bislang einer „Stop-and-go-Politik“ folgt, besteht für das Selbsterhalterstipendium auf Ebene der Tertiärausbildung ein uneingeschränkter Zugang bei freier Studienwahl, wenn auch die Basishöhe des Stipendiums niedriger ist und eine Altersgrenze vorgesehen ist.
Unzureichende Unterstützung für die vom Strukturwandel betroffenen Personen
Die verfügbaren Instrumente bieten jenen Personen, die insbesondere vom Strukturwandel und der Digitalisierung der Arbeitswelt betroffen sind, nur unzureichende Unterstützung. Das Fachkräftestipendium ist neben der Liste der förderbaren Ausbildungen auch beschränkt auf eine bestimmte Zahl von Förderfällen. Das Selbsterhalterstipendium wiederum zielt ausschließlich auf eine tertiäre Bildung ab und die Bildungskarenz sowie die Bildungsteilzeit sind nicht nur in der Dauer so beschränkt, dass viele Ausbildungen in dieser Zeit nicht absolviert werden können, sondern benötigen darüber hinaus die Zustimmung des Arbeitgebers.
Vor allem Personen mit formal geringen und mittleren Qualifikationen geraten durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt stark unter Druck und benötigen existenzsichernde Weiterbildungsmaßnahmen, um auf dem Arbeitsmarkt aktiv bleiben zu können. Diesen Personen rechtzeitig existenzsichernde und niederschwellige Möglichkeiten der Qualifizierung zu geben, könnte die hohe (Langzeit‑)Arbeitslosigkeit in diesem Arbeitsmarktsegment senken und die Arbeitsmarktintegration erhöhen.
Eine dynamische Wirtschaft, die von Strukturwandel und technologischem Fortschritt geprägt ist, benötigt neben einem flexiblen und hochqualitativen Erstausbildungssystem auch ein leistungsfähiges System der Aus- und Weiterbildung für Erwachsene, das der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens Rechnung trägt. Solche Politikansätze sind unabdingbar, um jene Personen, die durch die tiefgreifenden ökonomischen Veränderungen verstärkt von Arbeitslosigkeit betroffen sind, höher zu qualifizieren bzw. zu re-qualifizieren und damit durchgängiger und länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten.
Dieser Blogartikel beruht auf dem WIFO-Monatsbericht „Existenzsicherungsinstrumente während der Weiterbildung in Österreich“.