Digitalisierung und mittelfristiger Berufstrukturwandel

01. Februar 2016

Im Zuge der Diskussionen über die möglichen Auswirkungen der Digitalisierung der Wirtschaft (Stichworte Industrie 4.0 bzw. Wirtschaft 4.0) werden nicht nur die aggregierten Gesamtbeschäftigungseffekte, sondern auch die unterschiedliche Betroffenheit der Berufsgruppen erörtert. Der folgende Beitrag befasst sich mit den Veränderungen der österreichischen Berufsstruktur der Beschäftigung seit Anfang der 1990er-Jahre. Das ist jener Zeitraum, in dem sich die modernen Informations- und Kommunikationstechniken (PC, Internet etc.) in Österreich in nahezu allen Branchen und Berufen als Universaltechnik durchsetzten. Die bisherige Digitalisierung der Wirtschaft begünstigte die hoch qualifizierten Angestelltenberufe und die mittel qualifizierten Personenbezogenen Dienstleistungsberufe.

Veränderungen der Berufsstruktur 1991-2009/10

Zur Darstellung und Analyse der mittelfristigen Veränderungen der Berufsstruktur der Beschäftigung muss auf die ältere Berufsklassifikation ÖISCO-88 zurückgegriffen werden. Von der Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung wurde diese Systematik bis 2010 angewandt. Verglichen wird im Folgenden die österreichische Berufsstruktur der Jahre 2009/10 mit jenen der Jahre 1991 und 2001, wobei für letztere die Daten der Volkszählungen herangezogen werden.

Die betrachtete Grundgesamtheit sind die Erwerbspersonen (d. h. selbstständig Erwerbstätige und Mithelfende; Angestellte, Vertragsbedienstete und BeamtInnen, ArbeiterInnen, Lehrlinge; Arbeitslose) ohne die geringfügig Beschäftigten (definiert über eine Wochenarbeitszeit von 1 bis 11 Stunden).

Verschiebung zugunsten hoch qualifizierter Angestelltenberufe

Die Berufsstuktur der Beschäftigung in Österreich verschob sich während der beiden untersuchten Dekaden deutlich zugunsten der hoch qualifizierten Angestelltenberufe: Der Anteil der drei Hauptgruppen <1> Führungskräfte, <2> Akademische Berufe und <3> Technische und nichttechnische Fachkräfte an der Gesamtzahl der Berufstätigen stieg von 27,7% 1991 auf 35,0% 2001 und 38,4% 2009/10, also um insgesamt 10,7 Prozentpunkte (siehe Abbildung). Bereits fast vierzig Prozent der Berufstätigen sind somit den hoch qualifizierten WissensbearbeiterInnen in Berufen mit mindestens Maturaniveau zuzuordnen.

Hervorzuheben ist, dass der Anteilszuwachs der hoch qualifizierten Angestelltenberufe zwischen 1991 und 2009/10 überwiegend auf die Dynamik der Beschäftigungsentwicklung im Bereich der am höchsten qualifizierten Berufskategorien zurückgeht, nämlich der Akademischen Berufe und der Technischen und nichttechnischen Fachkräfte. Der Anteil Ersterer nahm sehr stark zu, und zwar von 4,4% um 6,6 Prozentpunkte auf 11,0%. Der Anteil der technischen und nichttechnischen Fachkräfte auf Maturaniveau erhöhte sich kontinuierlich und stark, nämlich in beiden Dekaden um jeweils fast zwei Prozentpunkte.

Dieser sehr ausgeprägte Wandel der Berufsstruktur der Beschäftigung in Richtung auf die am höchsten qualifizierten Angestelltenberufe ist als eindeutiger Beleg für den Strukturwandel der österreichischen Wirtschaft zugunsten von wissens- und humankapitalintensiven Aktivitäten zu werten.

Die Berufstätigenquote der Managementberufe verringerte sich nach einem deutlichen Anstieg in den 90er-Jahren in der zweiten Beobachtungsdekade. In diesem relativen Rückgang der Zahl der Führungskräfte spiegelt sich vermutlich die Tendenz zu flacherer Hierarchie in den Betrieben wider.

Die anhaltend starke absolute und relative Zunahme der Beschäftigung von Technischen und nichttechnischen Fachkräften zeigt, dass zumindest auf gesamtwirtschaftlicher Ebene keine Ersetzung von Angestellten in Fachkräfteberufen durch Angestellte in Akademischen Berufen erfolgte.

Anteil der Angestelltenberufe stieg stark

Der Anteil der Angestelltenberufe insgesamt (Berufshauptgruppen <1-5>) an der Gesamtheit der Berufstätigen (ohne geringfügig Beschäftigte) nahm stark zu, nämlich von 54,1% 1991 auf 61,4% 2001 und 65,5% 2009/10, also um insgesamt 11,4 Prozentpunkte. Schon fast zwei Drittel der Berufstätigen üben mithin hoch oder mittel qualifizierte „Dienstleistungsberufe“ aus.

Anteile der Berufshauptgruppen an der Gesamtzahl der Erwerbspersonen (ohne geringfügig Beschäftigte) in Österreich 1991, 2001 und 2009/10

Dekoratives Bild © A&W Blog
Innerer Ring 1991, mittlerer Ring 2001, äußerer Ring 2009/10. Datenquellen: 1991 und 2001: Statistik Austria, Volkszählungen 1991 und 2001; 2009/10: Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebungen 2009 und 2010 (jeweils Durchschnitt der beiden Jahreswerte); eigene Berechnungen aufgrund dieser Daten. Grundgesamtheit: 1991 und 2001 Erwerbspersonen gemäß LUK; 2009/10 Erwerbspersonen ohne geringfügig Beschäftigte (WAZ <12 Std.). © A&W Blog
Innerer Ring 1991, mittlerer Ring 2001, äußerer Ring 2009/10.
Datenquellen: 1991 und 2001: Statistik Austria, Volkszählungen 1991 und 2001; 2009/10: Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebungen 2009 und 2010 (jeweils Durchschnitt der beiden Jahreswerte); eigene Berechnungen aufgrund dieser Daten.
Grundgesamtheit: 1991 und 2001 Erwerbspersonen gemäß LUK; 2009/10 Erwerbspersonen ohne geringfügig Beschäftigte (WAZ <12 Std.).

Der angeführte Zuwachs in den beiden letzten Dekaden geht vorwiegend auf die Beschäftigungsdynamik im Bereich der hoch qualifizierten Angestelltenberufe (Akademische Berufe, Fachkräfte) zurück, während die Berufstätigenquoten der mittel qualifizierten Büroangestellten <4> und Personenbezogenen Dienstleistungsberufe und Verkaufskräfte <5> nur moderat stiegen. Insgesamt blieb der Anteil der Erwerbspersonen in mittel qualifizierten Angestelltenberufen in den 1990er-Jahren nahezu konstant (1991 26,4%, 2001 26,5%). In der Folgedekade erhöhte er sich leicht, nämlich auf 27,1% 2009/10.

Im Bereich dieser mittel qualifizierten Angestelltenberufe, die einen Lehr- oder BMS-Abschluss voraussetzen, sind zwei einander spiegelverkehrt gegenüberstehende Entwicklungstendenzen zu konstatieren: Der Berufstätigenanteil der Büroangestellten nahm in den 90er-Jahren noch moderat zu, im folgenden Jahrzehnt aber bereits leicht ab. Hingegen verringerte sich der Anteil der in Personenbezogenen Dienstleistungsberufen oder im Verkauf tätigen Erwerbspersonen in den 90er-Jahren etwas, stieg in den 2000er-Jahren allerdings wieder so stark, dass insgesamt ein leichter Anteilsgewinn resultierte. Die meisten der Berufe der Hauptgruppe <5> weisen einen hohen Anteil an interaktiven Nichtroutinetätigkeiten auf.

Alles in allem sind im Bereich der Angestelltenberufe somit für das zurückliegende Jahrzehnt vier Haupttendenzen auszumachen: erstens der sehr ausgeprägte Strukturwandel zugunsten der Akademischen Berufe und der Technischen und nichttechnischen Fachkräfte, also der am höchsten qualifizierten WissensbearbeiterInnen, zweitens eine moderate Verschiebung zugunsten der mittel qualifizierten, überwiegend interaktiven Angestelltenberufe, drittens eine Stagnation des Anteils der mittel qualifizierten Büroangestellten und viertens eine Verschiebung zulasten der Führungskräfte.

Keine qualifikationsbezogene Polarisierung der Beschäftigung

Für die Polarisierungsthese, die besagt, dass sich die Beschäftigung in dienstleistungsorientierten Berufsgruppen tendenziell polarisiere, hohen Zuwächsen in Berufsfeldern mit hohen Qualifikationsanforderungen auch hohe Zuwächse in wenig anspruchsvollen Dienstleistungsberufen gegenüberstünden, findet sich in den Daten für Österreich keine Evidenz. Zwischen 1991 und 2010 verringerten sich sowohl der Berufstätigenanteil der Verkaufs- und Dienstleistungshilfskräfte als auch jener der Hilfskräfte in Fertigung, Bauwesen, Transport und Landwirtschaft signifikant. Und diese rückläufige Tendenz betraf in der letzten Dekade die Verkaufs- und Dienstleistungshilfskräfte in noch stärkerem Maße als die Hilfskräfte im sekundären Sektor.

Anteilsrückgang bei mittel qualifizierten Fertigungsberufen

Der Berufstätigenanteil der Handwerksberufe <7> und der Maschinen- und Anlagenbediener <8> sank sehr stark, und zwar von 27,3% 1991 auf 21,8% 2001 und 19,1% 2009/10. Der Anteilsrückgang der mittel qualifizierten Fertigungsberufe verlangsamte sich somit in den 2000er-Jahren. Drei Prozentpunkte des Gesamtrückgangs während der zwei Jahrzehnte entfielen auf die Maschinenbedienungskräfte und fünf Prozentpunkte auf die Handwerksberufe, wobei der Großteil des Anteilsverlusts letzterer in den 1990er-Jahren erfolgte.

Fassen wir zusammen: Der Wandel der Berufsstruktur der Beschäftigung in Österreich in den 2000er-Jahren erfolgte sehr ausgeprägt zugunsten der am höchsten qualifizierten WissensbearbeiterInnen (Akademische Berufe sowie Technische und nichttechnische Fachkräfte), in geringerem Maße auch zugunsten der mittel qualifizierten, überwiegend interaktiven Dienstleistungsberufe (Betreuungsberufe, personenbezogene Dienstleistungsberufe, Sicherheitsbedienstete), und zulasten vor allem der mittel qualifizierten Fertigungsberufe, der Hilfskräfte und der Führungskräfte. Der Anteil der mittel qualifizierten Büroangestellten schließlich, deren Routinetätigkeiten verstärkt der Automatisierung unterlagen, stagnierte während der letzten Dekade.

Ursachen des Berufstrukturwandels

Änderungen der mittelfristigen berufsbezogenen Qualifikationsstruktur der Beschäftigung ergeben sich zum einen aus dem Strukturwandel zwischen Branchen (Branchenstruktureffekt), zum anderen aus dem Berufsstrukturwandel innerhalb der einzelnen Branchen (Berufsstruktureffekt).

1.) Die Faktoren, welche die Richtung und das Ausmaß der Verschiebungen in der sektoralen und branchenmäßigen Beschäftigungsstruktur wesentlich bestimmen, sind die unterschiedlichen Änderungsraten der Arbeitsproduktivität, die Lohnstruktur, die Nachfrageänderungen der privaten Haushalte nach Sachgütern und Dienstleistungen in Reaktion auf einkommens- und Preisänderungen („Einkommens-“ und „Preiselastizitäten“), die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit, demografische Veränderungen, der Wandel in der Nachfragestruktur der Unternehmungen, die Veränderungen in der Struktur des internationalen Handels, das Steuer-, Abgaben- und Transfersystem sowie die branchenspezifischen Regulierungen.

In der Branchenstruktur der Beschäftigung des Dienstleistungssektors ist ein signifikanter Wandel in Richtung auf wissens- und humankapitalintensive Marktdienstleistungen festzustellen und auf ebensolche öffentliche Dienstleistungen (Bildungswesen, Gesundheitswesen etc.), welche für die Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Herausforderungen von entscheidender Bedeutung sind. In der Sachgüterproduktion erfolgte der Branchenstrukturwandel zugunsten von Hoch- und Mittelhochtechnikbranchen.

2.) Der Strukturwandel innerhalb der einzelnen Branchen kann verschiedene Ursachen haben:

  • Verschiebungen zwischen Sparten innerhalb der einzelnen Branchen (Spartenstruktureffekt);
  • Veränderungen der Unternehmensstruktur innerhalb der einzelnen Sparten, durch Ein- bzw. Austritt von Unternehmen und/oder Verschiebungen zu schneller wachsenden Unternehmen (Unternehmensstruktureffekt);
  • Berufsstrukturverschiebungen in den einzelnen Unternehmen (Berufsstruktureffekt). Solche ergeben sich aus fortschreitender Arbeitsteilung und Spezialisierung, aus der Anwendung neuer Techniken, insbesondere der universellen Anwendung der modernen Informations- und Kommunikationstechniken (IKT) (qualifikationsverzerrter technischer Fortschritt), damit verbundenen und zusätzlichen organisatorischen Anpassungen sowie überhaupt aus Prozess- und Produktinnovationen.
  • Veränderungen der Tätigkeitsstruktur in einzelnen Berufen (Tätigkeitsstruktureffekt), ebenfalls aus den zuvor genannten Gründen. Die Tätigkeiten werden anspruchsvoller und komplexer hinsichtlich der Aufgabeninhalte und Qualifikationsanforderungen.

Die Routinisierungsthese

Gemäß der Routinisierungsthese (Autor et al. [2003]) verschiebt sich infolge des technischen und organisatorischen Wandels die Berufsstruktur zugunsten von hoch qualifizierten Angestelltenberufen, deren Tätigkeitsprofile vor allem analytische Nichtroutinetätigkeiten umfassen. Im Bereich der mittel und gering qualifizierten Berufe führt technischer und organisatorischer Fortschritt zu unterschiedlichen Beschäftigungsentwicklungen, je nachdem, ob Routine- oder Nichtroutinetätigkeiten überwiegen.

Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass sich in den hoch entwickelten Ländern seit den 1980er-Jahren der Anteil der Arbeitsinputs für analytische Nichtroutinetätigkeiten, für interaktive Nichtroutinetätigkeiten (z.B.: Verhandeln, Koordinieren, Organisieren, Lehren, u.a.) und für manuelle Nichtroutinetätigkeiten (z.B.: Renovieren, Restaurieren, Pflegen u.a.) jeweils signifikant erhöhte, während kognitive Routinetätigkeiten (z.B.: einfaches Rechnen, Buchhaltung) und manuelle Routinetätigkeiten (z.B.: Einrichtung, Bedienung und Kontrolle von Maschinen) jeweils deutlich an Bedeutung verloren.

Die empirischen Resultate internationaler Studien bestätigen die Rolle der neuen Universaltechnik, der modernen IKT, als Treiber dieser Veränderungen der Tätigkeitsstruktur. Während die IKT-Produktionsmittel tendenziell Arbeitskräfte, welche v. a. kognitive und manuelle Routinetätigkeiten ausführen, ersetzen („substituieren“), erfordern moderne Produktions- und Dienstleistungsprozesse den kombinierten Einsatz von IKT-Produktionsmitteln und mittel und hoch qualifizierten Arbeitskräften, die in erster Linie analytische und/oder interaktive Nichtroutinetätigkeiten ausführen („Komplementarität“).

Fazit

Die Strukturverschiebungen im letzten Jahrzehnt (2001-2009/10) entsprachen im Großen und Ganzen den gemäß der Routinisierungshypothese zu erwartenden: starke Anteilszuwächse im Bereich der Akademischen Berufe sowie der Technischen und nichttechnischen Fachkräfte, in deren Tätigkeitsprofilen analytische Nichtroutinetätigkeiten überwiegen; moderate Anteilszunahme für jene mittel qualifizierten Angestelltenberufe, die überwiegend interaktive und manuelle Nichtroutinetätigkeiten ausüben, d. h. für Personenbezogene Dienstleistungsberufe und Verkaufsberufe; leichter Anteilsverlust für Büroangestellte, also mittel qualifizierte Angestelltenberufe, die in hohem Maße kognitive Routinetätigkeiten ausführen; hohe Anteilseinbußen für mittel qualifizierte Fertigungsberufe und für Hilfsarbeitskräfte, wo jeweils manuelle Routinetätigkeiten dominieren.

Die am höchsten qualifizierten Angestelltenberufe und die Personenbezogenen Dienstleistungsberufe mittlerer Qualifikation wurden in Österreich in der Beobachtungsperiode nicht nur durch positive Brancheneffekte begünstigt, sondern auch durch Anteilszuwächse in den einzelnen Branchen.

Dieser Beitrag beruht auf einer ausführlicheren Studie des Materialienbandes für Wirtschaft und Gesellschaft, Ausgabe 140.