In vielen wirtschaftspolitischen Debatten taucht der Glaubenssatz auf, volkswirtschaftlicher Erfolg wäre gleichzusetzen mit Exportzuwächsen. Deshalb gälte es die Exportorientierung zu stärken – notfalls auch gegen die ökonomischen Interessen der Mehrheit. Diese “Logik” funktioniert jedoch nur so lange wirtschaftliche Zusammenhänge außer Acht gelassen werden. Für eine gut funktionierende Wirtschaft ist nämlich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage entscheidend, nicht nur der Export. Da 2016 von 10 Euro aber fast 9 im EU-Binnenmarkt lukriert wurden und nur gut 1 Euro im Export, wäre eine koordinierte Steigerung der Binnennachfrage sehr viel lohnender als die einäugige Exportorientierung.
Seit nunmehr einem Viertel-Jahrhundert wird wirtschaftspolitisch das Mantra der zu steigernden Wettbewerbsfähigkeit gepredigt. Der wahrscheinlich wichtigste Ausgangspunkt war das Weißbuch „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung“ der EU-Kommission, das Wege aufzeigen sollte, die in Folge der Rezession 1992/93 auf ein damaliges Rekordniveau gestiegene Arbeitslosigkeit bis 2000 zu halbieren. In dem Weißbuch wurde erstmalig die internationale Wettbewerbsfähigkeit als wesentliches wirtschaftspolitisches Ziel diskursiv verankert, auch wenn die Vorschläge selbst im Vergleich zur heutigen Debatte noch relativ ausgewogen waren: Zwar thematisierte die EU-Kommission schon damals den Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und Lohnzurückhaltung als vermeintlich kostensparende – und damit exportfördernde – Maßnahmen; Gleichzeitig warnte sie aber auch noch vor den damit verbundenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen.
Mit der neuen Schwerpunktsetzung ging in den Folgejahren dann tatsächlich eine fortschreitende Umverteilung von Lohn- zu Gewinneinkommen einher. Im Jahr 2000 kam es noch zu einer weiteren Stärkung der Exportorientierung, indem der Umbau der EU zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt als oberstes mittelfristiges politisches Ziel ausgerufen wurde. Verschärfend kommt aktuell hinzu, dass eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit als das Nonplusultra zur Bewältigung der Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise propagiert wird.
Exportorientierung als „gefährliche Obsession“
Grundproblem der Politik der Wettbewerbs- bzw. Exportorientierung ist die Übertragung unternehmerischer Logiken auf ganze Nationalstaaten. Bereits 1994 argumentierte der nunmehrige Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman als Kritik am Weißbuch der EU-Kommission, dass nicht Nationen, sondern nur Unternehmen auf spezifischen Märkten in einem wirtschaftlichen Wettbewerb stehen. „Die Wettbewerbsfähigkeit“ als wirtschaftspolitisches Konzept zur Bekämpfung der Wachstums- und Beschäftigungsschwäche stelle eine „gefährliche Obsession“ dar, die zu falschen Ableitungen führe. Im Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik solle vielmehr die Entwicklung des materiellen Lebensstandards (bzw. breiter des Wohlstands) stehen, der v.a. davon abhängt, wie viel produziert wird – ob die Produkte dann im Inland oder im Ausland abgesetzt werden, sei sekundär.
Die vorherrschende Engführung der Diskussionen über „die“ Globalisierung trägt zur Annahme bei, dass die Exporte bereits die wichtigste Nachfragekategorie darstellen. Scheinbar bestätigt wird diese Annahme durch verkürzte Aussagen wie „sechs von zehn Euro werden [in Österreich] im Export verdient”. Dass diese Verkürzung einer absurden „Logik“ folgt, zeigt sich am Beispiel Luxemburg, das demnach sogar mehr als 2 von 1 Euro im Export verdienen würde. Diese wundersame Geldvermehrung gibt es natürlich nicht. Sie ist jedoch das Ergebnis, wenn man die gängigste Exportquote – Exporte in Prozent des BIP – mit dem Hausverstand (BIP/Wirtschaftsleistung = „volkswirtschaftliches Verdienen“) kombiniert. Dabei wird aber übersehen, dass nicht die Exporte insgesamt, sondern nur der Saldo aus Exporten und Importen ins BIP eingeht. Die BIP-Exportquote ist damit nicht aussagekräftig und könnte etwa auch dadurch gesteigert werden, dass dasselbe Gut importiert und zum selben Preis sofort wieder exportiert wird.
In Österreich werden zwei von drei Euro am Heimmarkt lukriert
Wie viel volkswirtschaftlich „verdient“ wird, also wie hoch der inländische Wertschöpfungsanteil bei den Exporten ist, wird leider nicht regelmäßig erhoben. Relativ einfach zu berechnen ist jedoch der Anteil der exportierten Güter und Dienstleistungen an der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage, die neben den Exporten auch den Inlandskonsum sowie die Inlandsinvestitionen umfasst. Betrachtet man nun diese echten Quoten, ist es wenig verständlich, warum die Inlandsnachfrage in der wirtschaftspolitischen Debatte weit weniger Aufmerksamkeit erhält als die Exporte: