Seit Beginn der Krise ist die Verbesserung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der zentrale Bezugsrahmen des europäischen Krisenmanagements. Diese Wettbewerbsfixierung basiert im Grundsatz auf der politisch dominanten, aber empirisch nicht haltbaren Interpretation der Krise als eine Krise der (lohn-)kostenbezogenen Wettbewerbsfähigkeit. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit wird aber weder ausschließlich von den Lohnstückkosten bestimmt, noch entscheidet sie alleine über den Exporterfolg – der wiederum selbst für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung überschätzt wird. Angesichts der großen Bedeutung der Binnennachfrage wäre ein lohngetriebenes Wachstumsmodell sehr viel erfolgsversprechender.
Vor der Einführung des Euro wurden nationale Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit traditionell über die Abwertung einzelner Währungen ausgeglichen. Da dieses Instrument jedoch in einer Wirtschafts- und Währungsunion per definitionem nicht zur Verfügung steht, wird die Senkung der Arbeitskosten in Ländern mit hohen Leistungsbilanzdefiziten durch die Kürzung und das Einfrieren der Löhne als einziger Weg zur Bekämpfung der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone propagiert. Das Ziel dieser Strategie der „internen Abwertung“ ist es, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, indem die Preise für die in einem Land erstellten Güter und Dienstleistungen im Vergleich zu dessen Handelspartnern gesenkt werden, um damit – so die reine Lehre – Exporte relativ zu verbilligen und Importe relativ zu verteuern.
„Interne Abwertung“ als Abwärtsspirale der Löhne
Der Begriff „interne Abwertung“ ist daher nur eine vornehme Umschreibung für das Ingangsetzen einer Abwärtsspirale der Löhne durch direkte Eingriffe in die nationale Lohnpolitik und durch die Umsetzung sogenannter „struktureller Reformen“ im Bereich der Tarif- und Arbeitsmarktpolitik mit dem Ziel, die nach unten gerichtete Flexibilität der Löhne zu erhöhen. Wie politisch einflussreich dieser Ansatz in der politischen Praxis ist, zeigt sich auch an den verschiedenen Initiativen, die „interne Abwertung“ institutionell stärker zu verankern. Das jüngste Beispiel ist die vom Rat am 20. September formal verabschiedeten Empfehlung zur „Einrichtung nationaler Produktivitätsausschüsse“, die zu Beginn der Verhandlungen noch ehrlicher als Wettbewerbsräte bezeichnet wurden.
Da die Strategie der „internen Abwertung“ zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von politischen Entscheidungsträgern immer wieder als alternativlos dargestellt wird, sollen im Folgenden die zentralen Annahmen dieses Ansatzes kritisch untersucht werden. Dabei wird deutlich, dass die Argumentation der Verfechter der „internen Abwertung“ an drei zentralen Stellen zu kurz greift und daher keineswegs so alternativlos ist, wie immer behauptet wird.
Irrtum 1: Einseitiger Fokus auf Lohnstückkosten als Determinante der preislichen Wettbewerbsfähigkeit
Die einseitige Konzentration auf die Lohnstückkosten als Bestimmungsfaktor der preislichen Wettbewerbsfähigkeit greift in zweierlei Hinsicht zu kurz: Zum einen lässt die einseitige Lohnstückkostenfixierung außer Acht, dass nicht nur Lohnkosten sondern auch Kapitalkosten über die Herstellungskosten eines Unternehmens entscheiden. Zum anderen bleibt in der Argumentation, die Tatsache unberücksichtigt, dass die preisliche Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens nicht nur durch die Produktionskosten bestimmt wird, sondern auch durch dessen Ansprüche an eine bestimmte Gewinnmarge – d.h. es besteht keine direkte Beziehung zwischen Kosten- und Preisentwicklung.
Spanien, das unter der konservativen Regierung Rajoy immer wieder als Musterschüler der internen Abwertungsstrategie dargestellt wird, ist hierbei ein sehr gutes Beispiel, um die obigen Punkte empirisch zu verdeutlichen. Wie die untenstehende Grafik zeigt, hat Spanien tatsächlich bis 2013 sämtliche seit 1999 aufgelaufenen Unterschiede in der Lohnstückkostenentwicklung im Vergleich zur restlichen Eurozone mehr als ausgeglichen – mit entsprechend negativen Folgen für die Binnenmarktentwicklung. Allerdings hinkt das Land bezüglich der relativen Preisentwicklung trotz dieser deutlichen Senkung der Lohnstückkosten noch immer hinterher. Die Erklärung hierfür liegt in der Tatsache, dass die Senkung der Lohnstückkosten nur teilweise an die Preise weiter gereicht wurde – so wie übrigens auch in Portugal und Griechenland. Sie wurde stattdessen zur Steigerung der Gewinnmarge verwendet. Darüber hinaus stiegen in Spanien während der Krise die Kapitalstückkosten – im Gegensatz zu den Lohnstückkosten – weiter an. Entsprechend liegen die Unterschiede in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit weniger in der unterschiedlichen Entwicklung der Lohnstückkosten als vielmehr in den steigenden Gewinnmargen und Kapitalkosten begründet.