Mit dem Ende Juni vorgelegten Bericht zur Wirtschafts- und Währungsunion der fünf Präsidenten wird die 2012 gestartete Debatte über die Weiterentwicklung der Eurozone neu aufgegriffen. Trotz des offensichtlichen Misserfolges wird am bisherigen wirtschaftspolitischen Kurs festgehalten, der punkto Wettbewerbsfixierung sogar noch verschärft werden soll. Eine wohlstandsorientiere Wirtschaftspolitik wäre damit noch schwieriger durchsetzbar.
Pünktlich zum Sommerbeginn legte Kommissionspräsident Juncker – in enger Zusammenarbeit mit den Präsidenten des europäischen Rates, der EZB, der Eurogruppe und des EU-Parlaments – den Bericht mit dem Titel „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“ vor. Damit knüpft er an die Debatte an, die im Zuge der sich verschärfenden wirtschaftlichen Krise 2012 ihren Höhepunkt hatte. Damals gab es bereits einen Präsidentenbericht sowie einen eigenen „Blue-Print“ der EU-Kommission.
Abseits von der Bankenunion, die bereits damals parallel zum Bericht bearbeitet wurde, kam es zu keiner Umsetzung der Präsidentenvorschläge. Das lag zum einen am fehlenden politischen Konsens für noch weitreichendere Interventionsmöglichkeiten in die nationale Wirtschaftspolitik. Zum anderen reduzierten die EZB-Maßnahmen den Handlungsdruck durch eine Annäherung der Zinssätze in der Eurozone auf ein niedriges Niveau. Dass es keine wesentlichen Reformschritte seit dem letzten Bericht gab, ist durchaus positiv, stellte er doch keine geeignete Grundlage für eine dringend notwendige Neuausrichtung der WWU dar – insbesondere weil er auf eine Verfestigung der Spar- und Wettbewerbsunion abzielte.
Ein Kurswechsel hin zu einer wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik mit dem Schwerpunkt auf Abbau von Arbeitslosigkeit und gleichmäßigere Verteilung der Einkommen, soziale und ökologische Investitionen und Absicherung des Sozialstaates mit seiner nachfragestabilisierenden Wirkung wäre bei einer Umsetzung erschwert worden. Diese prinzipielle Kritik ist leider auch auf den neuen Bericht weitgehend übertragbar.
Wettbewerbsfixierung als Hauptelement
Die Präsidentenvorschläge gliedern sich inhaltlich wie bisher in die vier Säulen Banken- und Kapitalmarktunion, Wirtschaftsunion, Fiskalunion und politische Union. Im Kern wird – wie bereits im heurigen Jahreswachstumsbericht – eine angebotsseitige wirtschaftspolitische Ausrichtung verfolgt. Durch noch stärkere Wettbewerbsorientierung in Form gebremster Lohnkosten bzw. einem Umbau der ökonomischen Regulierung (Wirtschaftsunion) in Kombination mit besseren Finanzierungbedingungen der Unternehmen (Kapitalmarktunion) sowie der öffentlichen Haushalte (Fiskalunion) soll ein neuer exportgetriebener Wirtschaftsaufschwung erreicht werden. Dieser wenig erfolgreiche Ansatz wird jedoch bereits seit der Rezession 1992/1993 bzw. dem darauf folgenden Weißbuch der EU-Kommission „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung“ verfolgt.
Vor diesem Hintergrund sind die vorgeschlagenen Maßnahmen nur bedingt überraschend. Verschoben hat sich lediglich die Akzentuierung. So sollen wettbewerbsorientierte Strukturreformen verschärft durchsetzbar gemacht werden, während eine ansatzweise Lockerung der Finanzpolitik angedeutet wird.
Die beiden wichtigsten neuen Ideen zur Verschärfung der Wettbewerbsorientierung sind zum einen „unabhängige“ nationale Wettbewerbseinrichtungen zwecks Erhöhung des Reform- und Lohndrucks innerhalb der Mitgliedstaaten – insb. durch eine „Richtschnur“ für Tarifverhandlungen – sowie eine Verschärfung des Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten bzw. dessen Ausdehnung auf die Wirtschaftspolitik allgemein nach Gutdünken von Kommission und Rat zum anderen.
Löhne geraten verstärkt ins Visier
Die drängendsten wirtschaftspolitischen Probleme – wie insbesondere die nach wie vor sehr hohe Arbeitslosigkeit sowie die Verteilungsschieflage – werden damit nicht nur nicht gelöst, sondern sogar verschärft. Das gilt insbesondere für die Lohnpolitik, wo die einseitige Orientierung nach unten verstärkt werden soll. Die Doppelrolle der Löhne – Produktionskosten einerseits, Einkommen, die für den Konsum verwendet werden andererseits – wird ausgeblendet. Obwohl selbst in exportabhängigen Ländern wie Deutschland und Österreich die Inlandsnachfrage (die vor allem von den Löhnen determiniert wird) größer ist als die Exportnachfrage, wird nur auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit abgestellt.