Die Verteilung von Einkommen und Vermögen steht seit einigen Jahren im Fokus medialer Berichte, öffentlicher Diskussionen und politischer Auseinandersetzungen. Die neuesten Vermögensdaten der Europäischen Zentralbank (EZB) – wie etwa eine jüngst im Geheimen veröffentlichte Tabelle – zeigen anhaltende Ungleichheit in ganz Europa. Viele Herausforderungen für eine gerechte Verteilung des Wohlstands sind noch ungelöst und werden auch in den kommenden Jahren interessenspolitische Konfliktlinien bleiben. Die Frage ist, welche gesellschaftlichen Kräfte es schaffen, die Verteilungsfrage offensiv ins Zentrum zu rücken und der Debatte eine Richtung zu geben.
Vermögen in Österreich im Europa-Vergleich ungleich verteilt
Dass sich die Verteilung bei Einkommen und Vermögen in den letzten Jahren nicht zum Besseren verändert hat, ist mittlerweile hinreichend belegt und wird unter anderem im Sozialbericht des Sozialministeriums, dem Einkommensbericht des Rechnungshofes oder in der Vermögenserhebung HFCS dargelegt. Eine vor kurzem veröffentlichte Tabelle der EZB bringt neuen Zündstoff für die Verteilungspolitik: Österreich hat eine der höchsten Vermögensschieflagen in der Eurozone (siehe Tabelle am Artikelende). Dieser Befund gilt sowohl für den Anteil der Top 5 Prozent als auch für den oft verwendeten Gini-Koeffizienten. In Österreich besitzen die reichsten 5 Prozent der Haushalte etwa 43 Prozent des gesamten Nettovermögens, das ist der vierthöchste Wert in der Eurozone (siehe Abbildung). Der Gini-Index bei den österreichischen Vermögen liegt bei 0,73 und ist damit nur in drei anderen Ländern der Eurozone höher.
Abbildung: Anteil der reichsten 5% am Nettovermögen im HFCS 2014
Quelle: EZB, Statistische Tabellen, Tabelle J4 Richtig ist, dass dieses Ranking keine Reihung der Länder nach sozialer Ungleichheit ist. Es ist bekannt, dass Österreich eine sehr gut ausgebaute öffentliche Daseinsvorsorge mit einer Vielzahl an wohlfahrtsstaatlichen Leistungen bietet. Nicht zuletzt dank des Wohlfahrtsstaates ist die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit deshalb in Österreich geringer als in den meisten EU-Ländern. Diese Rahmenbedingungen ermöglichen auch jenen Haushalten ein gewisses Wohlstandsniveau, die nicht auf große Vermögen zurückgreifen können. Ein ausgedehnter gemeinnütziger Wohnbausektor, die gut ausgebauten öffentlichen Verkehrssysteme, ein überwiegend frei zugängliches Bildungswesen und eine breite Absicherung gegen den Verdienstausfall, vor allem in Form eines lebensstandardsichernden sozialen Pensionssystems, bieten auch für Menschen ohne private Vermögen einen guten Lebensstandard. Das bedeutet aber nicht, dass die Vermögenskonzentration bedeutungslos ist, weil der Wohlfahrtsstaat in Österreich das „Vermögen der Ärmeren“ ist. Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen die zeigen, dass die Schieflage in der Verteilung negative Konsequenzen auf Wirtschaft, Demokratie und Gesellschaft hat. Durch die Weitervererbung der Ungleichheit von Generation zu Generation werden die gesellschaftlichen Unterschiede nicht nur durch leistungslose Vermögensübertragungen einzementiert, sondern vielen Menschen auch die Hoffnungen auf sozialen Aufstieg für ihre Kinder geraubt. In der Verteilungspolitik sind in Österreich viele Baustellen offen. Die fehlende Erbschaftssteuer, die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede, die steuerliche Ungleichbehandlung von Kapital- und Arbeitseinkommen oder die exorbitanten Managergehälter sind nur einige Beispiele für mögliche Ansatzpunkte für die Politik. Seit 2014 prägen Fragen der langfristigen Entwicklung der Verteilung von Vermögen und Einkommen und ihrer Determinanten die internationale wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftspolitische Debatte: Thomas Pikettys Bestseller „Capital in the 21st Century“ rückte sie auch in den Fokus von Medien, Politik und gesellschaftlicher Debatte. In Österreich gründete sich eine Initiative zur Wiedereinführung der Erbschaftssteuer , Forderungen nach einer letztlich erfolgreich umgesetzten Lohnsteuerreform häuften sich und die neu veröffentlichten Vermögensdaten der Notenbank erfreuten sich großen Interesses. Aus der Wissenschaft kamen laufend neue Berechnungen und Studien, die von Medien rasch aufgegriffen in der Öffentlichkeit breit debattiert wurden. Doch es gab auch Gegenströmungen: Der anstehende Wahlkampf in Österreich wird von entscheidenden Interessenskonflikten geprägt sein. Es ist absehbar, dass die Interessen der ArbeitnehmerInnen von wirtschaftsliberaler Seite vermehrt unter Beschuss geraten werden. Zentrale Pfeiler der Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung werden in der Vorwahlzeit (und vielleicht auch danach) zum Austragungsort interessenspolitischer Auseinandersetzungen. Dies umfasst die öffentliche Daseinsvorsorge, erkämpfte soziale Rahmenbedingungen wie z.B. Arbeitszeitregelungen oder gesicherte Interessensvertretung, sowie die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen und demokratischer Teilhabe. Ein politisches Gegengewicht mit einer klaren fortschrittlichen Agenda im Interesse der ArbeitnehmerInnen ist in dieser Situation notwendig. Wir wollen hier einige Linien skizzieren, die dazu dienen, die Verteilungsfrage offensiv in die politische Arena zu bringen.Initiative und Widerstand in der Verteilungsfrage
Verteilung in die politische Auseinandersetzung tragen
Tabelle: Verteilungsmaße für Nettovermögen im HFCS 2014
Vermögensanteil Ratios Top 5% Top 10% 50-90% p90/p50 p80/p20 Gini-Koeffizient Eurozone 37,8 51,2 43 4,8 41 0,685 Lettland 49,1 63,3 33,8 5,8 32,8 0,785 Deutschland 46,3 59,8 37,7 7,7 111,4 0,762 Irland 37,7 53,8 44,8 5,4 170,5 0,752 Österreich 43,4 55,5 41,3 6 57 0,731 Zypern 43,6 56,7 37,2 4,8 16,1 0,717 Niederlande 28,7 43,6 54,1 4,7 71,3 0,698 Estland 43,2 55,7 36,9 4,5 17,9 0,691 Portugal 36,5 52,1 40,8 5,1 25,9 0,678 Frankreich 37,4 50,7 43 4,7 32,4 0,676 Finnland 31,4 45,2 48,1 4,2 84,9 0,648 Luxemburg 36,3 48,7 42,7 3,5 31,3 0,646 Ungarn 35,7 48,5 42 4,1 10,4 0,643 Slowenien 37,7 48,5 40,8 3,2 12,4 0,628 Italien 29,7 42,8 47,3 3,5 30,1 0,603 Spanien 33,3 45,6 42,4 3,4 7,7 0,599 Griechenland 28,8 42,4 46,9 3,7 21,7 0,599 Belgien 29,7 42,5 46 3,2 21,2 0,589 Polen 29 41,8 46,8 3,7 12,9 0,587 Malta 35,5 45,8 40,6 2,9 5,9 0,586 Slowakei 23 34,3 48,2 2,6 5,4 0,492