Die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen nimmt seit den 1970ern in den meisten wohlhabenderen Staaten zu. Einer der Gründe liegt in der Senkung der einkommens- und vermögensbezogenen Steuern. Während diese beiden Beobachtungen mittlerweile weitestgehend anerkannt werden, so sind die gesellschaftlichen Prozesse, die zu dieser Steuerpolitik geführt haben, bisher unterbeleuchtet. Studien und Umfragen sprechen dafür, dass ein Teufelskreis aus Elitenbildung, Einkommens- und Vermögenskonzentration und unterschiedlichen politischen Einflussmöglichkeiten hinter dieser Entwicklung steckt, den es zu durchbrechen gilt.
Dass die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen in den letzten Jahrzehnten in so gut wie allen Industrieländern zugenommen hat, ist durch zahlreiche Studien belegt. Bei den Einkommen rangieren die USA, Großbritannien und Deutschland auf den Spitzenplätzen. In den USA entfallen auf das oberste Prozent der Bevölkerung 19,8% des gesamten Einkommens, auf das oberste Promille 9,5%. Die entsprechenden Werte für Großbritannien und Deutschland lauten 14,7 bzw. 11,2% und 5,6 bzw. 4,0%.
Wie groß die Ungleichheit heute ist, zeigt ein Vergleich mit früheren Jahrhunderten. Das ist allerdings nur für Großbritannien möglich, da es zum einen als einziger großer Industriestaat seit mehreren Jahrhunderten in den heutigen Grenzen existiert und zum anderen für frühere Jahrhunderte auch halbwegs verlässliche Angaben zur Verteilung der Einkommen vorliegen. Das oberste Promille der Bevölkerung kann danach heute einen dreimal so hohen Anteil am Volkseinkommen für sich verbuchen wie Ende des 17. Jahrhunderts, einen mehr als doppelt so hohen wie Mitte des 18 Jahrhunderts und immer noch einen um 60% höheren als zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Gründe für die Zunahme der sozialen Ungleichheit
In der Debatte um die Zunahme der sozialen Ungleichheit wird eine ganze Reihe von Ursachen benannt. Zwei immer wieder als entscheidend angeführte sind die weltweite Konkurrenz um Topmanager, die zur rasanten Steigerung ihrer Einkommen geführt habe, und die gravierenden Änderungen in der Besteuerung von Unternehmen und Reichen.
Der erste Grund hält einer empirischen Überprüfung nicht stand. Es gibt keinen weltweiten Markt für Spitzenmanager. Die Karrierewege sind immer noch ganz überwiegend nationaler Natur. Nur jedes zehnte der 1000 größten Unternehmen der Welt wird von einem Ausländer geführt. Deutsche CEO in Großunternehmen anderer Länder kann man an einer Hand abzählen.
So falsch das erste Argument ist, so zutreffend ist das zweite. Die Senkung der Steuern für Unternehmen und Reiche ist tatsächlich ein zentraler, wenn nicht sogar der zentrale Grund für die massive Auseinanderentwicklung bei den Einkommen und Vermögen. Das belegen Untersuchungen aus vielen Ländern eindeutig, mit dem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ von Thomas Piketty als prominentestem Beispiel.
Die Haltung der Reichen und die politischen Entscheidungen in den USA
Wie es zu diesen steuerlichen Maßnahmen kommen konnte, ist damit aber nicht geklärt. US-amerikanische Politikwissenschaftler haben dazu in den letzten Jahren einige Forschungsergebnisse vorgelegt. Sie verfolgen dabei drei unterschiedliche Strategien.
Erstens schauen sie, wer sich in den letzten vier Jahrzehnten in politischen Fragen durchgesetzt hat, wenn die Meinung der Durchschnittsbevölkerung und der Reichen nicht übereingestimmt hat. Es waren durchweg die Reichen.
Zweitens analysieren sie, welche Position die Reichen in sozial- und steuerpolitischen Fragen im Vergleich zur normalen Bevölkerung beziehen. Es zeigt sich, dass für die Reichen die Staatsverschuldung das wichtigste Problem darstellt, mit dem die USA derzeit konfrontiert sind. Von den beiden Möglichkeiten, daran etwas zu ändern, bevorzugen sie eindeutig Ausgabenkürzungen. Mit einer Zustimmungsquote von knapp 60% plädieren sie mehr als doppelt so häufig für die Kürzung von Sozialprogrammen wie die Bevölkerung, für eine höhere steuerliche Belastung von hohen Einkommen und Vermögen können sie sich dagegen nicht erwärmen. Die von ihnen genannten Spitzensteuersätze entsprechen den sehr niedrigen der Bush-Ära.
Drittens zeigt eine Studie, dass die Kongressabgeordneten in diesen Fragen entsprechend ihrer eigenen beruflichen Situation vor der Übernahme des politischen Amtes abstimmen. Ehemalige Arbeiter und normale Angestellte stimmen signifikant häufiger für Sozialprogramme und höhere Steuern für Reiche, ehemalige Manager und Freiberufler signifikant häufiger dagegen.
Die deutschen Eliten und die Steuerpolitik
Bei den Mitgliedern der deutschen Kernelite bietet sich dasselbe Bild. Bei den knapp 1000 Personen liegt die Staatsverschuldung bei den wichtigsten Problemen ebenfalls mit weitem Abstand auf Platz eins. Entsprechend befürwortet eine Mehrheit von fast sieben zu eins auch ihre Reduzierung. Für höhere Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und Erbschaften stimmt allerdings nur eine Minderheit. Fast doppelt so viele sind dagegen.
Interessant ist dabei, dass die Einstellung ganz entscheidend von der sozialen Herkunft der Elitenangehörigen geprägt wird. Während Arbeiterkinder mit einer Mehrheit von fünf zu zwei für höhere Steuern plädieren, sind Großbürgerkinder mit neun zu zwei dagegen, obwohl sie die Senkung der Staatsverschuldung anders als die Arbeiterkinder fast ausnahmslos als wichtig ansehen. Bei den Spitzenpolitikern wiegt die soziale Herkunft sogar eindeutig stärker als die Parteizugehörigkeit. Kein SPD-Politiker mit bürgerlichem oder großbürgerlichem Hintergrund stimmt für höhere Steuern, kein CDU-Politiker aus einer Arbeiterfamilie dagegen.
Selbst in der Wirtschaftselite prägt das Elternhaus die Haltung. Spitzenmanager aus Arbeiterfamilien können sich mit einer Mehrheit von drei zu zwei für höhere Steuern erwärmen, obwohl sie selbst betroffen wären. Ihre Kollegen, die in reichen Familien groß geworden sind, lehnen solche Steueranhebungen dagegen mit einer Mehrheit von neun zu zwei ab. Da die Mitglieder der deutsche Kernelite zu fast zwei Dritteln in bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien aufgewachsen sind und die politische Elite in Berlin immerhin noch zu mehr als der Hälfte, erklärt das die Sozial- und Steuerpolitik der letzten eineinhalb Jahrzehnte zumindest in wesentlichen Teilen.
Die Konsequenzen für die politische Partizipation
Die Folgen für die politische Partizipation der Bevölkerung sind unübersehbar. Das untere Drittel der Bevölkerung verabschiedet sich zunehmend aus dem politischen Willensbildungsprozess.
Bei den letzten Bundestagswahlen lagen die Prozentsätze der Wahlbeteiligung für die unterschiedlichen Teile der Bevölkerung weiter auseinander als je zuvor. Betrug die Differenz zwischen den Wahlbezirken in den 1990er Jahren nur um die zehn Prozentpunkte, liegt sie jetzt um die 30 Prozentpunkte. In Großstädten ist es noch extremer. Je ärmer ein Stadtteil, umso niedriger fällt die Wahlbeteiligung aus und umgekehrt. Das Beispiel Köln demonstriert das deutlich. In Chorweiler, dem Stadtteil mit der höchsten Arbeitslosenquote, fast 20%, gingen nur noch 42,5% zur Wahl, in Hahnwald, dem exklusivsten Stadtteil, dagegen 88,7%. Ähnlich sieht es auch in anderen Großstädten wie etwa Hamburg mit den Extremen Billbrook (43,2%) und Nienstedten (86,9%) aus.
In den USA lässt sich dieses Verhalten schon länger beobachten. Die oberen zehn Prozent der Bevölkerung gehen bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen zu vier Fünfteln wählen, das oberste Prozent sogar fast ohne Ausnahme, das untere Viertel dagegen gerade einmal zu einem Drittel.
Politische Partizipation der Jugendlichen als Zukunftsindikator
Wie sich das in Zukunft weiter entwickeln könnte, lässt die letzte Shell-Jugendstudie erahnen. Allgemein bekannt wurde nur die Tatsache, dass das politische Interesse der Jugendlichen wieder leicht angestiegen ist, 41% ein solches Interesse bejahen. Nicht zur Kenntnis genommen wurden in der Öffentlichkeit dagegen die großen Unterschiede je nach sozialer Lage. Während von den Jugendlichen aus der Unterschicht nur 24 mit ja antworteten und von denen der mittleren Mittelschicht gerade einmal 40%, waren es bei denen aus der Oberschicht 61%. Auf sie und die Jugendlichen aus der oberen Mittelschicht entfiel die gesamte Zunahme des politischen Interesses. Dem entspricht ihre Sicht auf die persönliche Zukunft. Jugendliche aus der Oberschicht sehen sie zu drei Vierteln positiv, Jugendliche aus der Unterschicht nur zu einem Drittel.