Politische Partizipationsmöglichkeiten sind ein zentrales Grundgerüst demokratischer Gesellschaften: Partizipation erweitert individuelle Handlungsspielräume und trägt auf kollektiver Ebene dazu bei, Machtunterschiede zu verringern. Sie geht einher mit Selbstbestimmung, der Gestaltung der eigenen Lebensumstände und der Mitgestaltung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen. Zahlreiche Studien weisen jedoch darauf hin, dass Gruppen mit höherem Einkommen auch eine höhere politische Partizipation aufweisen. Auch für Österreich zeigt sich, dass Einkommensungleichheit die Wahlteilnahme von exkludierten Gruppen zusätzlich senken kann.
Partizipationsformen können viele Gesichter haben. Sie reichen von der Teilnahme an Wahlen über punktuelle, themenspezifische Aktivitäten bis hin zu langfristigem, freiwilligem Engagement in Interessensvertretungen, Vereinen und Organisationen. Eine über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg möglichst gleich verteilte Partizipation gilt dabei als ein Qualitätsmerkmal von Demokratien, da dies eine gleichberechtigte Interessenseinbringung und -vertretung gewährleistet.
Wir haben nun analysiert, wie sich lokale Einkommensungleichheit auf die Wahlteilnahme als Kernelement politischer Partizipation auswirkt. Unsere Untersuchung stellt dabei nicht den Anspruch, ein umfangreiches und vollständiges Kausalmodell zu testen. Vielmehr bestand das Ziel darin, unter den Einschränkungen der zur Verfügung stehenden Daten mögliche Zusammenhänge zwischen dem lokalen Niveau an Einkommensungleichheit und politischer Partizipation in Österreich zu erfassen.
Gesellschaftliche Auswirkungen von Einkommensungleichheit
Angeregt durch den Anstieg an Einkommensungleichheit in vielen Ländern der westlichen Welt im den letzten Jahrzehnten wird Einkommensungleichheit immer häufiger als Bedrohung für die soziale und ökonomische Stabilität sowie für das ökonomische Wachstum diskutiert. Einige mit breiter Aufmerksamkeit rezipierten Publikationen, beispielsweise Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ (2014), haben das Interesse am Thema Ungleichheit von Vermögen und Einkommen im wissenschaftlichen, politischen und medialen Diskurs noch einmal deutlich verstärkt.
Einkommensungleichheit ist nicht nur für die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala von Nachteil, sondern für eine Gesellschaft als Ganzes. Mit dem Anstieg von Einkommensungleichheit sinken das zwischenmenschliches Vertrauen und der soziale Zusammenhalt, während Gewaltraten zunehmen. Auch die subjektive Zufriedenheit bzw. das Glücksempfinden ist nur zu einem Teil von der absoluten Einkommenshöhe abhängig: Zwar sind innerhalb eines Landes die reicheren EinwohnerInnen subjektiv glücklicher als die ärmeren, das durchschnittliche Glücksempfinden in reichen Nationen liegt aber nicht über jenem in armen Nationen.
Eine Erklärung dafür, dass das Glücksempfinden einer Gesellschaft auch von der Einkommensverteilung abhängt, liegt im abnehmenden Grenznutzen von Einkommen: Bei einer Umverteilung von einer reicheren zu einer ärmeren Person verliert die reichere Person weniger Nutzen als die ärmere Person dazugewinnt. Wesentlich in diesem Kontext ist die Erwartung der Menschen über die eigene, zukünftige Position in der Einkommensverteilung: Während für europäische Länder starke negative Auswirkungen von Ungleichheit auf das Glücksempfinden in den ärmeren Bevölkerungsgruppen aufgezeigt wurden, gibt es diese in den USA aufgrund des weit verbreiteten Glaubens an soziale Mobilität nicht.
Einkommensungleichheit in Österreich
Österreich zählt sowohl im internationalen als auch im EU-Vergleich zu den Ländern mit relativ geringer Einkommensungleichheit. Auf der Grundlage der Lohnsteuerstatistik zeigt sich wie in den meisten OECD-Ländern aber sowohl lang- als auch kurzfristig ein deutlicher Anstieg: In den vergangenen drei Jahrzehnten stieg der Gini-Koeffizient für die Bruttolohneinkommen der ArbeitnehmerInnen um 30%. Dieser Anstieg ist dabei auf ein langsameres Wachstum der Einkommen der beiden untersten Dezile gegenüber den Einkommen der oberen Dezile zurückzuführen.
Bis dato wurde Einkommensungleichheit vor allem auf nationaler, seltener auch auf regionaler oder städtischer Ebene untersucht. Bei der Betrachtung von Einkommensungleichheit auf lokaler Ebene ist jedenfalls der Zusammenhang zwischen lokaler Ungleichheit und Segregation zu berücksichtigen: Eine Reduktion von lokaler Einkommensungleichheit bei gleichbleibender Ungleichheit auf nationalem Niveau impliziert eine höhere Segregation der unterschiedlichen Einkommensgruppen. Die folgende Abbildung zeigt den Gini-Koeffizient 2010 auf Gemeindeebene.
Einkommensungleichheit (Gini-Koeffizient) in Österreichs Gemeinden 2010