Die Verteilungsfrage ist wieder aktuell, auch in Deutschland. Nicht zuletzt das beachtliche Medienecho auf die Kampagne “Umfairteilen – Reichtum besteuern!” und die steuerpolitischen Beschlüsse von Linken, SPD und Grünen haben gezeigt: Über die Umverteilung von Einkommen und Vermögen von oben nach unten wird wieder gesprochen. Zu Recht. Denn die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ist auch und vor allem eine Verteilungskrise.
Wer über die Krise sprechen will, muss auch über den Neoliberalismus sprechen. In fast allen westlichen Industriestaaten lässt sich die Wirtschaftsgeschichte nach 1945 in zwei Epochen gliedern: In jene Zeit vor der neoliberalen Wende – und jene danach. Bis in die 1980er Jahre hinein trieben sich Löhne, Produktivität, Investitionen und Produktion wechselseitig voran. Märkte waren stark reguliert. Die Gewerkschaften waren stark. Hohe Löhne waren Grundlage für eine umfangreiche Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen – und ermöglichten damit Gewinne, Investitionen und Wachstum.
Profite im Zeitalter des Neoliberalismus
Profite im neoliberalen Akkumulationsmodell hingegen, das sich in den 1970er/1980er Jahren durchsetzte, beruhen nicht mehr auf hohen Löhnen und volkswirtschaftlicher Nachfrage, sondern auf einer massiven Umverteilung des Wohlstands zu Gunsten der Kapitaleigner. Wesentliche Bestandteile dieses Modells sind:
Ein Marktfundamentalismus, der – alles andere als widerspruchsfrei – staatliche Intervention in Marktgeschehen grundsätzlich ablehnt. Dies war und ist die wichtigste ideologische Grundlage für die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte.
Eine Individualisierung von Verantwortung. Wohlergehen und soziale Sicherung sind für Neoliberale vorrangig Aufgabe und Verantwortung der Individuen. Dies war und ist die wichtigste ideologische Grundlage für den Abbau sozialer Sicherheit in den vergangenen Jahrzehnten.
Die massive Schwächung der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften. Profite sollen so (auch) über niedrige Löhne gesteigert werden.
Die Globalisierung; durch faktisch freien Kapital- und Warenverkehr werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zueinander in Konkurrenz um möglichst niedrige Löhne und möglichst schlechte Arbeitsbedingungen gesetzt.
Der Neoliberalismus war, gemessen an seiner eigenen Zielstellung, durchaus erfolgreich. Die Umverteilung zu Gunsten von Gewinnen und Kapitaleinkommen sowie zu Gunsten hoher Gehälter steigerte die Ungleichverteilung von Einkommen deutlich.
Eine solche Polarisierung bei der Einkommensverteilung hat nicht nur verheerende soziale Folgen, sondern auch wirtschaftliche: Sie führt zu fehlender volkswirtschaftlicher Nachfrage. Menschen mit niedrigen Einkommen geben einen höheren Anteil ihres Einkommens für den Konsum aus – während Menschen mit hohen Einkommen deutlich mehr sparen.
Nun können Unternehmen allerdings nur Profite erwirtschaften (und letztlich zählt im Kapitalismus nichts anderes), wenn ihre Waren und Dienstleistungen gekauft werden. Wenn die Massen aber immer weniger Geld ausgeben, weil Löhne gesenkt und Sozialleistungen abgebaut werden, so verringern sich die Profitmöglichkeiten.
Zur Krise führte letztlich der Versuch, aus dieser Situation unzureichender volkswirtschaftlicher Nachfrage herauszufinden und Profite zu sichern, ohne die Löhne und Transferleistungen zu erhöhen. Es lassen sich dabei im Wesentlichen zwei ökonomische Mechanismen feststellen, durch die die zunehmende soziale Ungleichheit die Krise provoziert hat. Beide Mechanismen sind eng miteinander verknüpft.
Erster Krisenmechanismus: Deregulierte Finanzmärkte
Aufgrund der Umverteilung von unten nach oben nahm das angelegte Finanzvermögen in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zu – und zwar global. Betrug es 1980 noch 12 Billionen US-Dollar oder 120 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), so war es bis 2007 fast kontinuierlich auf 192 Billionen US-Dollar oder 349 Prozent des BIP angestiegen (Abbildung 1).