17 Beiträge, die zeigen: Die Hartz-Reformen sind kein adäquates Modell für Österreich

07. August 2018

Deutschland ist unser größtes Nachbarland und unser wichtigster Handelspartner. Auch in Sachen Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik wird gerne nach Deutschland geblickt. Die dortigen Änderungen in der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitsmarktpolitik in den 2000er-Jahren – besser bekannt unter den Hartz-Reformen – haben das System der sozialen Absicherung bei Arbeitslosigkeit in Deutschland grundlegend verändert. Die österreichische Bundesregierung plant laut ihrem Regierungsprogramm Ähnliches. Hier werden 17 Beiträge, die sich am A&W-Blog schon einmal mit diesem Thema beschäftigt haben, für euch kurz zusammengefasst.

1.       Mythos: „Europa muss Deutsch lernen“

Bereits Anfang 2014 hat sich ein Beitrag vom Beirat für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (BEIGEWUM) mit den deutschen Reformen und der europäischen Vorgabe, wonach sich alle anderen an Deutschland zu orientieren haben, beschäftigt. Er argumentiert, dass die Arbeitsmarktentwicklung nicht in Zusammenhang mit den Reformen steht, sondern mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung. Die Arbeitsmarktdaten sind auch bei einem genaueren Hinsehen nicht mehr so rosig: Es gab in Deutschland mehr Niedriglohnbeschäftigung und einen steigenden Anteil von Working Poor.

2.       Gesund dank Dr. Hartz? „Strukturreformen und „Beschäftigungswunder“ in Deutschland

Matthias Knuth – Senior Researcher am Institut für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg Essen – bietet in seinem Artikel einen sehr guten Überblick über intendierte Wirkungen und tatsächliche Ergebnisse der Reformen. Beispielsweise wollte man mit den Reformen die Arbeitsmarktdynamik erhöhen und die Arbeitslosen stärker aktivieren. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall: Durch die starken Einschränkungen bei den Leistungen war die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust bei den Beschäftigten größer und daher hat die Gesamtfluktuation am deutschen Arbeitsmarkt nach den Hartz-Reformen abgenommen.

3.       Schleichender Abschied von der Sozialversicherungslogik: Wie die Hartz-Reformen die Arbeitslosenversicherung schwächen

Peer Rosenthal zeigt in seinem Beitrag vom September 2014 die Veränderungen in der Arbeitslosenversicherung durch die Hartz-Reformen auf. Er zeigt, dass mit den Veränderungen im System der Arbeitslosenversicherung, der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der spezifischen Ausgestaltung von Hartz IV ein schleichender Abschied von der Sozialversicherungslogik eingeleitet worden ist. Der Anteil jener Personen, die nach den Reformen noch ein vom vorhergehenden Einkommen abhängiges Arbeitslosengeld bezogen, sank auf 16 Prozent (2012) ab (von knapp 70 Prozent im Jahr 2014)! Das ursprüngliche Ziel, bei Arbeitslosigkeit den Einkommensstatus und den beruflichen Status zu garantieren, wurde dem Ziel der schnellen Wiederbeschäftigung untergeordnet.

4.       Deutschlands Ungleichheit

Ökonomin Miriam Rehm untersucht in ihrem Beitrag die Entwicklung der Einkommen in Deutschland und bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Ungleichheit bei den Arbeitseinkommen über den gesamten Zeitraum der 2000er-Jahre angestiegen ist. Vor allem auch nach dem Einsetzen der Krise erhöhte sich diese Ungleichheit weiter, die Arbeitsmarktreformen haben diese Entwicklung beeinflusst.

5.       Arbeitsmarktreform: die Sündenbockstrategie des Finanzministers

Im Sommer 2015 kam seitens der ÖVP zum ersten Mal gezielt das Thema, deutsche Arbeitsmarktreformen auch in Österreich durchzuführen, in den Medien auf. Als Reaktion darauf kritisiert Josef Wallner die Aussagen des damaligen Finanzministers Schelling scharf und legte dar, dass weder eine „Sündenbockstrategie“ (die Arbeitslosen seien selbst an ihrer Lage schuld), die Verschärfung von Zumutbarkeitsbestimmungen noch die deutschen Arbeitsmarktreformen zu einer Lösung der Probleme auf dem österreichischen Arbeitsmarkt führen würden.

6.       Keine Hartz-Reformen in Österreich

Die Analyse der deutschen Arbeitsmarktreformen und ihrer Auswirkungen auf die beschäftigten und arbeitslosen Menschen in Deutschland und der Vergleich mit den Herausforderungen des österreichischen Arbeitsmarktes machen deutlich, dass entsprechende Reformen die Probleme des Arbeitsmarktes nicht lösen würden. Im Gegenteil: Sie würden zu einer zusätzlichen Segmentierung auf dem Arbeitsmarkt führen und Arbeitslosigkeit, die ja immerhin für mehr als 950.000 Menschen in Österreich einmal pro Jahr „dazugehört“, würde noch mehr, als es bereits jetzt schon der Fall ist, zur Bruchstelle in der individuellen Erwerbskarriere werden.

7.       Hartz IV und das Hamsterrad von Erwerbsarbeitslosen und Beschäftigten

Klaus Dörre – Soziologe an der Universität Jena – stellt in seinem Beitrag eindrucksvoll die Auswirkungen auf die Betroffenen und den Preis des vermeintlichen deutschen Jobwunders dar: eine prekäre Vollerwerbsgesellschaft, die permanente Bewährungsprobe im Leistungsbezug, eine zirkuläre Mobilität anstelle von Aufwärtsmobilität, die starke soziale Stigmatisierung und die Angst vor dem Abstieg. Dörre nennt die Ergebnisse der Reformen für einen Wohlfahrtsstaat beschämend.

8.       Warum Hartz IV alles andere als ein Erfolgsmodell ist

Judith Pühringer und Josef Pürmayr, beide ExpertInnen aus dem Bereich der sozialen Unternehmen und der Arbeitsmarktpolitik, legen in ihrem Beitrag dar, wie das Hartz-IV-Modell aus erwerbslosen Armen arme Erwerbstätige gemacht und zu einer wachsenden Entsolidarisierung in der Gesellschaft geführt hat. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit im Nachbarland hat zudem andere Gründe. Statt über die Grenzen zu schielen, fordern die AutorInnen von Österreich eine Beschäftigungspolitik, die Sinn macht und Sinn gibt. Dazu gehört die Umsetzung der Aktion 20.000 für ältere langzeitarbeitslose Menschen, die ja mittlerweile von der neuen Regierung wieder ausgesetzt wurde.

9.       Hartz IV – Klassenkampf von oben

Im Juni 2017 lancierte die Tageszeitung die Presse einige Artikel zum Thema Notstandshilfe, Hartz IV und zu der Frage, ob Sozialabbau á la Hartz IV die Arbeitslosigkeit senken könnte. Josef Wallner hat als Reaktion darauf in seinem Beitrag die zentralen Argumente gegen Hartz-Reformen in Österreich angeführt. Da es einen offensichtlichen Mangel an offenen Stellen in Österreich gibt, geht es wohl darum, die Löhne im unteren Bereich weiter abzusenken und die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit zu beschädigen, ohne dass dadurch Langzeitarbeitslose bessere Arbeitsmarktchancen bekommen würden. Profiteure sind dabei jene, die auf der sozialen Leiter ganz oben stehen und billige Arbeitskräfte einkaufen können.

10.   Hartz IV für Österreich: Finger weg von der Notstandshilfe, Herr Finanzminister!

Christine Stelzer-Orthofer – wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Linz – greift in ihrem Beitrag die Auswirkungen der deutschen Arbeitsmarktreformen auf und nimmt Bezug auf die Ergebnisse einer Studie, die vom österreichischen Finanzministerium in Auftrag gegeben wurde, die eine Simulation der Hartz-Reformen auf Österreich vorgenommen hat. Sie zeigt auf, dass hier massive Einschränkungen im Bereich der Existenzsicherung arbeitsloser Personen vorgenommen würden und infolge dessen die Einkommensungleichheit und die Armut in Österreich stark ansteigen würden.

11.   Erwerbsarmut in Österreich und Deutschland – Hartz IV ist kein Vorbild

Dem Aspekt der zunehmenden Armut, auch unter Erwerbstätigen, widmet sich der Blogbeitrag von Daniel Seikel. Eine Politik, die im Kampf gegen Arbeitslosigkeit auf Zwangselemente und Leistungskürzungen setzt, kann dazu führen, dass aus armen arbeitslosen Personen und Haushalten arme berufstätige Personen und Haushalte werden. Die Hartz-Reform hat in Deutschland die Faktoren gestärkt, die das Erwerbsarmutsrisiko erhöht haben. Sowohl aus sozialpolitischer Perspektive als auch unter Gerechtigkeitsaspekten sind die Hartz-Reformen also negativ zu beurteilen. Von einer Nachahmung der Hartz-Reformen, wie jüngst in Österreich angedacht, kann daher nur abgeraten werden.

12.   Arbeitslosigkeit in Deutschland und Österreich: Was steckt hinter den divergierenden Arbeitslosenquoten?

Franziska Foissner zeigt in ihrem Beitrag, dass bei der deutschen Arbeitsmarktentwicklung vor allem auch die Angebotsentwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen ist. Im Vergleich zu Österreich spielte auch die unterschiedliche Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter eine große Rolle, deren Stagnation in Deutschland einen großen Teil zur Reduktion der Arbeitslosenquote beitrug. Deutschland konnte durch diese Faktoren eine sinkende Arbeitslosenquote erzielen, steht dafür aber im Gegensatz zu Österreich stärker vor den Problemen der Langzeitarbeitslosigkeit und Erwerbsarmut als Folge der Hartz-IV-Reformen. Wer Hartz IV propagiert, nimmt bewusst diese negativen Konsequenzen in Kauf und verfolgt das Ziel einer Ausweitung des Niedriglohnsektors.

13.   Verschärfung der Bestimmungen für Arbeitslose – was steckt hinter der Debatte?

Simon Theurl geht in seinem Beitrag zwar nicht dezidiert auf die deutschen Arbeitsmarktreformen ein, veranschaulicht aber sehr gut, welche Motive hinter einer verschärften Arbeitsmarktpolitik à la Deutschland stehen. Er kommt zum Schluss, dass es anstelle einer Verschärfung der Bestimmungen für Arbeitslose eines Ausbaus der investiven aktiven Arbeitsmarktpolitik bedarf. Diese Maßnahmen können dazu beitragen, Erwerbsarmut zu bekämpfen und Menschen in gute Erwerbsarbeitsverhältnisse einzugliedern.

14.   Was würde Hartz IV für ArbeitnehmerInnen in Österreich bedeuten?

Unser Blogvideo veranschaulicht gut und kompakt, welche Auswirkungen die Hartz-Reformen auf die Beschäftigten in Österreich hätten. Gleich anschauen!

15.   Die Entwicklung des Niedriglohnsektors zwischen 1996 und 2015 – Österreich, Deutschland und die Schweiz im Vergleich

Roland Verwiebe und Nina-Sophie Fritsch untersuchten in einer Studie die Entwicklung des Niedriglohnsektors in den drei Nachbarländern. Sie kommen dabei zum Schluss, dass sowohl für Österreich aber noch deutlicher für Deutschland in den letzten Jahren eine Ausweitung der Niedriglohnbeschäftigung zu beobachten ist. In Deutschland ist der massive Anstieg des Niedriglohnsektors vor dem Hintergrund der Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes zu sehen. Im Vergleich dazu sind die Entwicklungen in Österreich moderater verlaufen. Noch immer ist ein größerer Teil der österreichischen Arbeitskräfte gut vor Jobs im Niedriglohnsegment geschützt.

16.   Soziale Polarisierung in Deutschland durch Hartz-Reformen

Politikwissenschafterin Irene Dingeldey zeigt in ihrem Beitrag vom Juni 2018, dass die Hartz-Reformen dem sogenannten Aktivierungsparadigma folgen, das tradierte sozialstaatliche Ziele und Prinzipien neu interpretiert. Darüber hinaus war die Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarktes ein weiteres zentrales Element dieser Reformpolitik. Die Konsequenzen waren eine Polarisierung sowohl der Arbeitsmarktteilhabe als auch der Einkommen bzw. die Verfestigung von Armut. Notwendig ist daher, dass die unteren Einkommenssegmente sozialpolitisch stärker unterstützt und der Arbeitsmarkt sowie die Löhne re-reguliert werden.

17.   Hartz-Reformen: kein Vorbild, sondern aus der Zeit gefallen

Und last but not least, beschäftigte sich vor wenigen Wochen ein Beitrag von Peer Rosenthal mit den Hartz-Reformen – in dem noch einmal kompakt die zentralen Auswirkungen vor allem auch auf die Beschäftigten und die „Mittelschicht“ illustriert werden – und forderte eine neue Form der Arbeitsmarktpolitik. Gegen die Risiken des digitalen Kapitalismus braucht es eine präventive, investiv-befähigende und solidarische Arbeitsmarktpolitik, mit welcher der Erhalt, Ausbau und die Förderung von Qualifikation in den Mittelpunkt rückt.