In seinem Beitrag „Gesund dank Dr. Hartz“ hat Matthias Knuth eindrucksvoll dargelegt, wie gering der Anteil der “Hartz”-Reformen am deutschen “Beschäftigungswunder” ist. Insgesamt scheint der Politikmix aus “Hartz”-Reformen und “Agenda 2010” das Ausschöpfen der Beschäftigungspotenziale eher verhindert als gesteigert zu haben. Und trotzdem wird für die Reformen ein hoher Preis bezahlt: Mit den Veränderungen im System der Arbeitslosenversicherung, der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der spezifischen Ausgestaltung von “Hartz IV” ist ein schleichender Abschied von der Sozialversicherungslogik eingeleitet worden. Das ursprüngliche Ziel, bei Arbeitslosigkeit den Einkommens- und den beruflichen Status zu garantieren, wurde dem Ziel der schnellen Wiederbeschäftigung untergeordnet.
Das neue Arbeitslosensicherungssystem: Aus drei mach zwei
Bis zum Jahr 2005 gab es in der Bundesrepublik ein dreistufiges Sicherungssystem aus Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe:
Das Arbeitslosengeld, das als Lohnersatzleistung aus der Arbeitslosenversicherung über Beiträge finanziert wird.
Als Anschlussleistung folgte die Arbeitslosenhilfe, die sich in ihrer Höhe ebenso wie das Arbeitslosengeld am vorherigen Einkommen orientierte. Damit sollte auch die steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe den Erhalt des individuellen Lebensstandards auf niedrigerem Niveau ermöglichen.
Für als bedürftig geltende Personen ohne (bedarfsdeckende) Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe wurde Sozialhilfe gezahlt.
Im Zuge der “Hartz”-Reformen wurde die Arbeitslosenhilfe als Bestandteil der Arbeitslosenversicherung abgeschafft. An die Stelle der Sozialhilfe trat das Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich “Hartz IV” genannt. Neben der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe wurde das Versicherungssystem in weiteren Punkten geändert. Zu den wichtigsten Veränderungen zählen eingeschränkte Zugangsmöglichkeiten, die Verkürzung der maximalen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld sowie die verschärfte Zumutbarkeit.
Zugang zur Arbeitslosenversicherung eingeschränkt, Bezugsdauer verkürzt
Der Zugang zur Arbeitslosenversicherung wurde enger gefasst. Für die Erreichung der generellen Höchstbezugsdauer von 12 Monaten muss eine durchgängige Beitragszahlung in den letzten 24 Monaten erfolgt sein. Diese Veränderungen erschweren es insbesondere unstetig Beschäftigten (Leiharbeit, Befristungen), Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu erwerben, auch wenn sie in ihrer Gesamterwerbsbiografie langjährig in die Versicherung eingezahlt haben. Jeder vierte Zugang in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung führt inzwischen direkt in die “Hartz-IV”-Bedürftigkeit.
Auch die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengelds wurde verkürzt und damit wurden Leistungsansprüche auch von Normalbeschäftigten beschnitten. Im Ergebnis sind über 45-jährige Arbeitslose schlechter gestellt als vor den Reformen. Mit der kürzeren maximalen Bezugsdauer entfällt zumindest teilweise die Anerkennung langjähriger Beitragszahlung als eine Art “Lebensleistung”.
Bedeutung einkommensbezogener Leistungen drastisch gesunken
Bezogen bis 2004 noch über zwei Drittel der LeistungsbezieherInnen die am vorangegangenen Einkommen orientierten Leistungen Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe und nur eine Minderheit die reine Fürsorgeleistung Sozialhilfe, ist dieser Anteil nach 2005 deutlich zurückgegangen und lag 2012 nur noch bei 16 Prozent (Abbildung 1). Es dominiert jetzt die Fürsorgeleistung Arbeitslosengeld II.