Im Regierungsübereinkommen findet sich im Kapitel „Entbürokratisierung und Entlastung“ die Überschrift „Vereinfachungen im Arbeitslosenversicherungsrecht“. Das ist zunächst gut, denn diese Rechtsmaterie ist tatsächlich sehr komplex geworden. Für die, die von den Leistungen dieser Sozialversicherung abhängen und für die, die es vollziehen müssen. Besorgniserregend aber ist die Zielsetzung dieses Vorhabens. Möglichst rasche Beratung und Vermittlung mögen ja noch angehen. Aber der „Abbau von Beschäftigungshemmnissen“ lässt dann doch alle Warnglocken läuten – zu oft ist diese Wendung als Chiffre für den Abbau von sozialrechtlichen Leistungs- und Schutzniveaus verwendet worden. Dennoch: Es ist Zeit für eine Überarbeitung der Arbeitslosenversicherung, die über das bloße Ziel einer „Vereinfachung“ hinausgeht.
Risiken für ArbeitnehmerInnen auf einem flexiblen Arbeitsmarkt nur mehr unzureichend abgesichert
Das gilt zuerst für das Risiko „Verarmung und Verschlechterung der Berufsperspektiven“ durch Arbeitslosigkeit. Eine Studie des IFES und SORA über die Strategien zur Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit zeigt, dass die Höhe der Geldleistungen bei Arbeitslosigkeit auch den sogenannten Mittelstand rasch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten bringt. Nicht „nur“ die sogenannten Ausgrenzungsgefährdeten, die 5 – 6% der Erwerbsbevölkerung, die 50% des Arbeitslosigkeitsvolumens zu tragen haben. Sondern die, die nach einer Typologie des WIFO in seiner Studie zur Struktur der Arbeitslosigkeit in Österreich zu den eher stabil Beschäftigten gehören. Die Leistungshöhen, aber auch die Bestimmungen über den Zugang zu den Leistungen der Arbeitslosenversicherung –die berühmt berüchtigten Zumutbarkeitsbestimmungen – leisten einen Beitrag dazu, dass für viele unselbständig Erwerbstätige Arbeitslosigkeit zu einer Bruchstelle in der Erwerbskarriere wird – von nun an geht´s bergab, mit dem Einkommen, der Jobsicherheit, den Arbeitsbedingungen. Statussicherung durch die Arbeitslosenversicherung? Fehlanzeige für zu viele Betroffene – und wir reden im Jahr von um die 900.000 ArbeitnehmerInnen. Und dazu: Eine Dequalifizierungsmaschine ist da in Gang gesetzt, gefährlich für jede Volkswirtschaft, noch dazu für eine, deren wichtigstes Asset die Qualifikation der ArbeitnehmerInnen ist.
Mit der bedarfsorientierten Mindestsicherung und vielleicht noch viel mehr mit der Reform der Invaliditätspension werden Menschen auf einen ohnehin hoffnungslos verstopften Arbeitsmarkt verwiesen, die mit hoher Sicherheit auf diesem Arbeitsmarkt wenn überhaupt, dann keine existenzsichernden Einkommen erwerben werden können. „Working poor“, das Risiko der Einkommensarmut ist eine reale Bedrohung gerade für ArbeitnehmerInnen mit Leistungseinschränkungen, aus welchen Gründen auch immer. Die Arbeitslosenversicherung sieht dafür keine Leistungen vor – der Kombilohn und die Kurzarbeitsbeihilfe sind Förderungen und keine Leistungen mit Rechtsanspruch und zudem nur für ganz besondere Fälle vorgesehen. Auch wenn zumindest vorübergehende Einkommensstützungen etwa in Form eines Teilarbeitslosengeldes durch die Arbeitslosenversicherung gut gestaltet werden müssen, damit sie nicht zu einer öffentlichen Förderung eines Niedriglohnsektors ausarten, sind sie dennoch notwendig.
Gegen das Risiko einer schlechten Beschäftigungs- und Einkommensperspektive wegen nicht (mehr) nachgefragter Qualifikation sieht die Arbeitslosenversicherung bereits Geldleistungen vor das Weiterbildungsgeld bei Bildungskarenz, es gibt das Bildungsteilzeitgeld bei entsprechend begründeter Verkürzung der Arbeitszeit. Doch hier muss nachjustiert werden, den die rechtlichen Rahmenbedingungen und Leistungshöhen führen dazu, dass die, die am meisten unter dem Risiko fehlender oder falscher Qualifikation leiden, nur ungenügend unterstützt werden.
Zudem müssen viele Menschen müssen zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit wechseln. Die Zahl derjenigen, die von mehrfacher geringfügiger Beschäftigung leben müssen, steigt. Erwerbsarbeit wird vielfältiger, die Grenzen unklarer, die Risiken aber bleiben. Reagiert hier die Arbeitslosenversicherung adäquat? Ein Blick auf die Regeln für die „Arbeitslosenversicherung für Selbständige“ etwa, auf die sogenannten „Zuverdienstregeln“, auf die Abgrenzung zwischen Arbeitslosigkeit und Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit weisen eher ins Gegenteil.
Neuordnung der Finanzierung von Arbeitsmarktpolitik angezeigt
Auch die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung ist eine Debatte und eine Neuordnung wert: Die Beiträge der Arbeitslosenversicherung sind auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit die finanzielle Basis für die gesamte Arbeitsmarktpolitik. Zudem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass viele Unternehmen ihre Auslastungsschwankungen durch „Zwischenparken“ ihrer Beschäftigten in der Arbeitslosigkeit ausgleichen, dass manche Unternehmen etwa in der Arbeitskräfteüberlassung diese Externalisierung von Personalkosten geradezu zu ihrem Geschäftsmodell machen. Sie produzieren damit Arbeitslosigkeit im eigenen Profitinteresse. Wer aber als ArbeitnehmerIn mutwillig die eigene Arbeitslosigkeit verursacht muss mit einer Sanktion rechnen. Das sollte auch für Unternehmen gelten: Diejenigen Unternehmen, die durch ihr Beschäftigungsverhalten ungewöhnlich viel Arbeitslosigkeit produzieren, sollten dafür zur Kasse gebeten werden – am besten durch einen höheren Beitrag in die Arbeitslosenversicherung. Und letztlich ist die aktive Arbeitsmarktpolitik zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe mit Vorteilen für die gesamte Gesellschaft geworden – sie sollte daher auch so finanziert werden.
Reform der Arbeitslosenversicherung braucht intensive Auseinandersetzung
Es gibt keine einfachen Lösungen für eine Anpassung der Arbeitslosenversicherung an die Erfordernisse eines offenen, flexiblen Arbeitsmarktes mit steigenden Risiken und steigendem Druck auf die Erwerbsbevölkerung. Zu gewichtig ist ihre soziale und volkswirtschaftliche Bedeutung, zu divergent sind die mit ihr angesprochenen Interessen der ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber. Und schließlich sind die zu lösenden Probleme alles andere als trivial. Eine Reform der Arbeitslosenversicherung braucht daher einen intensiven und auch breit angelegten Diskussionsprozess, der neben den klassischen Stakeholdern der Arbeitsmarktpolitik auch die Zivilgesellschaft einbindet. Es wird wohl noch die eine oder andere empirische Basis für ein gelingendes Reformvorhaben erarbeitet werden müssen. Dennoch: Die Sozialpartner, die Bundesregierung und das Management des AMS sollten sich auf ergebnisorientierten Diskussionsprozess einlassen.