Viele Jahre nach dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 verbessert sich die Arbeitsmarktsituation in Europa nur langsam. Österreich hat seine Spitzenposition mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit verloren – diese hat Deutschland übernommen. Die österreichische Regierung erntete folglich viel Kritik. Gefordert werden Arbeitsmarktreformen nach deutschem Vorbild à la „Hartz IV“. Aber die Vergleiche hinken und hinter den Forderungen stecken beinharte Interessen.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass sich die Entwicklung der Beschäftigung in den letzten Jahren in Deutschland kaum von jener in Österreich unterscheidet. Die Anzahl an Beschäftigten in Deutschland ist von 2008 bis 2016, ausgehend von einer ähnlichen Beschäftigungsquote, um 8,3 Prozent gewachsen – in Österreich hingegen ist die Zahl der Beschäftigten sogar um 8,7 Prozent gestiegen. Die Beschäftigungsquote, nach Eurostat ein Strukturindikator über den Zustand von Arbeitsmärkten und der Wirtschaft im Allgemeinen, zeigt, dass sich Deutschland in Bezug auf das Arbeitskräfteangebot und die Nachfrage in einer ähnlich schwierigen Lage wie Österreich befindet. Auch die Betrachtung der BIP-Entwicklung in den beiden Ländern unterstützt die Hypothese, dass der deutsche Erfolg in Bezug auf die fallende Arbeitslosenquote nicht auf die hohe Wettbewerbsfähigkeit und günstige makroökonomische Entwicklung zurückzuführen ist. Deutschland weist nämlich ähnliche Wachstumsraten des BIP wie Österreich auf. Wie kann es also sein, dass sich bei nahezu gleichem Beschäftigungswachstum und einem ähnlich gravierenden Wirtschaftseinbruch nach 2008 die deutsche Arbeitslosenquote besser entwickelt hat als die österreichische?
Demographische Entwicklung
Zum Teil ist die demographische Entwicklung in Deutschland für die niedrige Arbeitslosenquote verantwortlich. Bei einem Vergleich der Entwicklung der Anzahl an Personen im erwerbsfähigen Alter und der Arbeitslosenquote kann man klar erkennen, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Variablen gibt. Ein geringeres Wachstum dieser Bevölkerungsgruppe wird mit einer geringeren Arbeitslosigkeit im jeweiligen Land in Verbindung gebracht. In Österreich ist die Personengruppe zwischen 20 und 64 Jahren von 2008–2016 um rund fünf Prozent gewachsen, während sie in Deutschland stagnierte. Wenn also die Erwerbsbevölkerung eines Landes steigt, so muss die Anzahl an Beschäftigten im gleichen Maße steigen, um die Arbeitslosenquote konstant zu halten. Wächst hingegen die Beschäftigung in Deutschland in ähnlichen Größenordnungen, sinkt die Arbeitslosenquote, da die Bevölkerungsentwicklung stagniert. Diese Entwicklung führte so zu günstigeren Bedingungen am Arbeitsmarkt in Deutschland. Diese demographische Entwicklung ist zum Teil auch durch eine größere Zuwanderung in Österreich als in Deutschland bedingt. Von 2004 bis 2015 stieg die Nettozuwanderung in Deutschland um 3,1 Mio. Menschen bzw. um 3,8 Prozent (im Verhältnis zur Bevölkerung im Jahr 2004). In Österreich war der Anstieg der Nettozuwanderung mit rund 490.000 Menschen bzw. mit sechs Prozent relativ betrachtet zur Bevölkerung stärker ausgeprägt.
Da die Anzahl an Personen im erwerbsfähigen Alter in Österreich stärker gestiegen ist, wird auch ein größerer Zuwachs bei der Erwerbsbevölkerung, also bei der Summe an Beschäftigten und Arbeitssuchenden, in Österreich beobachtet. Neben der Zuwanderung spielt hier auch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen eine Rolle. Diese ist in den letzten zehn Jahren in Österreich um 14,8 Prozent gestiegen, im Gegensatz zu jener in Deutschland, die um nur 6,3 Prozent angestiegen ist. Mehr Frauen in Österreich als in Deutschland entschlossen sich in den letzten zehn Jahren, einer Erwerbsarbeit nachzugehen oder aktiv nach Erwerbsarbeit zu suchen und scheinen daher auch in den Arbeitsmarktstatistiken auf.
Krisenmaßnahme: Kurzarbeit
In Deutschland führte im Unterschied zu früheren Rezessionen die Große Rezession von 2008, trotz eines deutlichen Falls des BIPs um 5,6 Prozent, zu einem geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Grund dafür ist die geringe Anzahl an Kündigungen. Die Einführung eines Kurzarbeit-Programms mit verbesserten Zugangsmöglichkeiten und erhöhter staatlicher Förderung stabilisierte den deutschen Arbeitsmarkt durch eine starke temporäre Reduktion der Arbeitszeit der einzelnen Arbeitenden. Eine Studie des WIFO zeigt die Wirkung der Kurzarbeit in Österreich und Deutschland. Der starke Nachfrageschock der Krise wurde durch die Kurzarbeit auf mehr Köpfe aufgeteilt, also nicht nur auf die Entlassenen und außerdem wurden mit finanziellen Leistungen die Arbeitsausfälle zumindest zum Teil kompensiert. Darüber hinaus wurden verstärkt auch andere Maßnahmen zur Regulierung der Arbeitszeit, nämlich Arbeitszeitkonten und Änderungen in der Regelarbeitszeit, implementiert, die sich als nützlich erwiesen, um die Arbeitslosenquote zu stabilisieren. Österreich förderte zwar auch Programme für Kurzarbeit, aber in Deutschland zeigte sich eine höhere und breitere Inanspruchnahme der Kurzarbeitsprogramme und eine größere Verteilung der Kurzarbeit auf verschiedene Branchen. Außerdem profitierten die deutschen Unternehmen von mehr Erfahrungswerten aus der Vergangenheit auf dem Gebiet der Kurzarbeit.