Bei der Vielzahl an einzelnen im Regierungsprogramm geplanten Verschärfungen im Bereich der Gesellschafts- und Sozialpolitik darf der verteilungspolitische Blick aufs Ganze nicht verloren gehen. Die budgetären und steuerpolitischen Vorhaben der Regierung werden die bestehende Schieflage noch weiter verschärfen.
Während im unteren und mittleren Einkommens- und Vermögensbereich um Peanuts gestritten wird, werden „oben“ sogar großzügig neue Zuckerl verteilt. Besonders augenscheinlich wird das z. B. bei Privatvermögen: Jene der Reichen werden nicht angerührt, die von Arbeitslosen, welche längere Zeit keinen Job finden können, stehen sehr wohl zur Disposition.
Dabei darf eines nicht vergessen werden: Es ist definitiv höchst problematisch, dass die Schwächsten durch Diffamierung, Generalverdacht und Verschärfungen auf allen Ebenen mit Füßen getreten werden oder – im besten Fall – Minderheiten und Randgruppen (wie z. B. auch AlleinerzieherInnen) einfach nicht bedacht werden. Die Problematisierung dieses Umstandes ist wichtig, die Fokussierung darauf jedoch sehr wahrscheinlich vonseiten der Regierung durchaus intendiert. Es geht dieser um die Spaltung der Gruppe der arbeitenden Menschen, weil damit von der verheerenden Schieflage (sowohl der bestehenden als auch jener im Regierungsprogramm) zwischen brav steuerzahlenden ArbeitnehmerInnen und den steuertricksenden Großkonzernen, zwischen den „kleinen Leuten“ und den MillionärInnen, zwischen jenen, die für ihr Geld arbeiten und jenen, die ihr Geld für sich „arbeiten“ lassen, zwischen Arbeit und Kapital, abgelenkt wird.
Wirtschaftsstandort über alles
Die gesellschaftliche Spaltung wird vor allem über den Angriff auf das Vermögen der breiten Masse, den Sozialstaat, betrieben. Im Regierungsprogramm positionieren sich die neuen Koalitionäre klar gegen einen aktiven Staat. Bereits im Vorwort heißt es, dass Österreich „Weltmeister im Regulieren und im Einschränken von Freiheit und Selbstverantwortung sei“ und dass „der staatlichen Bevormundung ein Ende“ gesetzt werden müsse. Dies scheint jedoch für Bereiche wie Verwaltung, Ordnung und Überwachung nicht zu gelten. Hier wird mit weiterem Ausbau nicht zimperlich umgegangen; man denke etwa an zusätzliche Bürokratie (z. B. im Bereich der Indexierung der Familienbeihilfe), zusätzliche kostspielige Spitzenbeamte (weisungsbefugte Generaldirektoren in Ministerien) oder den Ausbau im Bereich der Überwachung und Sicherheitsapparate.
Rasch gelangt die Ausführung aber hin zum eigentlichen Kern des Interesses: die „drückende Steuer- und Abgabenlast“. Diese müsse nachhaltig gesenkt werden, um „den Menschen mehr individuelle Spielräume“ zu geben und scheint damit den Kern der neuen „Freiheit“ darzustellen. Gemeint können nur jene Menschen sein, die es sich leisten können, privat für ihre Gesundheitsversorgung, ihre Absicherung im Alter oder die Schulbildung ihrer Kinder aufzukommen. Denn die Freiheit der einen kann zu einer zusätzlichen Last für die anderen werden. Jedenfalls ist klar, dass alles, was nicht staatlich zur Verfügung gestellt wird, privat und oft zu höheren Kosten finanziert werden muss.
Vordergründig werden die gravierenden Einschnitte im Regierungsprogramm mit dem Standortwettbewerb argumentiert. In der Präambel wird behauptet, dass unser Wirtschaftsstandort „im Vergleich mit unseren Nachbarn nicht mehr wettbewerbsfähig genug ist“. Und obgleich das durch Fakten nicht zu belegen ist, soll der Wirtschaftsstandort gleich als „Staatszielbestimmung“ eingeführt werden. Diesem Ziel wird sogleich im gesamten Programm Folge geleistet, denn in erster Linie werden die Interessen von Wirtschaft und Kapital vertreten. Besonders absurd daran: Die dahinterliegende Annahme, dass ein magerer Staat förderlich für die Wirtschaft sei, ist empirisch nicht zu belegen.
Wackelige Finanzierung: Grundlage der neuen Verteilungspolitik
Grundlage für die neue Verteilungspolitik stellen die Finanzpläne der Regierung dar. Hier wird die Senkung der Steuer- und Abgabenquote beziffert: Es soll in Richtung 40 Prozent des BIP gehen. Dies würde einem Volumen im zweistelligen Milliardenbereich entsprechen. Die Finanzierung des Steuerausfalls soll durch „ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen“ erfolgen – genaue Zahlen und Gegenfinanzierungsmaßnahmen fehlen weitgehend.
Tatsächlich gibt es nur zwei Möglichkeiten, wie die großen Steuergeschenke finanziert werden können – gegeben der Tatsache, dass eine Schuldenbremse gleich in den Verfassungsrang gehoben werden soll. Entweder es werden die Versprechen später mit Verweis auf „Budgetrestriktionen“ wieder abgesagt oder die Entlastungen auf der einen Seite führen zu Belastungen auf der anderen Seite. Und das in Form von Leistungskürzungen oder in Form von höheren Beiträgen und Streichungen von Begünstigungen (wie wir das bereits aus OÖ kennen). Kurz gesagt: Die breite Masse finanziert sich ihre „Entlastungen“ selbst.
Wenig echte Entlastung für ArbeitnehmerInnen
Hinzu kommt: Selbst bei den geplanten Entlastungen ist nur ein (kleiner) Teil für ArbeitnehmerInnen vorgesehen, und hier bei weitem nicht für alle. Entlastungen sind hauptsächlich für jene angedacht, die Lohnsteuer zahlen. „Das Steuersystem honoriert Leistung zu wenig“, lautet der Slogan dazu. Herzstück der arbeitnehmerseitigen Entlastung wird der Familienbonus sein, mit jährlichen Kosten von 1,5 Milliarden Euro. Viele Menschen haben aber ein zu geringes Einkommen, um den Bonus (zur Gänze) ausschöpfen zu können.
Zentral im Programm ist auch die Vereinfachung des Steuersystems. Es sollen „unzählige unsystematische Ausnahme- und Sonderbestimmungen“ entrümpelt werden (insbesondere in der Lohnsteuer). Hier ist zu befürchten, dass die Reduktion von Ausnahmen teilweise geplante Entlastungen finanzieren wird. Explizit unangetastet bleiben soll nur die begünstigte Besteuerung des 13. und 14. Monatsgehalts. Vergünstigungen wie beispielsweise die Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen oder Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen stehen im Rahmen der Neukodifizierung des Einkommensteuergesetzes („EStG 2020“) potenziell zur Disposition.
Teilweise werden Leistungskürzungen auch gleich mitgeliefert: Die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge geht einher mit Einsparungen bei Arbeitslosen. Und auch im Bereich des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) können weitere Senkungen zu Finanzierungsproblemen wichtiger Leistungen führen. Es wäre denkbar, dass später mit Verweis auf den Ausgleich durch den Familienbonus und der verschärften Unterdotierung schließlich Leistungen aus dem FLAF gekürzt werden (oder zumindest Inflationsanpassungen ausbleiben).
Die geplanten „Entlastungen“ für ArbeitnehmerInnen laufen also Gefahr, zu einem wesentlichen Teil auch durch ebendiese selbst finanziert zu werden. Eine Umverteilung innerhalb der ArbeitnehmerInnen, oder eben der Versuch der gesellschaftlichen Spaltung im Bereich der Lohnabhängigen.
Erhebliche Entlastungen für Unternehmen
Gleichzeitig ist im Bereich der Unternehmen – neben zahlreichen kleineren Maßnahmen – eine massive Gewinnsteuersenkung (Körperschaftsteuer – KöSt) geplant. Es sollen insbesondere Begünstigungen für nicht entnommene Gewinne eingeführt werden. Begründet wird diese Maßnahme wieder mit dem internationalen Standortwettbewerb und der Behauptung, dass mittlerweile alle Nachbarländer (mit der Ausnahme von Italien) niedrigere Körperschaftsteuersätze als Österreich haben. Auch diese Behauptung erweist sich, wie Werner Doralt ausführt, als falsch (und auch darüber hinaus attestiert Doralt dem Steuerprogramm einen „Verzicht auf Expertise“).
Noch wichtiger aber: Budgetär wird sich diese Maßnahme, bei einer Halbierung des Steuersatzes (angedacht war auch schon eine gänzliche Freistellung), in einem Minus im Staatshaushalt von bis zu 2,5 Milliarden Euro im Jahr niederschlagen. Im Vergleich zu den prognostizierten Kosten für das Herzstück der Entlastungen in der Lohnsteuer für Familien (Familienbonus) ist die KöSt-Senkung wesentlich großzügiger. Vor allem wenn man bedenkt, dass das Körperschaftssteueraufkommen bereits jetzt nur etwa 7,5 Milliarden Euro umfasst, während über die Lohnsteuer ca. 25,5 Milliarden Euro lukriert werden (laut Budgetvoranschlag 2017). Anders formuliert: für Unternehmen eine Entlastung von einem Drittel, für ArbeitnehmerInnen weniger als sechs Prozent.
Aber auch über die „Prestigeprojekte“ hinaus gibt es zahlreiche kleine Beispiele, in denen von der breiten Masse hin zu Unternehmen umverteilt wird bzw. die Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit entlastet werden – diese sind vielfach nur versteckt im Regierungsprogramm. Dabei geht es meist darum, dass Maßnahmen (z. B. die betriebliche Lehrstellenförderung, die Kostentragung des FLAF von „nicht oder nur teilweise familienrelevante[n] Leistungen“ oder die AUVA), die bislang – inhaltlich durchaus begründet – (hauptsächlich) von Unternehmen getragen wurden, künftig aller Voraussicht nach aus anderen Töpfen finanziert werden sollen. Etwa aus allgemeinen Steuermitteln, die zum Löwenteil von den ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen getragen werden oder anderen Trägern, welche ebenfalls überwiegend von der Allgemeinheit finanziert werden.
Hinzu kommen unter dem Titel „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im Steuerrecht“ auch in der Landwirtschaft weitere Steuergeschenke und die Fortführung bestehender Zuckerl, wie der pauschalierten Gewinnermittlung, bei gleichzeitigem Fehlen einer steuerlichen Umweltstrategie (ökosoziale Steuerreform). Und auch der Kampf gegen Steuertricks wird viel zu wenig ambitioniert geführt, obgleich mit der geplanten Einführung einer „digitalen Betriebsstätte“ ein Schritt in die richtige Richtung gesetzt werden soll, der vonseiten der AK ebenfalls gefordert wird.
Auf den Punkt gebracht: Die Schieflage im österreichischen Steuersystem, aber auch in der Einkommens- und Vermögensverteilung, wird nicht beseitigt, sondern weiter verschärft! Eine Umverteilung von unten nach oben.