Die österreichische Abgabenquote wird auch in den laufenden Koalitionsverhandlungen wieder eine zentrale Rolle spielen. Sie befindet sich unter den höchsten im internationalen Vergleich und sollte aus Sicht beider Verhandlungspartner drastisch gesenkt werden. Argumentiert wird, dass eine hohe Abgabenquote das Wirtschaftswachstum hemme. Leider orientiert sich die Diskussion nicht an den aktuellen wissenschaftlichen Befunden. Neue Studienergebnisse verdeutlichen, dass nicht die Höhe der Abgabenquote, sondern die Struktur eines Steuersystems wachstumsrelevant ist. Eine hohe Abgabenquote geht außerdem mit einem hohen Niveau der sozialen Sicherheit einher. Und auch hier zeigt sich: Eine hohe wirtschaftliche Produktivität und ein gut ausgebauter Sozialstaat bedingen sich gegenseitig.
Länder mit hohen Abgabenquoten auf der Überholspur
Österreich befindet sich mit seiner überdurchschnittlich hohen Abgabenquote in guter Gesellschaft mit Ländern wie Dänemark, Belgien oder Schweden. Sehr niedrige Abgabenquoten weisen zum Beispiel die Türkei oder Mexiko auf. Generell lässt sich festhalten, dass wirtschaftlich starke, reichere Länder oft einen gut ausgebauten Sozialstaat mit umfassender Staatsaktivität haben. Dieser Zusammenhang wird in der Literatur auch als „Wagnersches Gesetz“ bezeichnet und beschreibt, wie Volkswirtschaften im Laufe ihrer Entwicklung einen größeren Teil der Bedürfnisse durch öffentliche Leistungen decken können und daher auch steigende Staats- und Abgabenquoten aufweisen. Ein positives Zeichen für Österreich!
In der Abbildung wird das noch einmal deutlich: Blickt man nicht auf die Wachstumsraten, sondern auf den Entwicklungsstand, zeigt sich ein klar positiver Zusammenhang zwischen dem BIP pro Kopf und der Abgabenquote. Teilweise gibt es allerdings große Unterschiede in der Höhe der Abgabenquote bei Ländern, die ein ähnlich hohes BIP pro Kopf aufweisen. Das liegt neben definitorischen Problemen, welche die Abgabenquoten in manchen Ländern dramatisch unterschätzen, vor allem an den unterschiedlichen sozialstaatlichen Leistungsniveaus.
Eine gute staatliche Verwaltung und ein ausgebauter Sozialstaat sind wesentliche Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg und somit für ein höheres BIP. Besonders in den Jahren der Wirtschaftskrise ab 2008 hat sich wieder gezeigt, dass ein aktiver Sozialstaat auch ökonomisch wertvoll ist und Einkommen, Konsum sowie die Gesamtnachfrage zu stabilisieren vermag.
Neue Studie zeigt: kein Zusammenhang zwischen Abgabenquoten und Wirtschaftswachstum
Dieser erste Blick lässt bereits Zweifel an der Behauptung aufkommen, dass eine hohe Abgabenquote problematisch für die Wirtschaft eines Landes sei. Der Blick in die wissenschaftliche Literatur erhärtet diesen Verdacht. Zwar verweist ein einflussreiches Papier von OECD-Ökonomen rund um Jens Arnold aus dem Jahr 2011 auf einen (wenn auch schwachen) negativen Zusammenhang zwischen der Abgabenquote und dem Wirtschaftswachstum und galt damit lange Zeit als Referenzpunkt. Die Anwendung neuerer Methoden hat jedoch zunehmend gezeigt, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Höhe der Abgabenquoten und dem Ausmaß des Wirtschaftswachstums gibt.
Darauf baut eine aktuelle Studie der AK Oberösterreich (von Philipp Gerhartinger, Philipp Haunschmid und Michael Pfarrhofer) auf. Unter Berücksichtigung neuer theoretischer wie auch methodischer Erkenntnisse aus dem Bereich der Wachstumsforschung werden die Kritikpunkte am Standardwerk von Arnold und Kollegen gesammelt aufgegriffen und deren Ergebnisse einer neuerlichen empirischen Prüfung unterzogen. Neben einem breiteren Ländersample (alle 34 OECD-Länder) wurde dabei auch ein aktuellerer Beobachtungszeitraum (1995–2014), der auch die höchst relevanten Krisenjahre beinhaltet, berücksichtigt.
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die Höhe der Abgabenquote keinen signifikanten Einfluss auf die Wachstumsraten des BIP pro Kopf hat. Im zugrundliegenden Modell wurde neben dem Humankapital oder dem Level des BIP pro Kopf auch die Steuerstruktur kontrolliert. In diesem Ergebnis stimmt die Studie mit anderen einschlägigen Arbeiten überein. Auch eine umfangreiche Meta-Studie aus 2016, die Resultate aus 42 Studien betrachtet, geht nicht per se von einer signifikanten Wirkung der Abgabenquote auf das Wirtschaftswachstum aus und verweist auf ein wesentliches Problem in der einschlägigen Literatur: Arbeiten, die keine signifikanten Ergebnisse erhalten, werden eher nicht publiziert, wodurch ein verzerrtes Bild entsteht („publication bias“). Für diese Fragestellung sind aber auch nicht-signifikante Ergebnisse äußerst relevant. Eine isolierte Betrachtung der Abgabenquote ist wenig zielführend. Der öffentliche Diskurs hinkt den wissenschaftlichen Befunden leider hinterher.
Abgabenquote ist keine Belastungsquote
Dieser Befund ist mehr als einleuchtend: Die Abgabenquote spiegelt die Basis unseres Wohlfahrtsstaates wider. Die staatlichen Einnahmen sind nicht als Selbstzweck zu sehen und verschwinden nicht im Nirwana. Mit ihnen werden wichtige öffentliche Aufgaben besorgt.
Kürzt ein Staat die Ausgaben für eine Staatsaufgabe (z. B. Gesundheit oder Bildung), benötigt er für ihre Finanzierung weniger Steuern. Das verringert die Abgabenquote. Gleichzeitig müssen aber die Bürger/-innen für die gekürzten Leistungen aus ihrer privaten Brieftasche aufkommen oder werden gänzlich vom Leistungszugang ausgeschlossen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die USA. Die Kehrseite der vergleichsweise niedrigen US-Abgabenquote sind gering ausgebaute öffentliche Leistungen. Ein weiteres Beispiel findet sich im Vergleich des deutschen Pensionssystems mit dem österreichischen. Zwar zahlen unsere deutschen Nachbarn weniger öffentliche Pensionsbeiträge, was deren Abgabenquote niedriger hält. Jedoch erhalten sie auch im Schnitt um 40 Prozent niedrigere Pensionen und haben ein deutlich höheres Altersarmutsrisiko.
Die finanzielle Situation der Bürger/-innen verbessert sich durch eine Verlagerung der Finanzierung ins Private nicht. Im Gegenteil: Vielfach ist es so, dass die öffentliche Hand manches viel günstiger anbieten kann als private, gewinnorientierte Unternehmen, denn diese blicken zuallererst auf ihren eigenen Profit. Hinzu kommt, dass durch die Verlagerung ins Private weniger zahlungskräftige Bürger/-innen gänzlich um ihren Zugang zu gewissen Leistungen bangen müssen. Durch einen Rückzug des Staates würde sich die soziale Ungleichheit verschärfen, wodurch auch soziale und gesundheitliche Probleme ansteigen würden. Alles keine förderlichen Faktoren für das Wachstum!
Es kommt auf die Struktur eines Steuersystems an
Neben dem Ergebnis, dass die Höhe der Abgabenquote keinen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum hat, verweist die AK-Studie auch darauf, dass es auf die Zusammensetzung der Abgabenquote ankommt. Die Struktur des Steuersystems ist von zentraler Bedeutung, denn es lassen sich deutliche Unterschiede festmachen, was die „Wachstumsfreundlichkeit“ einzelner Steuerkategorien betrifft. Einzelne Steuern sind eher wachstumshemmend, von anderen gehen positive oder gar keine Wachstumsimpulse aus.
Eindeutig ist – und hier sind die Ergebnisse der Studie im Einklang mit der Literatur –, dass sich hohe Steuern auf Arbeit bzw. Individualeinkommen negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Eine höhere Besteuerung von Vermögen wäre demgegenüber, wie die Ergebnisse zeigen, wachstumsneutral. D. h. höhere Steuern auf Vermögen (Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern usw.) führen nicht zu einem geringeren Wirtschaftswachstum.
Entgegen der wissenschaftlichen Befunde und Empfehlungen der OECD weist Österreich im internationalen Vergleich jedoch besonders hohe Abgaben auf Arbeit auf. Demgegenüber werden in Österreich nur sehr niedrige vermögensbezogene Steuern eingehoben und auch der Beitrag von Unternehmen fällt unterdurchschnittlich aus.
Österreich braucht demnach eine Umstrukturierung im Steuersystem und keine Senkung der Abgabenquote. Eine Senkung würde am eigentlichen Strukturproblem nichts ändern. Insbesondere Steuern auf Arbeit müssen gesenkt werden, die Beiträge von Vermögenden sollten hingegen dem wohlfahrtsstaatlichen Niveau Österreichs angepasst werden, oder zumindest auf den OECD-Länder-Schnitt (1,9 Prozent des BIP im Vergleich zu 0,6 Prozent in Österreich) gehoben werden.