Täglich grüsst der Mythos der zu hohen Abgabenquote

12. Mai 2017

Wieder einmal ist die Höhe der Abgabenquote im Zentrum der Debatte: Österreich müsse dringend seine Steuern und Abgaben senken, da die Abgabenquote im internationalen Vergleich zu hoch sei.

Nur oberflächlich betrachtet klingt dies verlockend: Die Abgaben und Steuern werden gesenkt, wir können alle billiger und mehr einkaufen bzw. mehr Geld zur Seite legen. Komplett übersehen wird hierbei die Tatsache, dass das Einheben von öffentlichen Abgaben und Steuern kein Selbstzweck ist. Mit diesen Einnahmen werden wichtige sozialpolitische Leistungen finanziert, von der kostenfreien Bildung, über die Krankenversorgung für alle bis hin zur Bereitstellung der öffentlichen Infrastruktur (Straßen, Schienen, öffentliche Sicherheit etc.). Diese sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und könnten sich viele von uns allein in dieser Qualität nicht leisten.

Im Laufe des Lebens ist beinahe jedeR zwischenzeitlich NettozahlerIn oder -empfängerIn des Sozialstaats. In Phasen von Ausbildung, Krankheit oder Pension NettoempfängerIn und in Phasen der Arbeit und Gesundheit NettozahlerIn. Allein die Höhe der Abgabenquote zu diskutieren, greift insofern zu kurz, als zwei wesentliche Aspekte dadurch verloren gehen. Erstens was sind die angebotenen Leistungen und zu welcher Qualität werden sie angeboten? Zweitens lenkt die Debatte von der Verteilungsfrage ab: Wer trägt wieviel zur Finanzierung des Gemeinwohls bei?

Österreich bei Abgabenquote im Spitzenfeld

Natürlich ist die Frage von Interesse, wo Österreich im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften steht. Die österreichische Abgabenquote liegt im internationalen Vergleich im Spitzenfeld. Nach den Daten der OECD, wies Österreich für das Kalenderjahr 2015 eine Abgabenquote von 43,5 % aus; der OECD Durchschnitt lag bei 34,3 %. Österreich nimmt damit im OECD-Ranking den fünften Platz ein.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: OECD Revenue Statistics. © A&W Blog
Quelle: OECD Revenue Statistics.

Diese Darstellung bestärkt die BefürworterInnen einer Abgabensenkung. Allerdings wird hierbei wissentlich oder unwissentlich außer Acht gelassen, dass die Abgabenquote international nur bedingt vergleichbar ist. Um dies zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Definition der Abgabenquote.

Definition der Abgabenquote

Die OECD definiert die Abgabenquote als Summe aller Steuern und Abgaben, die an den Staat oder an eine seiner Körperschaften geleistet werden muss, in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zahlungen für einen konkreten Leistungsaustausch (z. B. Abwassergebühr) sind nicht darin enthalten. Dies scheint zunächst eindeutig zu sein, doch treten in vielen Fällen Abgrenzungsschwierigkeiten auf, die zu teils erheblichen Verzerrungen führen:

Staatliche Förderungen:

Die Höhe der Abgabenquote wird beeinflusst davon, wie eine Leistung organisiert ist. Werden direkte Zahlungen wie z. B. bei der Familienbeihilfe gewährt, dann sind zunächst Steuern und Abgaben vom Staat zu erheben, um diese dann wieder an die Haushalte weiterzugeben. Alternativ dazu können solche Unterstützungen auch in Form von Steuerermäßigungen gewährt werden, wie es beispielsweise Frankreich mit seinem Familiensplitting oder Deutschland mit dem Ehegattensplitting gemacht hat. Bei den direkten Zahlungen steigen die Steuereinnahmen und folglich auch die Abgabenquote, wohingegen bei Steuerermäßigungen die Abgabenquote sinkt. In beiden Fällen kommt den Personen aber eine staatliche Förderung zugute; der Unterschied liegt darin, wie diese organisiert wird.

Soziale Absicherung:

Auch hier gibt es gravierende Unterschiede. Viele Staaten setzen auf die Einhebung von Sozialversicherungsbeiträgen, welche grundsätzlich in der Abgabenquote enthalten sind. Allerdings sind verpflichtende Beiträge von der OECD-Definition nicht umfasst, wenn diese an private Versicherungen oder Pensionskassen zu leisten sind. Das Außerachtlassen der verpflichtenden oder auch der freiwilligen Zahlungen an private Institutionen birgt daher große Verwerfungen in der Aussagekraft der offiziellen Abgabenquote.

Da diese Aspekte bei einem internationalen Vergleich der offiziellen Abgabenquote völlig vernachlässigt werden, kann eine unterdurchschnittliche Höhe der Abgabenquote nicht dahingehend interpretiert werden, dass ein Staat seine Bürgerinnen und Bürger unterdurchschnittlich belastet.

Adaptierte Abgabenquote

Um die Tragweite der Problematik sichtbar zu machen, wird die Abgabenquote im Folgenden um einige Zahlungen korrigiert, die gemäß der OECD-Definition nicht Bestandteil sind, aber die betroffenen Haushalte ähnlich belasten bzw. einen ähnlichen Zweck erfüllen. Dabei werden zu den offiziellen Steuern und Abgaben folgende Beiträge hinzugerechnet:

freiwillig geleistete Sozialversicherungsbeiträge:

Diese Zahlungen sind aufgrund der Freiwilligkeit kein Bestandteil der Abgabenquote und machen insgesamt auch nur einen kleinen Teil aus. Der Anteil dieser Ausgaben ist relativ gering. Den höchsten Anteil dieser Ausgaben weist die Statistik für das Vereinigte Königreich aus (1 % des BIP). Abgesehen von der Freiwilligkeit unterscheiden sich diese Zahlungen nicht von Sozialversicherungsbeiträgen, die verpflichtend zu zahlen sind. Daher ist deren Inklusion in die adaptierte Abgabenquote gerechtfertigt.

private Ausgaben für Gesundheitsleistungen:

Die Krankenversorgung kann entweder in Form von einer umfassenden staatlichen Krankenversicherung finanziert werden oder mittels einer lediglich rudimentären öffentlichen Versorgung und hohen Selbstbehalten bzw. Eigenleistungen der Patientinnen und Patienten. Eine umfassende öffentliche Krankenversicherung bedeutet, dass entsprechend hohe Steuern bzw. Sozialversicherungsbeiträge eingehoben werden müssen, um die Finanzierung sicherzustellen. Manche Staaten setzen jedoch auf eine Krankenversorgung, die auf Eigenleistungen, sei es in Form von privaten Krankenversicherungen oder Selbstbehalten, beruht, wobei ihre Abgabenquote dementsprechend geringer ist. Nichtsdestotrotz werden Patientinnen und Patienten finanziell belastet, da sie sich bei einer Krankheit der Zahlung nicht entziehen können. Diese „privaten“ Beiträge haben teils ein sehr hohes Ausmaß. Für die USA beträgt der Anteil 8,6 % des BIP. Spitzenreiter in Europa sind die Schweiz mit 3,7 % und Griechenland mit 3,2 %. Für Österreich beträgt der Anteil 2,5 % und liegt damit im Mittelfeld.

private Ausgaben für Bildungsmaßnahmen:

Ähnlich wie bei den Gesundheitsausgaben kann ein Staat – wie etwa in Österreich – seinen Bürgerinnen und Bürgern Bildung weitgehend kostenfrei zugänglich machen oder auf hohe Eigenleistungen setzen. Im ersten Fall muss der Staat Steuern einsetzen, um die Angebote zu finanzieren, wohingegen im zweiten Fall die Kosten direkt von den BürgerInnen zu tragen sind. Private Bildungsausgaben haben insbesondere im angloamerikanischen Raum eine hohe Bedeutung. So weisen die USA einen Anteil von 3,9 % des BIP aus und das Vereinigte Königreich 3 %. In Österreich beträgt der Anteil hingegen lediglich 0,3 %.

private Beiträge zur Pensionsvorsorge:

Die Altersvorsorge kann in Form einer umfassenden staatlichen Pensionsversicherung erfolgen, die entweder steuer- oder beitragsfinanziert ist. Alternativ kann die Altersvorsorge auch privat organisiert sein. Dann müssen BürgerInnen Zahlungen an private Institutionen wie Versicherungen oder Pensionskasse leisten, um nach der Erwerbsphase finanziell versorgt zu sein. Zum Teil sind diese Zahlungen auch verpflichtend und haben ein erhebliches Ausmaß. Den höchsten Wert weist hier die Schweiz mit 8,3 % des BIP aus, gefolgt von Australien mit 8,1 %. Der Anteil in Österreich beträgt lediglich 0,3 %.

Wird die Abgabenquote um die hier beschriebenen Ausgaben, die per Definition nicht Bestandteil der offiziellen Abgabenquote sind, „bereinigt“, so ergibt sich, wie folgende Grafik zeigt, ein völlig anderes Bild:

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: OECD Revenue Statistics, OECD Health Data, OECD Finance Data, OECD Education at a Glance Anmerkung: Es liegen nicht für alle Länder für alle Kategorien die entsprechenden Daten vor. Es kommt daher zu geringen Verwerfungen. Zudem beziehen sich die Daten für die Bildungsausgaben in Ermangelung aktuellerer Werte auf das Kalenderjahr 2013. © A&W Blog
Quelle: OECD Revenue Statistics, OECD Health Data, OECD Finance Data, OECD Education at a Glance
Anmerkung: Es liegen nicht für alle Länder für alle Kategorien die entsprechenden Daten vor. Es kommt daher zu geringen Verwerfungen. Zudem beziehen sich die Daten für die Bildungsausgaben in Ermangelung aktuellerer Werte auf das Kalenderjahr 2013.

Beachtlicher ist die Erkenntnis, dass vermeintliche Niedrigsteuerländer ihre Bürgerinnen und Bürger nicht minder belasten als andere. Besonders eklatant ist dies in der Schweiz, den USA und Australien sichtbar. Betrachtet man nun die Schweiz näher, so zeigt sich, dass hier die Abgabenquote laut Definition nur 27,9 % betrug und im internationalen Vergleich deutlich im unteren Drittel lag. Es wäre demnach die siebtniedrigste Abgabenquote aller OECD-Länder. Allerdings müssen Schweizer ArbeitnehmerInnen keine Pensionsversicherungsbeiträge im Sinne der OECD-Definition bezahlen, sondern sind gesetzlich dazu verpflichtet, Beiträge an private Pensionskassen zu leisten. Rechnet man diese und die anderen beschriebenen privaten Ausgaben ebenfalls in die Abgabenquote ein, so steigt die Abgabenquote plötzlich auf 40,3 %. Somit liegt auch die Schweiz im Mittelfeld. Für die USA liegen zwar keine Daten hinsichtlich des Ausmaßes der privaten Beiträge zu Pensionskassen und -versicherungen vor, doch laut OECD sorgt nahezu die Hälfte der Erwerbsbevölkerung privat für die Pension vor. Dies legt den Schluss nahe, dass auch hier die Beiträge ein beträchtliches Ausmaß annehmen, weshalb die effektiv adaptierte Abgabenquote der USA auch über dem OECD-Schnitt liegen wird. Österreich rückt hingegen noch stärker ins Mittelfeld, der Abstand zum Durchschnitt ist mit 6,4 Prozentpunkten deutlich geringer als bei Betrachtung der offiziellen Quote.

Eine vollständige „Bereinigung“ der Abgabenquote ist gar nicht möglich

Grundsätzlich ist aber auch die hier durchgeführte „Bereinigung“ nicht ausreichend, um die finanzielle Belastung für notwendige soziale Leistungen tatsächlich vergleichen zu können. So bleibt etwa die unterschiedliche Gestaltung von Sozialleistungen, d. h. ob diese in Form von Transfers oder Steuererleichterungen gewährt werden, völlig unberücksichtigt. Würde auch hier eine Bereinigung vorgenommen werden, dann würden sich die Abstände noch weiter verkleinern, wobei dies in einigen Fällen auch Einfluss auf die Reihenfolge hätte.

Fazit

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass die Abgabenquote ein Indikator hinsichtlich des Ausmaßes der direkten Staatstätigkeit ist. Eine darüber hinausgehende Interpretation, vor allem im internationalen Kontext, ist aus den genannten Gründen problembehaftet.

Steuern und Abgaben sind jedenfalls zur Finanzierung des Sozialstaates notwendig. Diese Prämisse gilt für alle Staaten mit einem vergleichbar ausgebauten Wohlfahrtssystem. Die Betrachtung der adaptierten Abgabenquote untermauert diese Annahme, da sich im Vergleich zur offiziellen Abgabenquote ein sehr breites und homogenes Mittelfeld herauskristallisiert.

Damit wird offensichtlich, dass die Forderung bezüglich einer Senkung der Abgabenquote letztendlich nichts anderes ist, als das Ablenken von einer Debatte über die faire Beteiligung aller an der Finanzierung und den Wunsch nach einem Abbau des Wohlfahrtsstaates. Es wäre also ehrlicher und transparenter, gleich die Forderung nach Sozialabbau zu artikulieren und sich nicht hinter dem Mythos der „zu hohen“ Abgabenquote zu verstecken.