Die vorgeschlagene Mindestpension wirft einige Fragen auf. Es steht zu befürchten, dass bedürftige PensionistInnen wieder zu BittstellerInnen werden, weil der Rechtsanspruch auf erhöhte Ausgleichszulagen (AZ) wegfallen könnte. Auch Fragen aus dem Steuerrecht sind ungelöst: Es droht eine Ungleichbehandlung von Pensionen und AZ-Pensionen.
Das Pensionskapitel
Die neue Bundesregierung hat sich in ihrem 182 Seiten starken Regierungsprogramm (2018–2022) zu den vorgenommenen Arbeitsbereichen geäußert.
Obwohl das Programm insgesamt noch einer detaillierten Analyse bedarf, sind im Kapitel „Pensionen“ (S. 108 ff.) einige verfassungs- und europarechtlich bedenkliche Punkte enthalten.
So wollen die Bewegungen von Kanzler Kurz und Vizekanzler Strache die private Altersvorsorge stärken, die gewöhnlich aufgrund der Einkommenssituation nur BesserverdienerInnen zugänglich ist, den Zugang zu Invaliditätspensionen, die bekanntlich krankheitshalber und nicht auf Wunsch der Versicherten gewährt werden, durch Abschaffung des Berufsschutzes erschweren und allerlei „Expertenrunden“ zur Betrachtung der Finanzierung des Pensionssystems einsetzen, deren Ausrichtung sich nur erahnen lässt.
Unterpunkt „soziale Sicherheit im Alter“
Zu all diesen größeren Vorhaben wird im Unterpunkt „soziale Sicherheit im Alter“ der Umbau der Ausgleichszulage (AZ) angekündigt. Im Jahr 2016 gab es rund 211.000 AZ-BezieherInnen (Handbuch der österreichischen Sozialversicherung 2017, S. 88). In diese Sozialleistung, die bedarfsgeprüft gewährt wird, sind 2016 rund eine Milliarde Euro geflossen (ebenda, S. 91). Aktuell beträgt der Richtsatz für Alleinstehende rund 890 Euro, für Paare rund 1.335 Euro.
„Rechtliche Absicherung der Ausgleichszulage: Lösung der europarechtlichen Exportpflicht; Umgestaltung hin zu einem speziellen Förderungsfonds für Langzeitversicherte, der zusätzlich zur Ausgleichszulage gewährt wird (damit ist nur mehr der Förderungsfonds potenziell exportpflichtig).“
Umbau der erhöhten AZ+ in eine Förderleistung
Die neue Regierung scheint davon auszugehen, dass die Ausgleichszulage exportpflichtig sei. Exportpflicht heißt, dass die Leistung auch ins Ausland bezahlt wird, also etwa nach Deutschland. Es ist jedoch hinreichend dargelegt, dass die AZ als beitragsunabhängige Sonderleistung von der Exportpflicht ausgenommen ist (Art. 10a EWR 1408/71, OGH in 10 ObS 83/04k; gilt auch für die Nachfolgeverordnung 883/04 Art. 70 und Anhang X). Wenn also die AZ nicht exportpflichtig ist – und das sehen die Höchstgerichte auch so –, was könnte dann gemeint sein? Die AZ+ (1.000 Euro Richtsatz bei 30 Arbeitsjahren), die im Zuge des Pensionsgipfels 2016 eingeführt wurde? Wohl kaum, weil auch sie unabhängig von der Höhe der bezahlten Beiträge gewährt wird. Oder ist die AZ+, die sozialpolitisch in ihrer Versorgungswirkung einen Schritt nach vorne darstellt, damit der schleichenden Abschaffung ausgesetzt, obwohl die „neue Volkspartei“ in der vergangenen Gesetzgebungsperiode dieser zugestimmt hat? Darauf würde die Formulierung „Förderungsfonds für Langzeitversicherte“ hindeuten. Wie könnte so ein Fonds nun aussehen? Dazu gibt die nächste Passage im Kapitel Aufschluss: „Menschen mit mehr als 30 Beitragsjahren bekommen einen Sonderzuschuss, der die Differenz zwischen Ausgleichszulage und 1.000 Euro ausmacht (derzeit ca. 110 Euro)“.
Das AZ-Recht (§§ 292 ff. ASVG) ist als Rechtsanspruch ausgestaltet. Wer die im Gesetz festgelegten Bedingungen erfüllt (geringes Einkommen, rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich, d. h. bei EU- und Nicht-EU-AusländerInnen gutes Einkommen und kein Zuzug, nur um AZ zu bekommen), bekommt die AZ als sozialhilfeartige Leistung. Wenn – auch „nur“ die Differenz von AZ auf AZ+ von rund 110 Euro – nun von einem Rechtsanspruch auf eine Förderung umgebaut wird, werden bedürftige Versicherte, die 30 Jahre oder mehr eingezahlt haben, aber wenig verdienten (insbesondere Frauen), wieder zu BittstellerInnen. Eine Förderung kann einerseits an einen entsprechend dotierten Topf gebunden werden (der, wenn er ausgeschöpft ist, auch nichts mehr auszahlen kann), andererseits liegt sie im Ermessen der Behörde. Klar ist, dass die Maßnahme in Abgrenzung zum AZ-Recht einer weiteren Vollziehungs-Schiene bedarf, was mehr Bürokratie, mehr Wege für Versicherte und mehr Rechtsunsicherheit bringt.
Die neue Mindestpension
Das eben für die AZ+ und den geplanten Fördertopf ausgeführte, kann auch für die in Aussicht genommene Mindestpension von 1.200 Euro gesagt werden. Hier scheint die gleiche Mechanik am Werk – darauf deutet der Wortlaut im Regierungsprogramm hin: „Einführung einer erhöhten Mindestpension von 1.200 Euro für Menschen mit 40 Beitragsjahren: Diese bekommen einen Sonderzuschuss, der die Differenz zwischen Ausgleichszulage und 1.200 Euro ausmacht (derzeit ca. 310 Euro)“. Paare sollen zudem eine erhöhte Mindestpension von 1.500 Euro erhalten, der Wortlaut dazu: „Erhöhung des Familienrichtsatzes bei 40 Beitragsjahren von einem Ehepartner: 1.500 Euro Mindestpension bei Ehepaaren“. Rechtswissenschaftlich geschulte Feinspitze würden jetzt anmerken, dass der Begriff „Beitragsjahre“ im Allgemeinen Pensionsgesetz nicht mehr verwendet wird, dort gibt es Versicherungszeiten – und zwar solche mit und ohne Erwerbstätigkeit (§§ 3 und 4 Abs. 1 APG). Es sei den AutorInnen also unterstellt, dass sie Arbeitsjahre gemeint haben. Damit sind vermutlich nur BezieherInnen von Alterspensionen oder Invaliditätspensionen (Direktpensionen) gemeint, weil Hinterbliebene keine (für den Pensionsbezug maßgeblichen) Erwerbszeiten aufweisen. Davon profitierten überproportional Männer, vermutlich tendenziell Selbstständige und Landwirte wegen des Erfordernisses einer durchgängigen Karriere (Unselbstständige haben beispielsweise Arbeitslosenzeiten, Krankengeldbezug usw.). Nachfolgende Tabelle verdeutlicht das Potenzial von möglichen BezieherInnen (bereits bestehende AZ-Bezüge sind inkludiert):
Direktpensionen, Inländer mit >= 40 Beitragsjahren und <= € 1.200 Bruttopension | |
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Geschlecht | Anzahl |
M | rd. 24.000 |
W | rd. 12.000 |
Alle | rd. 36.000 |
Quelle: eigene Schätzungen |
Das ungelöste steuerrechtliche Problem
Die Ausgleichszulage ist – vermutlich weil es sich um eine Zuschussleistung handelt, die durch Bundesmittel aus Steuern finanziert ist – nicht der Einkommenssteuer unterworfen (§ 3 Abs. 1 Z. 4 lit. f EStG). Dies ist hinsichtlich der zwei von drei bestehenden Richtsätze (rund 890 Euro, 1.000 Euro) kein Problem, weil auch „normale“ Pensionen (d. h. Eigenpensionen in der entsprechenden Höhe) nicht der Steuerpflicht unterworfen sind. Problematischer ist es schon beim Familienrichtsatz, weil dieser mit rund 1.335 Euro auch steuerbefreit ist. Eine Eigenpension in entsprechender Höhe wäre es aber nicht (es erhält eine Person mit brutto 1.335 Euro Eigenpension netto 1.214 Euro – laut Brutto/Netto-Rechner des BMF). Bei brutto 1.500 Euro Eigenpension werden 1.333 Euro netto ausbezahlt. Damit entsteht eine beträchtliche Differenz zwischen dem angestrebten Paarrichtsatz von 1.500 Euro bei 40 Arbeitsjahren und vergleichbaren Personen, deren Pension aufgrund der eigenen (höheren) Beitragsleistung ohne AZ eine entsprechende Höhe erreicht. Dass AZ-BezieherInnen zukünftig ab Erreichen des gesetzlichen Pensionsantrittsalters (65 bzw. 60 Jahre) ein geringfügiger Zuverdienst erlaubt sein soll, ist hinsichtlich der aufgezeigten Probleme nur ein geringer Trost.
Fazit
Das neue Regierungsprogramm ist zwar grafisch und sprachlich interessant gestaltet, der Teufel liegt aber wie so oft im Detail. Durch die Hintertür eingeführt, könnten wichtige Errungenschaften zur Vermeidung von Altersarmut verloren gehen und durch Bittsteller-Konstruktionen ersetzt werden. Vor allem Frauen und insgesamt Personen mit unterbrochenen Versicherungskarrieren profitieren nicht von der neuen Mindestpension – eine Personengruppe, auf die auch in Zukunft infolge ihrer zerklüfteten Karrieren ein besonderes Augenmerk zur Armutsvermeidung gerichtet werden muss.