AUVA: Senkung des Unfallversicherungsbeitrages gefährdet Haftungsbeschränkungen für DienstgeberInnen

27. Dezember 2017

Im Regierungsprogramm (S. 114 f.) ist vorgesehen, dass durch die Absenkung des Unfallversicherungsbeitrags (UV-Beitrag) von 1,3 % auf 0,8 % eine ausschließlich zu Gunsten der DienstgeberInnen (DG) wirkende Lohnnebenkostensenkung von rund 500 Mio. Euro erreicht wird. Gleichzeitig soll das sogenannte DG-Privileg im Schadenersatzrecht beibehalten werden. Dieser Plan erscheint unüberlegt, denn mit der massiven Absenkung des UV-Beitrags fällt die Rechtfertigung für das Haftungsprivileg weg. Damit tut man vor allem den DG von Betrieben mit höherem Unfallrisiko (Baubranche, Metallbranche etc.) keinen Gefallen.

DG-Privileg in der Unfallversicherung

Die Unfallversicherung wird zurzeit ausschließlich von den DG mit einem Beitragssatz von 1,3 % des Bruttolohnes finanziert. Im Gegenzug ist die Schadenersatzpflicht der DG gegenüber den DienstnehmerInnen (DN) bei Arbeitsunfällen stark eingeschränkt. Ein DG wird nur dann schadenersatzpflichtig, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat, was praktisch nicht vorkommt oder nicht nachweisbar ist. Diese Einschränkung gilt auch für die Hinterbliebenen, wenn der Arbeitsunfall den Tod des/der Versicherten zur Folge hat. Das heißt mit anderen Worten, selbst wenn ein/eine DG grob fahrlässig den Tod eines/einer DN verursacht, ist er/sie vor privatrechtlichen Schadenersatzforderungen geschützt (§ 333 ASVG).

In der historischen Entwicklung der österreichischen – und auch der deutschen – Sozialversicherung kommt der Unfallversicherung eine politische „Bahnbrecherrolle“ zu. Die Frage der wirtschaftlichen und sozialen Absicherung von ArbeiterInnen (und deren Familien), die durch einen Arbeitsunfall erwerbsunfähig geworden waren, bekam mit der steigenden Industrialisierung immer größeres Gewicht. Durch das Reichshaftpflichtgesetz von 1871 war eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung der UnternehmerInnen für die beim Betrieb einer Eisenbahn erfolgten Körperverletzungen und Tötungen von Personen eingeführt worden. Für die Haftpflicht der UnternehmerInnen von Fabriken, Bergwerken und Steinbrüchen galt jedoch das Verschuldensprinzip. Der/die Verletzte musste das Verschulden des/der Betriebsinhabers/Betriebsinhaberin oder einer bevollmächtigten Person beweisen. Diese Beweisführung war schwierig. Alle schadenersatzrechtlichen (zivilrechtlichen) Regelungen im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen hatten langwierige und mit großer Erbitterung geführte Zivilprozesse zur Folge, die das soziale Klima zwischen DG und DN kontinuierlich verschlechterten. Die Idee einer Unfallversicherung mit gesetzlichem Beitritts- und (beiderseitigem) Beitragszwang stand für soziale Kooperation anstelle der bisherigen Konfrontation. Die Beitragspflicht der DG ließ sich als ein Äquivalent der UnternehmerInnenhaftpflicht begründen und somit politisch durchsetzen. Im Gegenzug wurde eine Haftungsbeschränkung für DG eingeführt.

Hinsichtlich der Beitragshöhe wurden die Betriebe in der Anfangszeit in 15 Betriebskategorien eingeteilt. Weiters wurden 12 Gefahrenklassen geschaffen. Jeder Gefahrenklasse waren Prozentwerte zugeordnet. Der Mindestbeitrag lag in der Gefahrenklasse I bei 0,28% des Bruttolohnes und der Höchstbeitrag in der Gefahrenklasse XII bei 5,67 %, zwischen diesen Extremwerten lagen 93 weitere Stufen. Die Gefahrenklassen wurden im Jahr 1935 abgeschafft und durch einen einheitlichen Beitragssatz ersetzt. Dies erleichterte nicht nur die Verwaltung, sondern ermöglichte auch einen solidarischen Ausgleich zwischen Betrieben und Branchen mit unterschiedlichem Gefährdungspotenzial.

Unfallversicherung deckt im Vergleich zum vollen Schadenersatz nicht alle Schäden ab

Obwohl privatrechtliche Schadenersatzforderungen bei Arbeitsunfällen weitestgehend ausgeschlossen sind, deckt die Unfallversicherung nicht alle Schäden ab. Zum einen besteht eine Mindestgrenze der Beeinträchtigung, die erreicht sein muss, um eine Unfallrente zu erhalten. Sie wird erst gewährt, wenn die Minderung der Arbeitsfähigkeit durch den Arbeitsunfall 20 % und mehr beträgt. Ein praktischer Fall macht diese Grenze deutlich: Ein Arbeitnehmer ist in einer unbeleuchteten Halle in eine ungesicherte Baugrube gestürzt und wurde für einige Stunden verschüttet. Da die daraus resultierende dauernde Erwerbsminderung inklusive Trauma durch die Verschüttung nicht 20 % erreichte, gebührt keine Rente. Trotz der fahrlässigen Handlungsweise (kein Licht in der Halle, Grube nicht gesichert) besteht keinerlei Möglichkeit auf Schadenersatz.

Zum anderen steht die Leistungsgewährung der Unfallversicherung unter dem „Ökonomiegebot“, dessen Auswirkung eine aktuelle OGH-Entscheidung (OGH 10 ObS 161/16y) illustriert. Ein Dienstnehmer hatte aufgrund eines Arbeitsunfalls den Unterschenkel verloren und begehrte im Rahmen der Unfallheilbehandlung ein sogenanntes Genium-Kniegelenk (Kosten: 61.000 Euro), mit dem er ohne größere Beeinträchtigungen seine Gehfähigkeit wiederherstellen hätte können, gewährt wurde ihm jedoch nur eine sogenannte C-Leg-Knieprothese, die um 26.000 Euro günstiger ist. Mit der C-Leg-Prothese ist jedoch die Gehbehinderung sichtbar, die Gehgeschwindigkeit um 30 % niedriger und Stiegensteigen nur mit Zwischenschritt und Nachziehen des Beines möglich. In einem zivilrechtlichen Schadenersatzprozess wäre es selbstverständlich, dass bei Verschulden des Schädigers das bestmögliche zu leisten ist, um den Gesundheitszustand des Klägers wiederherzustellen.

Diese Schlechterstellung der Versicherten im Vergleich zu einem vollen Schadenersatzanspruch ist unbefriedigend.

Leistungen sind nicht mehr durch Beiträge gedeckt

Insgesamt wurden im Jahr 2016 € 1.545 Mio Euro an Beiträgen für die Unfallversicherung eingenommen (Hauptverbands-Statistik). Davon wurden 644 Mio Euro für Renten ausgegeben, 475 Mio Euro für die Unfallheilbehandlung, 100 Mio Euro für Rehabilitation und 85 Mio Euro für Unfallverhütung. Es ist auf den ersten Blick erkennbar, dass bei einer Reduktion der Beiträge um 1/3 auf rund eine Milliarde die laufenden Leistungen nicht mehr zu decken sind. Daraus ergeben sich zwei Handlungsmöglichkeiten: entweder die Leistungen werden massiv eingeschränkt und es gibt weniger Geld für Renten, Heilbehandlungen, Unfallverhütung und Rehabilitation, oder die SteuerzahlerInnen übernehmen die Kosten für die Leistungen, die sich aus Arbeitsunfällen ergeben.

Das Haftungsprivileg für DG wird aufs Spiel gesetzt

Schon derzeit ist es so, dass das weitgehende Haftungsprivileg der DG bei Arbeitsunfällen verfassungsrechtlich kritisch gesehen wird, weil die Versicherten im Vergleich zu einem vollen Schadenersatzanspruch schlechter gestellt sind. Eine gleichwertige Versorgung kann mit dem geringen Beitrag von 1,3 % freilich nicht finanziert werden. Aber zumindest wird der gesamte Aufwand der Unfallversicherung mit diesen Beiträgen der DG gedeckt. Eine Aufrechterhaltung der Haftungsprivilegierung für DG ohne deckende Beitragsleistung durch sie erscheint verfassungsrechtlich unzulässig (Auer-Mayer in SV-Komm, § 333 ASVG, Rz. 3).

Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Infragestellung ergibt sich auch eine politisch-moralisch schiefe Optik. Denn es wird nicht leicht zu erklären sein, dass DN im Interesse des Profits von Unternehmen tätig werden, dabei verunglücken (unter Umständen durch grob fahrlässiges Außerachtlassen von Schutzvorschriften) und der Steuerzahler dafür die Kosten übernehmen soll.

Fällt das Haftungsprivileg in der Unfallversicherung für DG, wird unausweichlich über eine Unternehmerhaftpflicht – wie im 19. Jahrhundert – zu diskutieren sein, die jedoch risiko- und verschuldensabhängig ist. Für leichte Fahrlässigkeit der Unternehmer wird dann zu haften sein und Betriebe mit höherem Unfallrisiko (Baubranche, Metallbranche etc.) werden – analog der alten Gefahrenklassen – entsprechend höhere Prämien zu zahlen haben. Damit wird die Existenz von Betrieben gefährdet, der solidarische Ausgleich zwischen Betrieben und Branchen aufgehoben und vor den Gerichten werden wieder erbitterte Auseinandersetzungen über das Verschulden zu führen sein.

Fazit

Die von den DG finanzierte gesetzliche Unfallversicherung ist als Ablöse der Haftpflicht der DG konstruiert. Für ihre Beitragsleistung wurde den DG ein weitgehendes Haftungsprivileg zugestanden, das durch die massive Absenkung der Beiträge aufs Spiel gesetzt wird. Dadurch droht die Einführung einer risiko- und verschuldensabhängigen Unternehmerhaftpflicht, die den Betriebsfrieden und den Frieden zwischen den Betrieben und Branchen gefährdet. Statt über massive Beitragskürzungen sollte über das „Ökonomiegebot“ in der Unfallversicherung diskutiert werden. Hier stehen notwendige Verbesserungen für die Versorgung von Unfallopfern an, wie die zitierte OGH-Entscheidung zeigt.