Jährlich im medialen Sommerloch macht der sogenannte „Tax Freedom Day“ in den Medien Schlagzeilen: Bis zu diesem Tag – heuer soll es der 31. Juli sein – würden die SteuerzahlerInnen nur für den Fiskus arbeiten, fortan endlich für die eigene Tasche zu ihrer freien Verfügung. Was sich „Tax Freedom Day“ nennt, ist aber nichts anderes als ein propagandistischer Angriff konservativer-neoliberaler Kräfte auf den österreichischen Wohlfahrtsstaat. Zwei Dinge werden – neben den hier nicht näher diskutierten methodischen Schwierigkeiten dieser Messgröße (Bach) – wie so oft vergessen. Erstens verschwinden die staatlichen Einnahmen nicht im Nirvana, sondern es stehen ihnen wichtige Leistungen der öffentlichen Hand gegenüber. Zweitens blendet die vereinfachte Darstellung völlig aus, wie ungleich die Steuerleistung in Österreich verteilt ist und, dass eben manche relativ wenig zum Gemeinwohl beitragen.
Zum Thema Freiheit
Der Freiheitsbegriff ist schon seit dem 18. Jahrhundert ein politisches Spannungsfeld, in dem verschiedene AkteurInnen versuchen, die Definitionsmacht an sich zu reißen. Nicht umsonst singt der Satiriker Georg Kreisler in den 50iger Jahren in seinem Kapitalistenlied „Meine Freiheit muß noch lang nicht deine Freiheit sein. Meine Freiheit: Ja! Deine Freiheit: Nein!“ Die hinter dem „Tax Freedom Day“ liegende Polemik reduziert Freiheit auf folgende Interpretation: alle sind frei und können ohne Verantwortung tun und lassen, was sie wollen – frei von Verpflichtungen gegenüber der Welt und der Gesellschaft. Dabei wird natürlich ausgeblendet, dass die Debatte um die Frage der Grenzen der Freiheit und die Schädigung Dritter durch persönliche Freiheit ebenso alt ist wie der Begriff der Freiheit selbst. Ein unbeschränkter, unreflektierter und letztendlich egoistischer Freiheitsbegriff ist jedenfalls medial sehr einfach zu verkaufen. Die andere, viel wichtigere Frage, inwiefern Steuern und gerechte Verteilung Freiheit für viele Menschen erst ermöglichen wird oft unter den Teppich gekehrt. Doch erst der Sozialstaat garantiert auch für die Schwächeren in einer Gesellschaft ein Mindestmaß an Freiheit. Amartya Sen, Wirtschaftsnobelpreisträger und Harvard-Ökonom, hat in seiner Arbeit genau diesen Zusammenhang zwischen der Freiheit, nicht ökonomischen Zwängen ausgeliefert zu sein, sich zu entfalten und frei zu entscheiden, wie das eigene Leben zu gestalten ist, aufgezeigt. Und diese Freiheit kann im derzeitigen politischen System nur durch Steuern und der aus Steuergerechtigkeit entstehenden gesellschaftlichen Umverteilung von Wohlstand entstehen.
„Steuern sind der Preis, den wir für eine zivilisiert Gesellschaft zahlen.“
(Oliver W. Holmes, Richter des US-Supreme Courts 1870)
Oft als Übel diskutiert, kann also gar nicht oft genug gesagt werden, dass Steuern ein zentraler Bestandteil eines jeden Staats sind. Mehr noch: Steuern (und Sozialversicherungsbeiträge) sind die Basis unseres Wohlfahrtsstaats. Mit ihnen werden Schulen, Kindergärten und Spitäler gebaut und betrieben, Familien gefördert, Menschen im Falle von Krankheit und Arbeitslosigkeit aufgefangen und unterstützt, Pensionen im Alter finanziert und die gesamte Infrastruktur im Land am Laufen gehalten und weiter ausgebaut. Davon profitieren jedenfalls alle ÖsterreicherInnen – auch die Unternehmen und Vermögenden, von deren Lobbyisten dieser Angriff auf die Wohlfahrtsstaatlichkeit kommt. Die Frage, welchen Stellenwert Österreich als Wirtschaftsstandort hätte, gäbe es keine gut ausgebaute Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitskräfte, Rechtssicherheit und nicht unwesentliche Summen für Wirtschaftsförderung, bleibt unbeantwortet. Genau diese Infrastruktur wird aber durch die Steuerleistungen finanziert und am Laufen gehalten.
Ungleiche Lastenverteilung
Außerdem erlangen manche ÖsterreicherInnen ihre „Freiheit“ weit früher als andere. Denn die Steuerleistungen in Österreich sind keineswegs gleichverteilt. Viele lohnsteuerzahlende ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen zahlen in Relation zu ihren Arbeits- und Pensionseinkommen hohe Beiträge. Im Bereich von Kapital und Vermögen ist Österreich hingegen durchaus als Niedrigsteuerland zu bezeichnen. Die impliziten Steuersätze (durchschnittlichen Steuersätze) zeigen, dass die Steuern und Sozialbeiträge bezogen auf die gesamte Lohnsumme in Österreich 2011 knapp 41 Prozent betrugen. Die Besteuerung von Kapital und Vermögen betrug aber weniger als 24 Prozent. Auf „Arbeit“ werden also im Schnitt beinahe doppelt so viel Steuern und Abgaben auf jeden erarbeiteten Euro gezahlt, wie es Unternehmen und Vermögende auf Gewinne, Kapitalerträge und Besitz tun. Damit läuft Österreich den internationalen Trends entgegen. In den anderen Eurostaaten wird nicht nur Kapital und Vermögen mit im Schnitt rund 29 Prozent weit höher besteuert, sondern Arbeit mit rund 38 Prozent eben auch weit geringer als in Österreich. Kein Wunder, dass der Unterschied in der Besteuerung von Arbeit auf der einen Seite und Kapital und Vermögen auf der anderen Seite in Österreich mit 17,2 Prozentpunkten fast doppelt so groß ist wie im Schnitt der Eurostaaten, wo er 8,8 Prozentpunkte beträgt. (Eurostat )
Es ist also wenig zielführend den steuereinhebenden Staat als „Leviathan“ hinzustellen und pauschal zu verurteilen. Vielmehr ist die Frage nach der Steuerstruktur in den Vordergrund zu rücken. Denn Umstrukturierungen im österreichischen Steuersystem, weg von der hohen Besteuerung von Arbeit hin zu einer höheren Besteuerung von Vermögen, sind dringend erforderlich.
(Blogbeitrag wurde gemeinsam mit Laura Kepplinger, wissenschaftliche Referentin am Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, verfasst.)