Österreichs Wirtschaft im Aufschwung: Was jetzt wirtschaftspolitisch zu tun ist

01. Juni 2017

Die Stärke der Wirtschaftsbelebung übertrifft alle derzeit vorliegenden Prognosen. Erstmals seit fünf Jahren geht in Österreich die Arbeitslosigkeit merklich zurück. Das ist auch ein Erfolg einer aktiven Sozial- und Wirtschaftspolitik. Doch mehr bleibt zu tun: erstens mittels aktiver Arbeitsmarktpolitik die Arbeitslosen auf die offenen Stellen zu bringen, zweitens über höhere Mindestlöhne und merkbare Erbschaftssteuern für eine gerechte Verteilung des Wohlstandes zu sorgen und drittens die soziale Demokratie auf EU-Ebene neu zu erkämpfen.

Kräftige Industrie- und Investitionskonjunktur

Industrieproduktion, Investitionstätigkeit und Beschäftigung wachsen so kräftig, dass mittlerweile von einem selbsttragenden Konjunkturaufschwung gesprochen werden kann. Die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie weitet ihre Produktion kräftig aus, der Produktionsindex lag im März 2017 um 16 % über dem Basiswert von 2010 (Deutschland +12 %, Eurozone +6 %).

Der Anstieg von Nachfrage, Produktion und Kapazitätsauslastung zieht eine merkliche Belebung der Investitionstätigkeit der Unternehmen nach sich. Die konjunkturreagiblen Ausrüstungsinvestitionen (Maschinen, Fahrzeuge, Elektrogeräte) ziehen seit 2015 an, zuletzt so kräftig, dass sie im 1. Quartal 2017 real um mehr als 8 % über dem Vorjahresniveau lagen. Sogar die Bauinvestitionen, die lange im Minus verharrten, erholen sich nun.

Dank eines kräftigen Beschäftigungsanstiegs (zuletzt +1,6 % gegenüber dem Vorjahr) und der anhaltenden Wirkungen der Steuerreform 2016 auf die verfügbaren Einkommen weiten die privaten Haushalte die Konsumnachfrage weiter merklich aus. Insgesamt wird die heimische Wirtschaft 2017 real um mehr als 2 % wachsen und damit wahrscheinlich alle derzeit vorliegenden Prognosen übertreffen, die derzeit zwischen +1,4 % (Internationaler Währungsfonds) und +2,0 % (WIFO) liegen.

Vielfältige Impulse der Wirtschaftspolitik

Die Ursachen des Aufschwungs sind vielfältig. Jedenfalls spielen die Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar seit 2014, die anhaltende Niedrigzinspolitik der EZB, das Ende der Austeritätspolitik auf EU-Ebene (Ausnahme: Griechenland) und die merkliche Konjunkturerholung in Mittelosteuropa eine wichtige Rolle. Die wichtigsten Risiken gehen weiterhin vom labilen Banken- und Finanzsystem und politischen Unwägbarkeiten aus.

In Österreich hat auch die Bundesregierung wesentlich zu Aufschwung und Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen: Die umfangreiche Einkommensteuersenkung, der kontinuierliche Ausbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die bemerkenswerte Ausweitung der Investitions- und Forschungsförderung und die Senkung der Beiträge zum Familienlastenausgleichsfonds haben nicht nur zusätzliche Nachfrage geschaffen, sondern auch zur Verbesserung der Stimmung beigetragen.

Arbeitslosigkeit geht erstmals seit 5 Jahren zurück

Deshalb steigt die Zahl der Beschäftigten kräftig (zuletzt +64.000 gegenüber dem Vorjahr), und die Zahl der Arbeitslosen geht viel stärker zurück als derzeit prognostiziert. Während das WIFO für heuer einen Rückgang um 3.000 annimmt, betrug dieser bereits in den ersten Monaten des Jahres durchschnittlich 10.000, für das Gesamtjahr kann ein Rückgang um etwa 15.000 erwartet werden, der sich auch im kommenden Jahr fortsetzen sollte.

Angesichts der Stärke der konjunkturellen Erholung sind insgesamt expansive Maßnahmen der Budgetpolitik derzeit nicht mehr notwendig. Dennoch bleiben der Wirtschaftspolitik dringliche Aufgaben zur Reduktion der Arbeitslosigkeit und der Festigung der wirtschaftlichen Entwicklung.

Arbeitslose auf die offenen Stellen bringen

Unmittelbar geht es darum, die Vermittlung der Arbeitslosen auf die offenen Stellen zu verstärken. Die Zahl der offenen Stellen ist zuletzt auf fast 60.000 gestiegen. Das ist die entscheidende Phase, um bislang arbeitslose Personen in Beschäftigung zu bringen.

Dafür müssen ausreichend Kapazitäten im AMS für die Vermittlung bereitgestellt werden. Gleichzeitig brauchen viele Arbeitslose, vor allem jene mit längerer Vormerkdauer, zusätzliche Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen, um für die offenen Stellen fit zu sein. Die Aktion 20.000 für ältere Langzeitarbeitslose und das sogenannte Case-Management (also ein individuell zugeschnittenes Betreuungsangebot) für Langzeitarbeitslose stellen deshalb sinnvolle und zielgerichtete Initiativen dar.

Mindestlohn und Erbschaftssteuer

Die Konjunkturerholung ist jene wirtschaftliche Phase, in der verteilungspolitischer Fortschritt einfacher als sonst erreicht werden kann. Für die Unternehmen ist die Anhebung der Löhne bei steigenden Umsätzen leichter verkraftbar. Deshalb ist die rasche Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne auf 1.500 Euro ein Gebot der Stunde. Die jüngsten KV-Abschlüsse für FriseurInnen sowie in der Gastronomie und der Textilindustrie, aber auch die neue Entlohnungsrichtlinie für Angestellte von Rechtsanwälten haben in dieser Hinsicht große Erfolge gebracht, weitere müssen folgen. Die kräftige Erhöhung der Einkommen im unteren Drittel verbessert dort die soziale Lage und stärkt gleichzeitig die Konsumnachfrage.

Doch Verteilungspolitik kann nicht bei den Einkommen stehen bleiben. Thomas Piketty hat mit großem Erfolg in der ganzen Welt darauf hingewiesen, dass sie auch Vermögensbestände und deren Übertragung betreffen muss. Wenn vom hohen Wohlstand alle Bevölkerungsgruppen profitieren sollen und die demokratiepolitische Gefahr gebannt werden soll, die von oligarchischen Eliten ausgeht, dann ist ein neuerlicher Anlauf für eine Steuer auf große Erbschaften ein Gebot der Stunde. Gerade in dieser Frage wird offensichtlich, welche entscheidenden Weichen bei den Nationalratswahlen im Herbst gestellt werden.

Fortschritt in Europa

Nicht weniger wichtig ist die künftige Ausrichtung der Europapolitik. IMK-Chef Gustav Horn hat jüngst darauf hingewiesen, dass gerade auf europäischer Ebene soziale Demokratie im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung neu erkämpft werden muss. Höhere Standards für Produktion, Konsum und Verteilung können in einem riesigen und relativ geschlossenen Wirtschaftsraum wie der EU leichter politisch durchgesetzt werden. Für ein kleines Land wie Österreich ist eine fortschrittliche Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene unabdingbar, um die Früchte des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts gerecht zu verteilen. Jüngste Vorschläge zur Steuerung der europäischen Wirtschaftspolitik unter Kontrolle des Europäischen Parlaments, zum europäischen Investitionsprogramm in soziale und ökologische Infrastruktur oder zu einer Neugestaltung der Rahmenbedingungen für Entsendungen von ArbeitnehmerInnen in der EU gehen in die richtige Richtung. Doch noch viel mehr ist notwendig, um die EU in Richtung einer sozialen Union weiterzuentwickeln.

Für Österreich sind europäische Initiativen besonders wichtig, die den wirtschaftlichen und sozialen Aufholprozess in Südost- und Osteuropa stärken. Wenn sich die Arbeits- und Lebensperspektiven in Kroatien, Serbien, Bosnien, Rumänien, Bulgarien, also in wichtigen Quellländer der Migration, verbessern, dann ist das nicht nur für die dort lebenden Menschen erfreulich, sondern kann auch den heimischen Arbeitsmarkt entscheidend entlasten.

Der kräftige Konjunkturaufschwung bietet jene Rahmenbedingungen, mit denen es in Österreich und der EU leichter wird, die Weichen in Richtung wirtschaftlicher und sozialer Innovation, der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung sowie der gerechten Verteilung des hohen Wohlstandes zu stellen.