Nachhaltig mehr Wohlstand in Österreich 2019?

30. Mai 2018

Ein hoher und fair verteilter materieller Wohlstand leistet einen wichtigen Beitrag zu einem guten Leben und schafft Spielräume für sozialen Fortschritt. Allerdings ist darauf zu achten, wie dieser Wohlstand zustande kommt (Arbeitswelt) und wie nachhaltig er ist (ökologisch und ökonomisch). Zudem sind für die Lebensqualität relevante weitere Faktoren wie Gesundheit oder Bildung zu berücksichtigen. Im neuen AK-Wohlstandsbericht werden all diese Aspekte beleuchtet und bewertet und wie sie sich bis Ende des kommenden Jahres voraussichtlich entwickeln werden. Fazit: Gesellschaftlicher Fortschritt findet statt, allerdings ist er punkto ausreichend guter Beschäftigung, fairer Verteilung und einer intakten Umwelt noch ausbaufähig.

Ausgangspunkt für den neuen AK-Wohlstandsbericht war die sich international wie in Österreich zunehmend durchsetzende Erkenntnis, dass Wohlstand und gesellschaftlicher Fortschritt in der aktuellen wirtschaftspolitischen Debatte zu wenig bzw. nur verkürzt vorkommen. Dominiert wird diese nach wie vor von einem Mittel zum Zweck – einem möglichst hohen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Sind aber die materiellen Grundbedürfnisse erst einmal gedeckt und ist das Wirtschaftswachstum nicht mehr breit über die gesamte Bevölkerung verteilt oder mit negativen gesundheitlichen, sozialen und die Umwelt betreffenden Folgen verbunden, dann schwindet der Beitrag, den es für ein besseres Leben aller leisten kann.

Wie entwickeln sich Wohlstand und Wohlbefinden in Österreich?

Mit der Initiative „Wie geht’s Österreich?“ hat Statistik Austria 2012 erstmalig einen fundierten Ansatz für eine breite Messung von Wohlstand und gesellschaftlichem Fortschritt vorgelegt. Mittels eines Sets von zuletzt 31 Indikatoren wird die Entwicklung jährlich erhoben. Allerdings wird „nur“ die Frage beantwortet, wie es uns vor ein bis zwei Jahren „gegangen ist“. Gesellschaftlich relevant – und für die öffentliche Debatte interessant – ist aber vielmehr, wie es uns zukünftig gehen wird bzw. welche Weichen gestellt werden müssen, damit es uns auch bessergehen wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Antwort nicht von den ErfasserInnen der Statistik selbst kommen kann, sondern sich aus der faktenorientierten Einschätzung durch ExpertInnen in Kombination mit einer konsensorientierten politischen Zielvorstellung und -gewichtung ergibt.

Mit dem AK-Wohlstandsbericht wollen wir eine solche zukunfts- und politikorientierte Ergänzung leisten. Konzeptionell orientieren wir uns an Statistik Austria, weichen allerdings in einigen Aspekten ab. So geben wir als ArbeitnehmerInnenorganisation der Arbeitswelt mehr Gewicht und knüpfen unser Indikatorenset an die Ziele des magischen Vielecks wohlstandsorientierter Wirtschaftspolitik, sodass auch der ökonomischen Stabilität eine stärkere Bedeutung beigemessen wird als in der Fortschrittsmessung gemäß Statistik Austria.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dieses Vieleck reduzieren wir infolge auf fünf Zieldimensionen, für die wir jeweils nur fünf Indikatoren heranziehen, um die Zielerreichung zu analysieren. Diese insgesamt 25 Indikatoren stellen für uns einen Kompromiss aus verkürzter Betrachtung und Überschaubarkeit dar. Letztere wollen wir weiter steigern, indem wir den erwarteten Fortschritt in Hinblick auf ein anzustrebendes Ziel bis 2019 auf einer Skala von 0 (sehr schlechte Entwicklung) bis 4 (sehr gute Entwicklung) bewerten und zu einer Ziel- und Gesamtbewertung zusammenfassen. So wird ersichtlich, wo die größten Potenziale für eine nachhaltige Erhöhung des Wohlstandes liegen. Je Indikator – und am Ende quer über alle Bereiche – führen wir schließlich noch sozial-, wirtschafts- und umweltpolitische Maßnahmen an, mit denen unserer Einschätzung nach das Wohlstandspotenzial zu heben ist.

2019 erwarten wir gegenüber 2014 mehr Wohlstand und Wohlbefinden

Insgesamt zeigt sich für die fünf Jahre bis 2019 eine relativ günstige Entwicklung nachhaltigen Wohlstands in Österreich. Eine bereits weitgehende Zielerreichung bzw. merkliche Fortschritte sind insbesondere für die Dimensionen Lebensqualität und ökonomische Stabilität zu erwarten. Bei den Zielen „fair verteilter materieller Wohlstand“, „Vollbeschäftigung und gute Arbeit“ sowie „intakte Umwelt“ erwarten wir weniger Fortschritt.

Wohlstand, Wohlbefinden, Fortschritt, Österreich, AK © A&W Blog
Quelle: AK-Wohlstandsbericht 2018 © A&W Blog
Quelle: AK-Wohlstandsbericht 2018

Auch wenn eine Gegenüberstellung mit anderen Ländern in unserem Set nicht durchgängig möglich ist, zeigen jene Indikatoren, für die internationale Vergleiche möglich und sinnvoll sind, dass Österreich relativ gut dasteht. Das gilt insbesondere für die Ziele fair verteilter materieller Wohlstand, Lebensqualität und ökonomische Stabilität, wo die Werte für Österreich sowohl gegenüber der Eurozone, dem wichtigen Nachbarland Deutschland als auch dem in vielfacher Hinsicht ähnlichen Belgien gut liegen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass ökonomische Stabilität eine zentrale Voraussetzung für nachhaltigen Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt ist. Das Ziel „ökonomische Stabilität“ ist jenes, das am besten erfüllt wird und wo damit der geringste Handlungsbedarf besteht. Die Prioritäten sollten sich deshalb nun zu den anderen Zielen hin verschieben. Die Entwicklung im letzten Jahrzehnt zeigt, dass eine konsequente politische Prioritätensetzung auch tatsächlich mittelfristigen Erfolg bringt. Hätten wir bereits 2010 einen Wohlstandsbericht herausgegeben, hätte das Ziel „ökonomische Stabilität“ wohl noch am schlechtesten abgeschnitten – damals beschäftigten Europa die akute Bankenkrise und die beginnende Gefährdung der Eurozone insgesamt, ein mittelfristig zu hohes Defizit der öffentlichen Haushalte, ein Wechsel aus Deflations- und Inflationstendenz und ein deutlich zu niedriges Investitionsniveau. Im Sinne einer ausgewogenen wohlstandsorientierten Wirtschaftspolitik wäre es aber nun verfehlt, wenn etwa der Abbau der ohnehin bereits stark rückläufigen Staatsverschuldung oder der Ausbau des starken Exporterfolges prioritär verfolgt werden. Aufgrund der Zielkonflikte mit schlechter abschneidenden Wohlstandsdimensionen würden diese nämlich dann noch mehr ins Hintertreffen geraten.

Die Dimension Lebensqualität fasst Wohlstand wohl am unmittelbarsten. Wir fokussieren – neben dem Kernindikator zur Lebenszufriedenheit insgesamt – auf die besonders bedeutsamen Aspekte Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung, Wohnen, Gesundheit und Bildung. Wir sehen bei allen Indikatoren Fortschritte – mit Ausnahme des Wohnindikators. Gewichtiger Faktor für den positiven Befund ist das österreichische Wohlstandsmodell, allen voran der Sozialstaat mit seinen zentralen Elementen einer gut ausgebauten sozialen Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie eines umfassenden Angebots an sozialen Dienstleistungen, die wesentlich dazu beitragen, den Lebensstandard zu sichern und Armutsgefährdung zu verringern.

Herausforderungen: Beschäftigung, Verteilung, Umwelt

Beim Ziel „fair verteilter materieller Wohlstand“ sind die Abzüge vor allem auf die große Lücke zwischen Frauen- und Männereinkommen und auf die – bei historischer Betrachtung auf recht hohem Niveau – praktisch gleichbleibende Ungleichheit der Einkommensverteilung sowie die anhaltend hohe Vermögenskonzentration zurückzuführen. Hingegen entwickeln sich Arbeitsproduktivität und verfügbare Einkommen pro Kopf nach Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise besonders günstig. Die Krise führte zunächst zu einer Schwächung der Stundenproduktivität und machte eine Konsolidierung des krisenbedingt hohen Budgetdefizits notwendig, die in den Jahren 2011 bis 2014 negativ auf die verfügbaren Einkommen wirkte. Künftig gilt es, innerhalb des Ziels verstärktes Augenmerk auf die Verteilungsaspekte zu legen. Wie die neuesten Forschungsergebnisse zeigen, steht eine egalitäre Verteilung auch nicht im Widerspruch zu insgesamt wachsendem Wohlstand, sondern erhöht diesen: Die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die gesellschaftliche Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen erhöht nämlich die Produktivität.

Für den Bereich „Vollbeschäftigung und gute Arbeit“ haben wir folgende Indikatoren herangezogen: die Erwerbstätigenquote, die Unterbeschäftigung, die Qualität der Arbeit, nicht vergütete Mehrarbeit/Überstunden sowie den Gender Gap bei der nicht bezahlten Arbeit. Eine unzureichende Entwicklung sehen wir bei der Unterbeschäftigung, die zwar aktuell einen rückläufigen Trend verzeichnet, aber nach wie vor sehr weit vom Ziel der Vollbeschäftigung entfernt bleibt. Während einige mehr arbeiten, als sie eigentlich wollen, stecken andere in Teilzeitarbeitsverhältnissen fest. Insbesondere Frauen sind weiterhin mit Vereinbarkeitsproblemen konfrontiert, leisten sie doch den überwiegenden Teil der nicht bezahlten Reproduktionsarbeit und arbeiten daher seltener in bezahlter Vollzeit als Männer. Positiv entwickeln sich die Erwerbstätigenquote und qualitative Aspekte der Arbeit.

Zur Operationalisierung des Ziels einer intakten Umwelt beziehen wir uns gleichermaßen auf Fragen ökologischer Nachhaltigkeit wie auf umweltbezogene Lebensqualität und Gesundheitschancen. Damit möchten wir verdeutlichen, dass auch die Dimension einer intakten Umwelt sozial(politisch)e Herausforderungen in sich birgt. Sowohl beim Zugang zu grundlegenden Ressourcen – wie Energie oder Grund und Boden – als auch bei der Betroffenheit von gesundheitsschädigenden Umweltbelastungen stellen sich Fragen einer gerechten Verteilung. Auch wenn es in den letzten Jahren in einigen entscheidenden Aspekten durchaus Fortschritte gegeben hat, gibt es weiteren Handlungsbedarf insbesondere bei den – vor allem durch den fossilen Energieverbrauch verursachten –Treibhausgasemissionen und bei der Lärmbelastung.

Gesellschaftlicher Fortschritt durch effektives Maßnahmenbündel

Der Bericht zeigt, dass wohlstandsorientierte Maßnahmen vor allem die Arbeitslosigkeit reduzieren und die Qualität der Arbeitsplätze fördern, die Umwelt sowohl im Interesse von Klimaschutz und Ressourcenschonung wie auch der Lebensbedingungen der ArbeitnehmerInnen verbessern und eine faire Verteilungssituation schaffen sollen – ohne die hohe ökonomische Stabilität zu gefährden. Über die indikatorenspezifischen Schlussfolgerungen hinaus scheinen folgende Maßnahmenbündel besonders effektiv für die Entwicklung des Wohlstandes: Ein weiterer Ausbau sozialer Dienstleistungen (Kinderbetreuung, Ganztagesschulen, Bildungsangebote, Sozialarbeit und Pflege) und eine verstärkte öffentliche Investitionstätigkeit können die Arbeitslosigkeit reduzieren und – da in Österreich vor allem über die Ausgabenseite des Staates umverteilt wird – die Verteilungssituation verbessern. Abhängig von der genauen Verwendung der Investitionen kann zudem die Umweltsituation entscheidend verbessert werden. Innovative Formen der Arbeitszeitverkürzung würden die Lebensqualität weiter verbessern und zumindest auch die Erreichung des Ziels „Vollbeschäftigung und gute Arbeit“ unterstützen. Alle drei Maßnahmen müssen durch stabile Institutionen und europäische Initiativen für international höhere Sozial- und Umweltstandards unterstützt werden.

Dieser Beitrag basiert auf dem ausführlicheren AK-Wohlstandsbericht, zu dem auch eine zweiseitige Übersicht vorliegt.