Das Thema Arbeitszeit erlebt seit geraumer Zeit eine Renaissance. Dies erscheint angesichts der derzeitigen multiplen Krise nicht verwunderlich, verknüpft das Thema doch so Verschiedenes wie Beschäftigung, Gendergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Lebensqualität und Gesundheit. Relativ wenig Aufmerksamkeit bekam bisher die betriebliche Praxis: Unter welchen Bedingungen funktioniert Arbeitszeitverkürzung gut und welche Hürden müssen überwunden werden?
Pioniere des Acht-Stunden-Tags
Auf die Idee, kürzere Arbeitszeiten einzuführen, sind schon frühere Generationen, Gewerkschaften und VordenkerInnen gekommen. So war etwa Heinrich Freese einer der ersten Fabrikanten Deutschlands, der 1891 nach einer Testphase in seinen Jalousien- und Holzpflasterstein-Werken mit Zustimmung der Belegschaft den Acht-Stunden-Tag einführte. Die ZeitarbeiterInnen erhielten vollen Lohnausgleich, während sich die AkkordarbeiterInnen mit einem höheren Stücksatz begnügen mussten.
Die Arbeitsproduktivität stieg derart an, dass niemand finanzielle Einbußen zu verzeichnen hatte und die Krankenstände gingen deutlich zurück. Ähnliches erlebte Ernst Abbe im Frühjahr 1900 in den Carl-Zeiss-Werken, wo der Acht-Stunden-Tag noch vor Ablauf einer einjährigen Testphase fix verankert wurde. Auch hier stieg die Produktivität überproportional an, was Abbe dazu veranlasste, Arbeitszeitverkürzung forthin als entscheidende Maßnahme zum Erhalt der deutschen Wettbewerbsfähigkeit zu propagieren.
Zeitsprung ins Jahr 2014: Der Stadtrat in Göteborg beschließt ein Pilotprojekt, um die Effekte eines Sechs-Stunden-Tags in einem städtischen Altenpflegeheim zu evaluieren. Die Testphase startete im Februar 2015 und wurde nunmehr bis Ende 2016 verlängert. Erste Ergebnisse weisen in dieselbe Richtung: die Krankenstände der PflegerInnen sind (entgegen dem allgemeinen Trend in Göteborg) rückläufig, Arbeitsqualität und -zufriedenheit haben zugenommen. Einziger Wermutstropfen: die Kosten des Projekts sind bisher noch nicht evaluiert. Aber wie sieht der derzeitige Stand in diesen Fragen in Österreich aus?
Arbeitszeitmodelle „Made in Austria“
Ein aktuelles Forschungsprojekt der WU Wien zielt darauf ab, anhand von qualitativen Interviews mit Beschäftigten und BetriebsrätInnen in sieben Unternehmen aus verschiedenen Branchen Erkenntnisse aus der österreichischen Arbeitszeitpraxis zu gewinnen. Die Bandbreite der Arbeitszeitmodelle ist groß und reicht von der Einführung einer Vier-Tage-Woche über die betriebliche Verankerung subventionierter Verkürzungsmodelle (Freizeitoption, Solidaritätsprämienmodell) oder die Einführung eines neuen Schichtplans bis hin zur Ermöglichung individueller Arbeitszeitlösungen. Die hier genannten Ergebnisse zeigen durchaus gemeinsame Muster.
Anstoß für eine Verkürzung der Arbeitszeit gaben in den befragten Unternehmen meist konkrete Probleme, wie etwa die Unzufriedenheit der Belegschaft mit den aktuellen Arbeitsbedingungen, steigende gesundheitliche Belastungen und Krankenstände, die Entgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit oder hohe Fluktuationsraten. Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spielten teilweise eine Rolle. Interessant ist, dass dabei sowohl der Abschwung in der Wirtschaftskrise als auch die Notwendigkeit einer Produktionsausweitung als Auslöser für eine Veränderung genannt wurden.
Produktivität, Attraktivität und arbeitnehmerInnenfreundliche Flexibilität
Natürlich gibt es bei Arbeitszeitfragen Interessensunterschiede zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen. Umso spannender ist daher die Frage: Welche Faktoren begünstigen die Umsetzung neuer Arbeitszeitmodelle?
Von Seiten der ArbeitnehmerInnen standen Stichworte wie Zeitsouveränität und Wertewandel im Zentrum. Der Wunsch nach arbeitnehmerInnenfreundlicher Flexibilität, um kurzfristig auf private Anforderungen reagieren zu können sowie die Möglichkeit, Zeitguthaben für Sabbaticals oder längere Freizeitblöcke anzusparen, waren wichtige Aspekte. Zudem dürfte der zunehmende Stellenwert von Freizeit, der vor allem in der jüngeren Generation verbreitet ist, wesentlich zur Umsetzung kürzerer Arbeitszeiten beitragen.
Auf Unternehmensseite spielte die Aussicht auf höhere Arbeitsproduktivität und Kostenreduktionen (bspw. durch reduzierte Krankenstände) sowie mögliche Image-Gewinne eine wichtige Rolle. Durch das Angebot arbeitnehmerInnenfreundlicher Arbeitszeit-Modelle steigt die Attraktivität der ArbeitgeberInnen. Dies ist insbesondere im Hochqualifizierten-Bereich relevant, in dem Firmen teilweise unter einem Fachkräftemangel leiden.
Zusätzlich waren starke Betriebsräte, das Vorliegen externer Unternehmensevaluierungen und Umfragen sowie institutionell verankerte Modelle (Freizeitoption, Solidaritätsprämienmodell) wichtige Faktoren, die die Umsetzung neuer betrieblicher Arbeitszeitmodelle vorantrieben.
Kosten, Zahlen und Intensivierung
Neben fördernden Faktoren gab es natürlich auch Bedenken und Hürden. Für die Belegschaft standen an vorderster Stelle die Befürchtung von Einkommensverlusten – und zwar nicht nur hinsichtlich des monatlichen Einkommens, sondern auch bezüglich wegfallender Überstundenzuschläge oder reduzierter Pensionszahlungen. Ebenso erwartbar – insbesondere im Angestellten-Bereich – waren Bedenken bezüglich einer Intensivierung der Arbeit. Daneben spielte auch ein gewisser Widerwille gegenüber der Änderung gewohnter Arbeitszeitabläufe eine Rolle, was vor allem unter älteren Beschäftigten beobachtbar war.
Von Unternehmensseite wurden vornehmlich kostentechnische Einwände vorgebracht, da ein voller oder teilweiser Lohnausgleich, die Reorganisation von Arbeitsabläufen oder die Einstellung von zusätzlichem Personal mit einem finanziellen Aufwand verbunden ist. Überraschend war, dass auch die Verschlechterung von sog. „Kopfzahlen“, also der Umsatz pro MitarbeiterIn, vor allem für große Unternehmen eine relevante Entscheidungsgröße im Kontext einer Arbeitszeitverkürzung zu sein scheint.
Nägel mit Köpfen
Trotz zahlreicher Widerstände wurden die neuen Arbeitszeitmodelle in den untersuchten Unternehmen schlussendlich fix verankert. Als vielleicht wichtigster Faktor kristallisierte sich die Art und Weise der Umsetzung heraus. Demokratische Aushandlungsprozesse, Abstimmungen, die Bereitstellung von Informationen und persönliche Gespräche, oder die Durchführung von Pilotphasen ermöglichten es, potentiellen Konflikten bereits vorab zu begegnen.
Entscheidend für die längerfristige Beibehaltung der neuen Arbeitszeitmodelle war auch, dass diese sowohl für Beschäftigte als auch für die Unternehmen Vorteile brachte. Während die Belegschaft in den Genuss längerer Freizeitblöcke, gestiegener Arbeitszufriedenheit oder verbesserter Work-Life-Balance kam, profitierten die Unternehmen von höherer Arbeitsmotivation und einem verbesserten Image, während Kostenexplosionen und Chaos ausblieben.
Fazit
Zusammenfassend lassen sich aus diesen Ergebnissen also durchaus interessante Erkenntnisse schließen. Kurzgefasst: Probieren geht über Studieren und ein partizipativer Umsetzungsprozess hilft über die meisten Bedenken auf beiden Seiten hinweg. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – anfängliche Skepsis wird oft durch konkrete Erfahrung und persönliches Erleben entkräftet. Zwei Lektionen, die offenbar auch schon vor über 100 Jahren galten.