Seit der Wirtschaftskrise, aber vor allem angesichts der politischen Umwälzungen der letzten Jahre (Stichwort Brexit, erhöhter Zuspruch zu rechten und rechtspopulistischen Parteien), ist die Zunahme sozialer Ungleichheit (wieder) im Zentrum öffentlich-politischer Debatten angelangt. Wie wir im neuesten unabhängigen Wachstumsbericht (iAGS) für die Eurozone zeigen, sind die sozialen Probleme jedoch fernab von gelöst. Gerade angesichts der verbesserten ökonomischen Rahmenbedingungen gilt es, diese nun in den Mittelpunkt der europäischen Politik zu rücken.
Gemeinsam mit zahlreichen KollegInnen aus internationalen Forschungsinstituten gibt die AK Wien jährlich einen „Gegenbericht“ (independent annual growth survey – iAGS) zum offizielle Wachstumsbericht der EU-Kommission (annual growth survey – AGS) heraus und weist auf aktuelle, soziale und ökonomische Probleme in der EU aus Sicht der ArbeitnehmerInnen hin.
Im neuesten iAGS-Bericht zeigen wir u. a., dass die Arbeitslosenrate in der EU zwar langsam abnimmt und schrittweise Vorkrisenniveau erreicht, jedoch weiterhin deutliche Unterschiede nach Ländern bestehen (z. B. eine hohe Arbeitslosenrate in Griechenland oder Spanien und eine geringere Arbeitslosenrate in Deutschland oder Österreich). Auch fällt es besonders vulnerablen sozialen Gruppen (wie jungen ArbeitnehmerInnen oder Personen mit formal schlechteren Qualifikationen) weiterhin schwer, am europäischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen; sie können vom wirtschaftlichen Aufschwung daher kaum profitieren.
Der generelle Rückgang der Arbeitslosigkeit ist zwar prinzipiell erfreulich, dennoch nimmt die Einkommensungleichheit in vielen europäischen Ländern (wie z. B. in Zypern oder Spanien) weiter zu. Dazu trägt u. a. die „bad jobs recovery“ bei, also die Tatsache, dass nach der Krise teils keine gut bezahlten Vollzeitstellen geschaffen wurden, sondern neue Jobs oft prekär bzw. Teilzeitjobs sind. 2016 galt daher auch rund jeder und jede fünfte europäische ArbeitnehmerIn als unterbeschäftigt, d. h. ohne Job, aber bereit zu arbeiten und/oder bereit mehr Stunden zu arbeiten, als sie das bislang machten.