Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Eurozone verbessert sich seit dem Vorjahr stetig, auch wenn die Krisenfolgen noch nicht überwunden sind. Wie wir im diesjährigen unabhängigen Wachstumsbericht (iAGS) zeigen, wird die Arbeitslosenquote voraussichtlich 2019 wieder den Stand von 2007 erreichen. Die umfangreichen Probleme bei Jobqualität und Einkommensverteilung werden hingegen dann noch immer bestehen.
Der Rückgang der Arbeitslosigkeit hängt – neben der Unterstützung durch Geld- und Budgetpolitik – vor allem von der Frage ab, ob die Einkommens- mit der Wirtschaftsentwicklung Schritt halten kann: Nur wenn die Löhne in der Eurozone wieder angemessen zunehmen, kann es zu einem anhaltenden Aufschwung kommen, der alle Menschen erreicht.
Seit 2015 wächst die Wirtschaft der Eurozone mit etwa real 2 % pro Jahr. Im iAGS – einem gemeinsamen Projekt mit OFCE, IMK, ECLM und AK Wien mit dem Ziel, Alternativen zur wirtschaftspolitischen Ausrichtung der EU-Kommission zu entwickeln – gehen wir (weitgehend im Einklang mit der EU-Kommission) davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt. 2017 wird erstmals seit 2007 jede Volkswirtschaft der Eurozone mit zumindest 1 % wachsen.
Diese Stabilisierung bleibt jedoch fragil: Sie basiert auf einer stark expansiven Ausrichtung der Geldpolitik der EZB und dem weitgehenden Ende der Kürzungspolitik in den nationalen öffentlichen Haushalten. Jetzt gilt es wirtschaftspolitisch die Weichen für einen Aufwärtstrend zu stellen, der bei allen Menschen ankommt und somit selbstverstärkend wird. Wirtschaftspolitische Ansatzpunkte hierfür sind eine vernünftige Budgetpolitik und eine produktivitätsorientierte Lohnentwicklung.
Wirtschaftliche Entwicklung und Staatsfinanzen sind zwei kommunizierende Gefäße. Für die EU insgesamt gilt, dass sich die öffentlichen Einnahmen parallel zur Wirtschaftsleistung entwickeln, während die Ausgaben konjunkturell nur wenig reagibel sind (siehe Tabelle 4.1 im PDF). Läuft die Wirtschaft gut, verbessert sich das Budget deshalb in der Regel automatisch. Versucht man umgekehrt das Budget über die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung beeinträchtigende Ausgabenkürzungen zu sanieren, wird das zumindest zum Teil durch Einnahmenausfälle konterkariert. Diese Zusammenhänge mussten in der EU erst schmerzhaft gelernt werden. Erst nach der neuerlichen Rezession 2012/13 wurde die Austeritätspolitik langsam abgeschwächt.
2015 war dann das erste Jahr ohne dämpfende Wirkung der Budgetpolitik in der Eurozone. In der Folge wirkt diese sogar leicht konjunkturstärkend. Mit der wirtschaftlichen Normalisierung begann die krisenbedingt hohe Staatsverschuldung zu sinken. Mit einem prognostizierten Wert von 1,1 % des BIP im Jahr 2017 ist das Defizit der öffentlichen Haushalte bereits sehr niedrig.
Es besteht allerdings die Gefahr, dass die Budgetpolitik erneut zum Belastungsfaktor wird. Addiert man die mit den europäischen Budgetregeln kompatiblen mittelfristigen Budgetziele der einzelnen Staaten der Eurozone, so ergibt sich eine BIP-gewichtete Obergrenze für das strukturelle Defizit von lediglich 0,3 % des BIP. Folglich müsste zukünftig noch mehr gekürzt werden, auch wenn das sozial- und wirtschaftspolitisch kontraproduktiv wäre.
Die Europäische Kommission ist sich dieses Widerspruchs bewusst. Statt ihn jedoch durch einen Vorschlag zur Lockerung der Budgetregeln aufzulösen, bleibt sie in ihrem kürzlich vorgestellten Herbstpaket im Rahmen des europäischen Semesters bei ihrer schizophrenen Haltung: Einerseits empfiehlt sie der Eurozone insgesamt eine neutrale Budgetpolitik, andererseits rügt sie den Großteil ihrer Mitgliedstaaten (darunter auch Österreich) dafür, dass ihre Budgetpläne für 2018 hinter den Vorgaben gemäß Budgetregeln zurückbleiben bzw. ein Verfehlungsrisiko aufweisen.
Produktivitätsorientierte Lohnentwicklung als zentrale Frage
Relevanter als die Budgetpolitik ist derzeit allerdings die Lohnentwicklung. Diese war in den letzten Jahren von einem neuen lohnpolitischen Interventionismus insbesondere in der Peripherie geprägt. Dieser sollte Importe bremsen und Exporte beschleunigen, damit die hohen Auslandsverschuldungsquoten abgebaut werden können. Dies führte aber zu fatalen Folgen für den Großteil der Menschen in Spanien und anderen Krisenländern. Die Realeinkommen – und damit Konsummöglichkeiten – schrumpften, was zur Einschränkung des Lebensstandards, Deflationstendenzen und hoher Arbeitslosigkeit führte. Obendrein erschwerte die weitgehend stagnierende nominelle Wirtschaftsleistung die Möglichkeit zum Schuldenabbau.
Während ähnlich wie in der Budgetpolitik lange von „notwendigen“ Anpassungen die Rede war, nähert sich die Europäische Kommission auch in dieser Frage unserer im iAGS vertretenen Analyse an. Erstmals kritisiert sie heuer die in der Eurozone insgesamt zu schwache Lohnentwicklung, die zunehmend hinter der verteilungsneutralen und preisstabilen Benchmark (im letztjährigen iAGS als „goldene Lohnregel“ bezeichnet, die der in Österreich gängigen Benya-Formel bzw. produktivitätsorientierten Lohnpolitik entspricht) zurückbleibt. Ablesen lässt sich das an der Entwicklung der nominellen Lohnstückkosten (nominelle Lohnsumme durch BIP-Volumen):