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Lohnerhöhungen sind jedoch eine Voraussetzung für die Stärkung der Kaufkraft und damit der Binnennachfrage. Dadurch kann die wirtschaftliche Erholung vor allem in den süd- und osteuropäischen Mitgliedstaaten und damit auch der Zusammenhalt der EU gestärkt werden. Gleichzeitig kann damit die steigende Einkommensungleichheit innerhalb der Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten gemildert werden.
Das Dogma der Lohnzurückhaltung hat zu keinem Wachstum geführt und keine Beschäftigung geschaffen. Hingegen hat es den internationalen Konzernen 2016 einen Profit von 2.800 Milliarden Dollar gebracht, wobei mangels Börsennotierung die Gewinne global agierender chinesischer Unternehmen sowie von Staatsfonds fehlen. Selbst Mario Draghi kam zum Schluss, dass europäische Beschäftigte eine Lohnerhöhung brauchen. Die richtige Antwort für die Zukunft ist daher Wachstum, das auf Innovation, nicht aber auf niedrigen Arbeitskosten basiert. Ein falsches Konzept wäre es, die Mobilität durch Aufhebung der ArbeitnehmerInnenfreizügigkeit einzuschränken und Arbeitsmärkte abzuschotten. Vielmehr müssen Konzepte gegen den „Braindrain“ (Talenteschwund) in den Herkunftsländern entwickelt werden.
380 Jahre für den gleichen Lohn? „Pay Rise“ und Habgier der Unternehmen („Corporate Greed“) waren daher die Themen einer Konferenz von Europäischem und Internationalem Gewerkschaftsbund im September 2017 in Bratislava. Das Gastland Slowakei bietet dafür gerade ein anschauliches Beispiel für das Motto der Kampagne: Die slowakische Wirtschaft wächst, das Beschäftigungsniveau ist hoch, ebenso die Produktivität. Wenn aber der Mindestlohn in dem Tempo steigt wie bisher, braucht die Slowakei 380 Jahre, um das Niveau bspw. Dänemarks zu erreichen. Auch die Verteilung des BIP ist extrem ungleich. Ergänzt wird dieser Umstand noch durch die ungleiche Entwicklung zwischen der Ost- und Westslowakei.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass ArbeitnehmerInnen in Nord- und Westeuropa besser bezahlt werden, liegt aber auch darin, dass dort der Schutz durch Tarifvertragsdeckung deutlich höher ist und die Grundsätze der industriellen Beziehungen gesetzlich abgesichert sind – ein wichtiger Faktor für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg unter anderem in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und den nordeuropäischen Ländern.
Situation der osteuropäischen ArbeitnehmerInnen Die Lage der ArbeitnehmerInnen ist katastrophal. Dies wurde von den GewerkschaftsvertreterInnen auf der Konferenz anschaulich dargestellt. ArbeitnehmerInnen müssen vermehrt Kredite aufnehmen, um die laufenden Lebenshaltungskosten abdecken zu können. Falls es überhaupt einen Mindestlohn gibt, so reicht dieser nicht zum Leben aus. Die Lohnpolitik der internationalen Konzerne treibt außerdem einen Keil zwischen die Beschäftigten sowohl innerhalb eines Landes als auch zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten. So kam es bei Škoda zur Gründung einer neuen Gewerkschaft, praktisch einer Betriebsgewerkschaft, durch die der slowakische Dachverband KOZ einen schmerzlichen Mitgliederverlust, und zwar bei den zahlungskräftigsten Mitgliedern, erlitt. Škoda-ArbeitnehmerInnen verdienen rund 1.800 Euro, während der Mindestlohn in der Slowakei rund 460 Euro pro Monat beträgt.
Die neue Betriebsgewerkschaft fordert nun gleichen Lohn für gleiche Arbeit im gleichen Unternehmen. Da die Produktivität in der Slowakei 80 Prozent der deutschen Produktivität erreicht, verlangen die slowakischen Beschäftigten von Škoda eine entsprechende Gehaltserhöhung. So führt die Lohnpolitik global agierender Konzerne zunehmend zur Spaltung der ArbeitnehmerInnen in der Slowakei, aber auch zu einem Wettbewerb zwischen den Belegschaften verschiedener Mitgliedsländer. Demgegenüber ist IndustriAll (europäischer Dachverband der Metallgewerkschaften) bestrebt, die Organisation der Branchengewerkschaften in der Industrie zu stärken.
Auch IKEA nützt die Lohnunterschiede in Mitglied- und Drittstaaten aus. Die Zahlen, die ein holländischer LKW-Lenker anführt, sprechen für sich: Während IKEA einem holländischen LKW-Fahrer 2.000 Euro bezahlt, bekommt der polnische 500 Euro und der moldawische 150 Euro im Monat für dieselbe Arbeitsleistung.
Situation der Gewerkschaften Aus dieser Zustandsanalyse sind die Probleme der Gewerkschaften, sich zu solidarisieren, einfach abzuleiten. In den Mitgliedstaaten, wo es den Beschäftigten (derzeit noch) besser geht, sind Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnen zur Solidarität mit ihren osteuropäischen KollegInnen angehalten, um deren Arbeitsbedingungen und Entgelte zu verbessern.
Auch wäre es erforderlich, auf europäischer Ebene eine harmonisierte Mindestlohnschwelle einzuführen. Eine EGB-Resolution schlägt 60 Prozent des Medianeinkommens bzw. 60 Prozent des Durchschnittseinkommens im jeweiligen Mitgliedstaat vor.
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In der französischen Nationalversammlung wurde ein 4-Stufen-Konzept vorgestellt, wie eine Umsetzung im Rahmen des europäischen Institutionengefüges erfolgen könnte. Der erste Schritt dazu ist bereits getan, indem ein europäischer Mindestlohn in die Europäische Säule sozialer Rechte als einer der 20 Grundsätze aufgenommen wurde. Für die zukünftigen Wettbewerbsräte könnte ein europäischer Mindestlohn als Priorität aufgenommen werden, unterstützt von einer nationalen Instanz unter Beteiligung der Sozialpartner, die Empfehlungen zur Erhöhung des Mindestlohnes abgibt. Eine jährliche europäische Lohnkonferenz könnte dann zu einem integrierten Bestandteil des makroökonomischen Dialogs werden. Schließlich könnte die Lohnfrage einen zentralen Bestandteil des Europäischen Semesters bilden und die Empfehlungen an die Mitgliedstaaten könnten um die Lohnfrage ergänzt werden.
Mit der dadurch erzielten Konvergenz würden die Löhne Schritt für Schritt aus dem Wettbewerb genommen werden. Genau das ist das Ziel des Europäischen Gewerkschaftsbundes: Das Narrativ „Lohnerhöhung vernichtet Arbeitsplätze“ muss durchbrochen werden. Dies kann durch Abbau der Lohndifferenz zwischen Ost- und Westeuropa erreicht werden. Allerdings reicht gewerkschaftliche Solidarität dafür nicht aus, sondern es bedarf einer gesetzlichen Basis. Dies war nach dem 2. Weltkrieg in den Mitgliedstaaten der Fall, in denen heute noch eine funktionierende Sozialpartnerschaft besteht. Insofern wurden bei der Transformation im Zuge der Aufnahme der osteuropäischen Länder in die EU schwere Fehler begangen. Diese wurde dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen, ohne auf dem Gebiet der Sozialpartnerschaft geeignete Strukturen mit EU-Hilfe zu etablieren. Das muss dringend nachgeholt werden. Eine bessere Flächendeckung bei Tarifverträgen ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.
Mit einem solchen Maßnahmenbündel könnte das für den europäischen Zusammenhalt schädliche Lohn- und Sozialdumping der Mitgliedstaaten wirksam bekämpft werden.
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