Die schweren wirtschaftlichen Folgen der COVID-Krise verleihen der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens neuen Auftrieb. Die Ziele der fortschrittlichen BefürworterInnen des Grundeinkommens sind hehr. Sie können mit einer Verbesserung der Mindestsicherung und dem Ausbau sozialer Dienstleistungen, besserer Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik, kürzeren Arbeitszeiten und höheren Steuern auf Vermögen erreicht werden.
Argumente für ein bedingungsloses Grundeinkommen
In der COVID-Krise verlieren Menschen von einem Tag auf den anderen Beschäftigung und Einkommen. Neuerlich wird ein bedingungsloses Grundeinkommen als Möglichkeit genannt, um diese soziale Krise zu überwinden. Arbeitslose haben Anspruch auf Arbeitslosengeld, doch sie verlieren damit fast die Hälfte des Nettoeinkommens. Ein-Personen-Unternehmen und kleine Selbstständige fallen oft um ihr gesamtes Einkommen um, und der von der Bundesregierung aufgelegte Hilfsfonds erweist sich in der Abwicklung als bürokratisch und langwierig. Würde nicht ein Grundeinkommen einfach und rasch helfen?
Fortschrittliche BefürworterInnen des bedingungslosen Grundeinkommens nennen drei grundsätzliche Argumente:
- Die Gleichzeitigkeit von hohem Reichtum und Armut zeigt, dass Armut verhindert werden kann. Es empört, dass dies nicht geschieht. Ein Grundeinkommen wird als Möglichkeit gesehen, gesellschaftlichen Reichtum für die Verhinderung von Armut zu nutzen.
- Arbeitslosigkeit gefährdet gesellschaftliche Integration und soziale Absicherung. Schon heute sind Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit hoch, es besteht die berechtigte Befürchtung, COVID-Rezession, Digitalisierung und Klimakrise könnten neue Langzeitarbeitslosigkeit schaffen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde soziale Absicherung auch bei Arbeitslosigkeit garantieren.
- Erwerbsarbeit prägt Gesellschaft wie Individuen in Bezug auf Status, Ansehen und Sicherheit. Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann den Zwang zur Erwerbsarbeit mindern, die Verhandlungsmacht der Einzelnen am Arbeitsmarkt stärken und allen Menschen eine neue Freiheitsperspektive eröffnen.
Alle drei Aspekte sind für eine emanzipatorisch ausgerichtete Politik wichtig und bedenkenswert. Dem fortschrittlich konzipierten Projekt des Grundeinkommens etwa der katholischen Soziallehre steht ein hart reaktionäres Konzept eines Grundeinkommens gegenüber, wie es von neoliberalen Ökonomen wie Milton Friedman und Friedrich August von Hayek verfochten wurde. Es sieht ein kleines Grundeinkommen bzw. eine negative Einkommensteuer als vollständigen Ersatz für den umfassenden Sozialstaat an.
Finanzierbarkeit: Grundeinkommen oder Sozialstaat?
Für ÖkonomInnen stellen sich neben den Fragen nach der Erreichbarkeit gesellschaftlichen Fortschritts immer auch jene der Finanzierung und der Opportunität. Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziell möglich? Rechnet man mit 1.000 Euro pro Kopf und Monat als bedingungsloses Grundeinkommen, dann ergeben sich in Österreich Kosten von etwa 107 Mrd. Euro pro Jahr. Derzeit betragen die staatlichen Sozial- und Gesundheitsausgaben 110 Mrd. Euro pro Jahr. Das bedingungslose Grundeinkommen ist also jedenfalls finanzierbar. Bei gegebenem Aufkommen an Steuern und Sozialbeiträgen allerdings nur als Alternative zum Sozialstaat, also bei gleichzeitiger Abschaffung von Pensionen, Arbeitslosengeld und Kinderbeihilfen sowie der sozialen Gesundheits- und Pflegeversorgung.
In diesem Vergleich zeigt sich die Überlegenheit des Sozialstaates. Er hilft nicht bedingungslos allen, egal ob reich oder arm, sondern zielgenau immer dann, wenn Menschen besonders schutzbedürftig sind: in der Kindheit, bei Krankheit und Arbeitslosigkeit, nach Unfällen, im Alter oder bei Pflegebedarf. Dennoch kommt er im Lebenszyklus allen Menschen zugute, denn alle sind irgendwann jung, krank, alt, pflegebedürftig. Der Sozialstaat ist einem bedingungslosen Grundeinkommen überlegen, da bei Letzterem Geld unabhängig von konkreter Bedürftigkeit an alle BürgerInnen ausgezahlt wird und damit zu wenig Mittel an die aktuell Schutzbedürftigen.
Dennoch ist die Debatte zum Grundeinkommen wichtig, da sie Optionen des gesellschaftlichen Fortschritts aufzeigt. Wir können sie nützen, um sechs konkrete Schlussfolgerungen für die Politik zu ziehen, die durch die COVID-Krise noch einmal an Bedeutung gewinnen.