Nobelpreisträger Friedrich August Hayek: Antidemokrat und Pinochet-Unterstützer

13. Oktober 2014

Die Verleihung des Preises für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Erinnerung an Alfred Nobel, gibt manchen in Österreich Anlass in Erinnerungen an selige Zeiten zu schwelgen, in denen das Land noch in der Lage war, preiswürdige ÖkonomInnen hervorzubringen: Vor vierzig Jahren erhielt den Nobelpreis Friedrich August Hayek, der 1899 in Wien geboren wurde, allerdings seit den 1930er Jahren britischer Staatsbürger war. So angemessen die Begründung des Nobelpreiskomitees im Jahr 1974 gewesen sein mag, Hayek hätte aufgrund seiner problematischen Persönlichkeit die Auszeichnung nicht bekommen dürfen. Denn er war zwar ein innovativer und großer Ökonom, politisch aber Antidemokrat und Pinochet-Unterstützer.

Hayeks wichtigste theoretische Erkenntnis: Wettbewerb als Entdeckungsverfahren

Das Preiskomitee der schwedischen Reichsbank begründete die Vergabe an Friedrich August Hayek und Gunnar Myrdal mit deren „bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie und ihre tiefgründigen Analysen der wechselseitigen Abhängigkeit von wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnissen“. Hayeks wichtigste bleibende Erkenntnis ist wohl jene vom Wettbewerb als Entdeckungsprozess, in der er zu Recht die bedeutende Funktion des Wettbewerbs als Anreiz für die Entstehung von Wissen hervorhob. Die beiden entscheidenden Aufsätze in diesem Zusammenhang stammen aus den Jahren 1937 („Economics and Knowledge“) bzw. 1969 („Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“). Diese Erkenntnisse machen Hayek tatsächlich zu einem wichtigen und großen Ökonomen.

Er neigte aber stets dazu, seine Erkenntnisse von der Bedeutung der Märkte ins Extrem einer völlig unregulierten Marktwirtschaft zu treiben. Auch deshalb konnte er den Preis nur gemeinsam mit Gunnar Myrdal, dem großen Theoretiker des Wohlfahrtsstaates erhalten. Mit der Verleihung des Preises an zwei ideologisch ganz unterschiedlich ausgerichtete Ökonomen versuchte das Komitee offensichtlich, jenen Pluralismus in Theorien und Methoden zu spiegeln, der die Wirtschaftswissenschaften prägt. Allerdings ist darüber hinaus auch der Anspruch notwendig, dass Wissenschaft den Menschen dienen soll.

Hayeks wirtschaftspolitische Ideen gescheitert

Wiewohl Hayek als Ökonom Respekt genoss, war die Bedeutung seiner Theorien für die konkrete Wirtschaftspolitik zum Zeitpunkt der Preisverleihung sehr gering. Schon in den 1930er Jahren unterlag er gegen seinen großen Widersacher John Maynard Keynes in den Fragen der Ursachen der Weltwirtschaftskrise und den daraus zu ziehenden Lehren für die Wirtschaftspolitik. Hayek sah die Weltwirtschaftskrise als notwendige Reinigungskrise, in die der Staat keinesfalls eingreifen dürfe. Massenarbeitslosigkeit und soziale Verelendung waren für ihn der Preis für die unabdingbaren Strukturreformen. Demgegenüber erkannte der große sozialliberale Ökonom Keynes, dass ohne eine staatliche Intervention die Märkte nicht mehr aus der Depression finden konnten. Auf den interventionistischen Rezepten von Keynes basierten dann auch der lange Aufschwung der Wirtschaft und der Aufbau des Sozialstaates in den Nachkriegsjahrzehnten.

Die Niederlage gegen Keynes überwand Hayek nie. Er wandte sich schrittweise von der Ökonomie ab und der Staatsphilosophie zu. Es war auf diesem Gebiet, wo er politisch untragbar wurde. Er trieb seine Theorie über den Missbrauch der Demokratie soweit auf die Spitze, dass er Ende der 1970er Jahre seine Gegnerschaft zum demokratischen System westlicher Prägung in eine öffentliche Unterstützung für die Militärdiktatur Augusto Pinochets in Chile münden ließ. Diese Unterstützung für Pinochet ist seit langem bekannt, sie wird allerdings in jüngster Zeit wieder intensiver wissenschaftlich bearbeitet, zuletzt in drei lesenswerten Artikeln in der aktuellen Review of Political Economy.

Hayeks Unterstützung für Augusto Pinochet

Hayek besuchte Chile im November 1977, vier Jahre nach dem blutigen Militärputsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Salvador Allendes. Im Juli und August 1978 machte Hayek seine Unterstützung für das Regime Pinochets in vier Leserbriefen an die britische Zeitung The Times publik. Dort schrieb er: „I have not been able to find a single person even in much maligned Chile who did not agree that personal freedom was much greater under Pinochet than under Allende.“ Hayek traf im Rahmen seiner Reise nach Santiago den Diktator Augusto Pinochet, den er als „honorable general“ und mehrere Regierungsmitglieder die er als “educated, reasonable and insightful men” charakterisierte und denen er zutraute, die Diktatur in einer notwendigen Übergangsperiode für die Verwirklichung von Freiheit einzusetzen.

Im Interview mit der pro-Pinochet Journalistin Renee Sallas in der chilenischen Zeitung Mercurio gab Hayek dieser Position im Jahr 1981 neuerlich konkreten, auf die Pinochet-Diktatur gemünzten Ausdruck „I prefer a liberal dictator to democratic government lacking liberalism“. Hayek war bereits 1977 nachweislich über die massiven Menschenrechtsverletzungen der chilenischen Militärjunta informiert. Er verfügte über eine umfangreiche Dokumentation Amnesty Internationals zu den Morden, Verschleppungen, Folterungen, Internierungslagern, geheimpolizeilichen Aktionen und Einschränkungen von Rechten der ArbeitnehmerInnen.

Hayeks Unterstützung für den faschistischen Militärputsch in Chile war nicht Ausdruck des Irrsinns eines frustrierten, weil weitgehend einflusslosen Ökonomen, sondern basierte auf seinen staatsphilosophischen Theorien. Bereits in der Verfassung der Freiheit (1960) relativiert Hayek den Wert der Demokratie, in dem er ihr rein instrumentellen Charakter für die Verwirklichung eines sehr speziellen Freiheitsbegriffes zuschreibt. In Hayeks Vorstellung kann die Freiheit des Individuums nur durch eine begrenzte Demokratie erreicht werden, in der die wesentlichen Rahmenbedingungen wie Privateigentum, Vertragstreue oder der Wert der Familie durch Verfassung vorgegeben und nicht demokratisch veränderbar sein sollen.

Wolfgang Streeck hat in Gekaufte Zeit gut begründet darauf hingewiesen, wie stark Hayeks Vorstellung eines Kapitalismus, der nicht begrenzt von demokratischen Strukturen oder der Idee von sozialer Gerechtigkeit wäre, im Agieren der Europäischen Union in der Finanzkrise umgesetzt wird: Die gewachsenen demokratischen Entscheidungsstrukturen in den Nationalstaaten werden mit Hilfe von strengen europäischen Vorgaben und ExpertInnengremien ausgehebelt.

Hayek: Demokratie als Problem

Das Gegenstück zur begrenzten Demokratie, die gegebenenfalls auch diktatorisch hergestellt werden sollte, sah Hayek in einer unbegrenzten Demokratie westlicher Prägung, die direkt in den Totalitarismus führe. Hayek sah zu diesem Zeitpunkt Länder wie Großbritannien und Schweden, generell ganz Westeuropa genau auf diesem Weg. Die in diesen sozialen Demokratien mit Mehrheitsentscheid beschlossenen Maßnahmen der Chancengleichheit oder sozialen Gerechtigkeit schränken nach Hayeks Meinung die Freiheit der Einzelnen in inakzeptabler Weise ein: „Die Menschen in Umstände zu versetzen, wo jeder gleiche Chancen hat, ist extremer Totalitarismus.“

Hayeks Ablehnung von Beschäftigungspolitik, Wohlfahrtsstaat und progressiven Steuern sowie seine Verherrlichung der Marktergebnisse sind das eine. Mit diesen wirtschaftspolitischen Positionen ist eine intellektuelle Auseinandersetzung möglich. Die Unterstützung für den Militärputsch des Diktators Augusto Pinochet und damit für die Ermordung und Folterung zigtausender Menschen hat eine andere Qualität. Sie würde es unmöglich machen, diesem Menschen heute einen Nobelpreis zu verleihen. Alle jene Institutionen, die sich noch heute auf Friedrich August Hayek berufen, sollten dies schamvoll beenden: Von der Mont Pelerin Society und dem Hayek Institut über das Hayek Colloquium in Obergurgl bis zur Agenda Austria, dessen Obmann Christoph Kraus Hayek als „Vorbild“ bezeichnet.

Literaturtipps:

Andrew Farrant, Edward McPhail, Can a Dictator Turn a Constitution into a Can-opener? F.A. Hayek and the Alchemy of Transitional Dictatorship in Chile, Review of Political Economy, 2014, Vol. 26, No. 3, 331–348, http://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/09538259.2014.932063

Thomas Biebricher, Demokratie als Problem, Die Zeit, 38/2014, 29. September 2014, http://www.zeit.de/2014/38/neoliberalismus-august-von-hayek-kapitalismus