Mit Hartz IV wurde in Deutschland bereits 2005 die mit der österreichischen Notstandshilfe vergleichbare Arbeitslosenhilfe abgeschafft. Dies hat die Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt erheblich verändert und massive Folgen nicht nur für Arbeitslose, sondern für das Beschäftigungssystem und die Gesellschaft insgesamt. Das Armutsrisiko von Arbeitslosen hat sich deutlich verschärft, prekäre und schlecht bezahlte Arbeit breitete sich aus, Kernbelegschaften wurden eingeschüchtert und das soziale Klima wurde kälter. Was vorher eher Randerscheinung war, breitete sich aus, doch die Eingliederungschancen von Menschen, die schon länger ohne Job sind, haben sich nicht verbessert.
1. Finanzielle VerliererInnen sind insbesondere Frauen und langjährig Beschäftigte
Bei Streichung der Notstandshilfe wird sich die finanzielle Situation für die weit überwiegende Zahl der Langzeitarbeitslosen deutlich verschlechtern. In Deutschland ging mit Hartz IV rund ein Fünftel der vormaligen BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe finanziell leer aus. Sie mussten den Einkommensausfall durch Arbeitslosigkeit ganz allein tragen. Dies galt auch dann, wenn sie zuvor Jahrzehnte gearbeitet und Sozialbeiträge entrichtet haben; die Privatisierung der finanziellen Lasten der Arbeits-losigkeit beschleunigt sich. Aber auch jene, die die neue Leistung erhielten, mussten mehrheitlich finanzielle Einbußen hinnehmen, weil jetzt sonstiges Einkommen schärfer angerechnet wird. Zu den VerliererInnen zählten insbesondere jene, die zuvor relativ gut verdient hatten oder in Haushalten lebten, wo der/die PartnerIn erwerbstätig war oder Rente bezog. Getroffen hat es somit vor allem die Mittelschicht. Bestraft wurden vorrangig jene, die selbst gearbeitet hatten bzw. die Lohnersatzleistungen der Sozialversicherung erhielten bzw. deren PartnerInnen, auf die das zutraf. Überdurchschnittlich betroffen waren insbesondere verheiratete Frauen sowie Ältere. Etwas besserstellen konnten sich demgegenüber jene, deren Arbeitslosenhilfe bereits unter dem Sozialhilfesatz lag; sie hatten zuvor zwar Anspruch auf die Aufstockung, haben diesen Anspruch aus Scham oder Unwissenheit häufig aber nicht realisiert.
2. Deutschland ist Spitzenreiter bei Armutsrisiko Arbeitsloser
Das Armutsrisiko in Deutschland ist größer als in allen EU-Ländern. Hier waren 70,8 % der Arbeitslosen in 2016 armutsgefährdet und mussten mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens (inkl. Sozialleistungen) über die Runden kommen. Österreich lag hingegen knapp unter dem EU-Durchschnitt (48,7 Prozent). Am geringsten war das Armutsrisiko hingegen in Finnland mit 37,3 %, Frankreich (38,4 %) sowie Dänemark (38,6 %). In Deutschland werden inzwischen mehr als zwei Drittel der Arbeitslosen vom Hartz-IV-System betreut, während die Arbeitslosenversicherung mehr und mehr an den Rand gedrängt wird. Dies zeigt, wie löchrig das Netz der sozialen Sicherung für Arbeitslose in Deutschland geworden ist und Arbeitslose mehrheitlich auf das letzte soziale Netz angewiesen sind. Auch knapp 15 Jahre nach Errichtung des Hartz-IV-Systems ist fast jeder zehnte Haushalt in Deutschland mit 4,3 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter hilfsbedürftig, die Kinder nicht mitgezählt. Ihre Zahl stagniert nahezu seit 2011. Selbst ein Unterschreiten des sozialen Existenzminimums wurde in Kauf genommen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2010 deshalb die geltenden Regelsätze für Hartz IV für verfassungswidrig. Einmalige Ausgaben – wie eine Reparatur der Waschmaschine – müssen sich die betroffenen Haushalte vom Regelsatz „absparen“. Bei nur kurzfristigen Notlagen und stabilem sozialen Umfeld mag dies noch gehen, doch mit der Dauer des Hilfebezugs können die Sorgen schnell über den Kopf wachsen und so viel Kraft binden, dass für arbeitsmarktpolitische Aktivitäten viel zu wenig Zeit bleibt.