Die Diskussion über eine Harmonisierung der Körperschaftsteuer auf europäischer Ebene ist beinahe so alt wie die EU selbst. Der letzte Vorschlag der Europäischen Kommission ist aus dem Jahr 2016. Seitdem diskutieren die Mitgliedstaaten darüber – bislang ohne Erfolg. Um das Thema politisch voranzutreiben, hat die Kommission die Harmonisierung mit der Neuverhandlung des EU-Budgets verknüpft. Der Vorschlag: Ein Teil der Eigenmittel der Union soll aus einer EU-weit harmonisierten Bemessungsgrundlage kommen. Auch wenn fraglich ist, ob sich dieser Ansatz durchsetzen wird, ist eine Harmonisierung an sich nicht völlig unrealistisch. So gelten für die Umsatzsteuer schon seit 1977 einheitliche Regeln. An Vorbildern mangelt es also nicht, allenfalls am politischen Willen.
Die Vorschläge der EU-Kommission
Konkret hat die EU-Kommission zwei Vorschläge für Richtlinien vorgelegt: einen zur Harmonisierung der unterschiedlichen Gewinnermittlungssysteme und einen zur Konsolidierung der Gewinne. Gelten sollen die Vorschläge für Großkonzerne mit einem Umsatz von 750 Millionen Euro oder mehr. Laut den Berechnungen der Kommission betrifft das nur 1,6 Prozent aller Unternehmen, aber 64 Prozent der EU-weiten Unternehmensumsätze. Die wichtigste Neuerung ist die Konsolidierung: Bislang wurde der Gewinn für jede Teilgesellschaft des Konzerns getrennt ermittelt und in jenem Staat besteuert, in dem die jeweilige Teilgesellschaft ihren Sitz hat. Diese Regelung machte es attraktiv, die Gewinne zwischen den Teilgesellschaften hin und her zu schieben, um dadurch die Steuerbelastung des Gesamtkonzerns zu reduzieren.
Künftig soll das nicht mehr möglich sein, weil die Gewinnermittlung für alle europäischen Aktivitäten zentral auf Ebene der Konzernmutter erfolgt. Der Gesamtgewinn wird dann mit einer einfachen Formel (gemäß Beitrag zur Wertschöpfung) auf die Teilgesellschaften in den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Ein solches System gibt es in ähnlicher Form auch in den USA und Kanada. Die Kommission erhofft sich durch diese vereinfachten Regeln vor allem geringere (Befolgungs-)Kosten für Unternehmen, aber auch ein Ende der Gewinnverschiebungen innerhalb der EU soll so erreicht werden. Damit wurde die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) innerhalb kürzester Zeit zum Hoffnungsprojekt für WirtschaftsvertreterInnen, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft.
Die Regierungen auf der Bremse
Bloß wie realistisch sind die hohen Erwartungen? Viel hängt davon ab, ob sich die FinanzministerInnen auf ein Gesamtpaket verständigen (also die Harmonisierung und die Konsolidierung beschließen) oder sich auf die Harmonisierung beschränken. Die Vorteile hinsichtlich der Verwaltungskosten und Gewinnverschiebungen bringt nämlich vor allem die Konsolidierung. Die Harmonisierung ist „nice to have“, aber nicht mehr als ein erster Schritt. Nicht von ungefähr hat die Kommission für ihre Entscheidung, den ursprünglich einheitlichen Vorschlag einer „Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ auf zwei Richtlinien aufzuteilen, viel Kritik einstecken müssen. Und diese Kritik ist berechtigt, denn die aktuelle politische Diskussion auf Ebene der FinanzministerInnen geht eindeutig in Richtung Harmonisierung ohne Konsolidierung. So will die österreichische Ratspräsidentschaft über die Konsolidierung erst reden, wenn die Harmonisierung ausreichend Fortschritte gemacht hat. Und auch Deutschland und Frankreich haben sich in der Meseberger Erklärung allein auf die Harmonisierung konzentriert.
Was bringt eine Harmonisierung der Gewinnermittlung? Bei aller berechtigten Skepsis darf nicht vergessen werden, dass auch eine Harmonisierung durchaus Vorteile bringt. Denn eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen bringt ein Ende der „Schlupflöcher“ wie Patentboxen und Sonderabsprachen (Lux Leaks) mit sich, die bislang für einen wesentlichen Teil der Gewinnverschiebungen innerhalb von Europa verantwortlich waren. Auch die Einführung einer digitalen Betriebsstätte (die auf Wunsch von Kommission und Parlament noch nachträglich in den Vorschlag eingebaut werden soll) wäre im Rahmen der Harmonisierung umsetzbar.
Race to the bottom bleibt ein Problem
Nicht stoppen kann die Harmonisierung den grassierenden Steuerwettbewerb. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz der EU-Länder von über 35 Prozent auf nunmehr unter 25 Prozent gesunken. Ein Ende des Trends ist nicht absehbar, im Gegenteil: Die Harmonisierung könnte den Steuerwettbewerb sogar noch verschärfen, weil sie ihn transparenter macht. Wegen der unterschiedlichen Gewinnermittlungsvorschriften war es für die Wirtschaft bislang praktisch unmöglich, die effektive Steuerlast zu ermitteln und zu vergleichen. Dies wird künftig kein Problem mehr sein. Bei gleicher Bemessungsgrundlage werden Länder mit einem niedrigeren Steuersatz künftig noch attraktiver als bisher, der Druck auf Länder mit hohen Steuersätzen wird damit weiter steigen. Das einzig wirksame Mittel dagegen, da sind sich alle ExpertInnen einig, ist die Einführung eines EU-weiten Mindeststeuersatzes. Verhindert wird er von den marktgläubigen Konservativen und Liberalen, denen die Unternehmenssteuersätze nicht niedrig genug sein können.