Viel Zeit haben, lautet der sehnliche Wunsch der ständig Gestressten. Ob Zeit sparen der Weg dorthin ist, ist jedoch fraglich. Denn eigentliche sollte klar sein: Zeit kann man nicht sparen, nur anders verwenden.
Eigentlich sahen sie ganz harmlos aus, die kleinen grauen Herren, mit denen Michael Ende in seinem Buch ‘Momo’ ein Sinnbild für sinnloses Zeitsparen geschaffen hat. Die farblosen Männer überzeugen die BewohnerInnen einer kleinen Stadt, immer mehr Zeit zu sparen – bis schließlich keiner mehr Zeit für irgendwas hat. Schon gar nicht für die schönen Dinge des Lebens. Klingt irgendwie vertraut.
Seltsamerweise scheinen in einer Welt, in der alles immer schneller geht, immer weniger Menschen genug Zeit zu haben. Technische Neuerungen sollen dabei helfen, noch mehr Zeit zu sparen: sie sorgen für einen müheloseren Haushalt, dass man schneller von A nach B oder sonst wohin kommt und man mit höheren Übertragungsraten Worte, Bilder und komplexe Dateien noch flotter rund um die Welt austauschen kann. Briefe tippen auf einer Schreibmaschine und mit der Post losschicken, die Tage später an der Zieladresse eintrudeln – das war im letzten Jahrtausend. Heute dauert der gleiche Vorgang per Email wenige Sekunden. Eine unglaubliche Zeitersparnis.
Aber es scheint, als hätten die kleinen grauen Herren die frei werdenden Stunden einkassiert. Denn wo eigentlich Freizeit und Muse sein sollten, regiert stattdessen häufig der radikale Mangel an Zeit, vulgo: Stress. Irgendwas ist offenbar ordentlich schiefgegangen. Etwa das viel diskutierte Problem der ständigen Verfügbarkeit – so reicht dank Handy, Laptop und Internet der Arm des Arbeitgebers sogar bis auf andere Kontinente, während die Erholung im wahrsten Sinne des Wortes zurückbleibt. Die moderne Technik stellt sicher, dass nicht einmal eine Reise auf die Galapagos Inseln Entspannung im Urlaub garantiert.
Nächste Schwierigkeit: Der Überfluss an Möglichkeiten führt dazu, dass wir uns ständig entscheiden müssen. Selbst wenn wir ganz viel weglassen, wollen wir meistens am Ende trotzdem noch immer zu viel: Sport betreiben, Kultur genießen, Fernseh-Serien schauen, den Balkon bepflanzen…. und einen Beruf und Familie sowieso. Dabei stapeln sich diese Aktivitäten auf jene Dinge, die jedenfalls getan werden müssen. Etwa den eigenen Unterhalt durch Erwerbsarbeit verdienen; oder Essen einkaufen und kochen, die Wäsche waschen, die Wohnung zusammenräumen und auch einmal putzen, und, und, und. Von Kinder versorgen und die kranke Oma besuchen gar nicht zu reden. Das alles braucht Zeit. Unnötig zu ergänzen, dass diese ‘Pflichtübungen’ zum überwiegenden Teil bei den Frauen angesiedelt sind.
In unseren Köpfen hat sich offenbar auch etwas verschoben, denn nicht wenige werden unrund, wenn sie einmal nicht den elektronischen Zugriff auf alles um jedes haben. Nicht von ungefähr macht ein Bilderwitz die Runde, auf dem die Maslowsche Bedürfnispyramide zu sehen ist, wo als wichtigstes Grundbedürfnis ‘Wifi’ dazu gezeichnet wurde. Längst trifft das nicht mehr nur auf Jugendliche zu. Immer gibt es noch schnell etwas nachzuschauen oder zu beantworten. Abschalten zu können ist mittlerweile eine Kunst geworden. Die kleinen grauen Herren scheinen ihr Geschäft recht erfolgreich zu betreiben. Denn eigentlich müsste klar sein, dass man Zeit nicht sparen kann, sondern nur anders verwenden.
Zeit – wofür eigentlich?
Dabei ist zentrale Frage natürlich: Zeit – wofür? Der zentrale Wunsch ist, möglichst autonom über die eigene Zeitverwendung zu bestimmen. Diese Regel ist immer dann massiv eingeschränkt, wenn die Bedürfnisse anderer wichtiger sind als die eigenen – ein Umstand, der vor allem Menschen trifft, die sich um Kinder oder hilfsbedürftige Erwachsene kümmern. Dass das vorwiegend Frauen sind, ist hinreichend bekannt.
Beeindruckende 6,7 Mio. Stunden erbringen Frauen in Österreich täglich an Hausarbeit, Kinderbetreuung oder Betreuung von pflegebedürftigen Erwachsenen, wie die letzte Zeitverwendungsstudie zeigt. Männer kommen mit 2,9 Mio. Stunden nicht einmal auf die Hälfte dieses Volumens. Bei der Erwerbsarbeit kehren sich die Verhältnisse um, jedoch arbeiten Frauen insgesamt deutlich mehr als Männer, die es nur auf 60 Prozent des weiblichen – bezahlt oder nicht – Arbeitsvolumens bringen.
Die Erfindung von Haushaltsgeräten hat geholfen, dramatisch viel Zeit einzusparen. Wer es sich leisten kann, lagert zusätzlich Putzarbeit aus. Damit gewinnen vor allem Frauen wertvolle Zeitressourcen, die meist in die eigene Erwerbstätigkeit investiert werden. Aber den Luxus, Hausarbeit auszulagern, haben nur wenige gut Verdienende. Und wer würde mit seinen Kindern reden, spielen und kuscheln auslagern wollen? Sonst wären wir wieder bei den kleinen grauen Herren, die alle gesparte Zeit aufsaugen und übrig bleibt – nichts.
Aber bevor hier das Loblied der Erfüllung der Frau bei ihren mütterlichen Pflichten anklingt, muss daran erinnert werden, dass Kinder immer auch Väter haben. Die verbringen ihre Zeit oft mit Überstunden. 300 Millionen werden davon jedes Jahr geleistet, 69 Millionen davon unbezahlt. Alleine die unbezahlten zusätzlichen Stunden entsprechen 40.000 Arbeitsplätzen. Die 290.000 Menschen, die 2013 durchschnittlich arbeitslos gemeldet waren, hätten sicher Interesse.
Frauenzeit – Männerzeit
Zusammenfassend müssen Frauen viel Zeit für Haushalt und Kinderbetreuung aufbringen, während die Männer viel erwerbsarbeiten. Wobei oft viel mehr Zeit in den Job fließt, als gewünscht, während andere Menschen ihre Zeit vor allem mit dem Suchen nach einem ebensolchen verbringen. Womit klar wird: Es geht nicht darum, Zeit zu sparen, sondern sie umzuverteilen.
Erwerbsarbeitszeiten sollten auf mehr Menschen aufgeteilt und damit im Durchschnitt für den/die EinzelneN kürzer werden. Männer sollen sich mehr an Haushalt und Familie beteiligen, Frauen tendenziell mehr Zeit dafür haben, ein Einkommen zu erwerben.
Bei den Betreuungspflichten braucht es zudem institutionelle Unterstützung: Gut ausgebaute Kinderbetreuung, flächendeckende Ganztagesschulen und bedarfsgerechte Angebote für die Pflege von Erwachsenen sind dabei von Nöten. Dabei geht es nicht nur um die zeitliche Entlastung, sondern auch um Qualität. So können gut geschulte PädagogInnen eben andere Impulse und Anregungen einbringen, als die meisten Eltern – so liebevoll deren Umgang auch ist. Ähnliches gilt für die Pflege: diese ist eine anspruchsvolle und komplexe Tätigkeit, die professionell ausgebildete Pflegekräfte besser erledigen können als ungeschulte Familienmitglieder. Der Familie bleibt so mehr Zeit für einen gemütlichen Plausch oder andere, angenehme Dinge. Genauso, wie eine Ganztagesschule das Familienleben entspannt, weil alle Aufgaben erledigt sind, wenn die Kinder nach Hause kommen. Die Zeit kann dann mit schöneren Dingen gefüllt werden als Ermahnungen, was noch alles für die Schule zu tun ist.
Mehr Zeit zum…. was auch immer!
Mehr Zeitwohlstand für alle zu schaffen wird sich ohne kürzere Erwerbsarbeitszeiten nicht machen lassen. Die Schaffung von Freiräumen durch Phasen von Einkommen ohne Arbeit, zB. in Form von Sabbaticals und Bildungskarenz sind eine gute Sache. Aber sowohl aus einer Geschlechter- als auch Gesundheitsperspektive muss vor allem die wöchentliche Erwerbsarbeitszeit reduziert werden – und zwar generell für alle und nicht individuell ohne Lohnausgleich in Form weiblicher Teilzeitarbeit, wie es derzeit stattfindet. Damit könnten viele Menschen Arbeit mit Einkommen und Zeit für andere Dinge haben – ohne dabei sparen zu müssen. Ganz im Sinne von: Sparst du noch Zeit oder lebst du schon?